Der Streit um den US-Schuldendeckel ist das gefährlichste Pokerspiel der Welt
Die Republikaner versuchen, Biden mit der Drohung eines Staatsbankrotts zu erpressen. Es gibt einen Ausweg, aber der ist auch riskant
Es ist die derzeit gefährlichste Pokerpartie der Welt: Die Rechtsordnung der USA sieht vor, dass der Kongress die Schuldenaufnahme für bereits beschlossene Ausgaben noch einmal absegnen muss, indem er die Obergrenze für Staatsschulden regelmäßig erhöht. Am 1. Juni wird laut Finanzministerin Janet Yellen das derzeit bewilligte Limit erreicht. Dann müsste der Staat einen Kahlschlag bei den Ausgaben durchführen oder die Bedienung seiner Schulden aussetzen. Das würde die Weltwirtschaft in den Abgrund stürzen, denn US-Staatsanleihen gelten als die sicherste Form der Geldanlage.
Niemand in Washington will den Staatsbankrott, aber die Republikaner nutzen den Schuldendeckel als Hebel, um US-Präsident Joe Biden zu Einsparungen beim Klimaschutz und Sozialprogrammen zu zwingen. Bei Barack Obama ist ihnen das gelungen, während sie unter Donald Trump trotz explodierender Schulden den Deckel ohne Zögern anhoben. Biden verlangt nun ebenfalls eine bedingungslose Erhöhung, aber hat sich auf Verhandlungen mit dem Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy eingelassen, der auf Gegenleistungen pocht. Im Hintergrund zündelt Trump und ruft seine Parteifreunde auf, das Land in die Pleite schlittern zu lassen, wenn Biden nicht nachgibt. Wie im berühmten Feiglingsspiel rasen zwei Autolenker in der Hoffnung aufeinander zu, dass der andere vor dem tödlichen Crash ausweicht.
An den Finanzmärkten sorgt dieses Spiel bisher für wenig Unruhe. Dabei ist die Lage diesmal noch gefährlicher als 2011, als die Ratingagentur Standard & Poor’s wegen des Streits die Bonität der USA senkte. Mit seiner knappen Mehrheit im Repräsentantenhaus und der Abhängigkeit vom rechtsradikalen Flügel seiner Partei hat McCarthy kaum Spielraum für Zugeständnisse. Und Biden will sich nicht durch ein veraltetes Gesetz seine jüngsten legislativen Erfolge kaputtmachen lassen. Der Schuldendeckel ist eine absurde Institution: Schließlich wurden die zusätzlichen Schulden durch die Budgetgesetze im Kongress bereits beschlossen.
Keine Seite will an der Katastrophe, sollte sie eintreten, schuld sein, weshalb sie zumindest tun, als würden sie verhandeln. Biden hat dabei mehr zu verlieren: Selbst wenn die Mehrheit die Republikaner verantwortlich machen würde, würde eine Finanz- und Wirtschaftskrise seine Chancen auf die Wiederwahl massiv schmälern. Von seinen Gegnern erwartet niemand mehr verantwortungsvolles Handeln.
Es gibt einen Ausweg, den Biden und Yellen bisher nur angedeutet haben: Der 14. Verfassungszusatz verpflichtet die USA, ihre Schulden stets zu bezahlen. Topjuristen betonen, dass dies mehr Gewicht hat als der Schuldendeckel. Mit etwas Coolness könnte die Biden-Regierung auch nach dem 1. Juni weiter Kredite aufnehmen, Zinsen bezahlen und darauf warten, geklagt zu werden. Der schwarze Peter wäre dann in der Hand des Obersten Gerichtshofs, der entscheiden müsste, die Staatspleite auszulösen oder abzuwenden. Auch das wäre riskant, aber weniger als eine weitere Runde in diesem bösen Spiel. (Eric Frey, 12.5.2023)
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