United in Aging

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In Vergreisung vereint

Eine Mehrheit der US-Amerikaner findet Joe Biden zu alt. Die Republikaner versuchen, das für sich zu nutzen. Dabei haben sie ihr eigenes gerontologisches Problem.

Was bedeutet schon eine Umfrage? Sie kann Politikern um den Kopf surren wie eine lästige Fliege oder vorbeiflattern wie ein Schmetterling, so oder so aber ist sie: flüchtig. Sie erfasst ja nur die Stimmung der Menschen in einem bestimmten Augenblick, während gute Politiker das große Ganze im Blick haben. Nicht wahr?

Nehmen wir Joe Biden, den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Er will bei der Wahl im kommenden Jahr wieder antreten, um die Demokratie zu retten, die Ukraine und das Klima. Das ganz große Ganze also. Er wolle “den Job vollenden”, sagt Biden, deshalb müsse er nochmals ins Weiße Haus gewählt werden.

Zweifellos sähe die Welt heute anders aus, wenn Biden 2020 nicht gegen Donald Trump gewonnen hätte. Wäre Trump damals wiedergewählt worden, wäre das transatlantische Bündnis zerbröselt; Europa stünde einsam da. Im Weißen Haus säße ein Mann, der den Autokraten dieser Welt nacheifert. Die Ukraine hätte kaum eine Chance gehabt, sich gegen die russische Invasion zu verteidigen. Und es gäbe nicht einmal mehr die vage Aussicht auf so etwas wie internationalen Klimaschutz.

Unbeliebt, aber effektiv

Biden ist, ungeachtet seiner kümmerlichen Beliebtheitswerte, ein durchaus effektiver Präsident. Er hat große Gesetzesvorhaben durchgebracht: Die US-amerikanische Infrastruktur wird ausgebaut, die Gesundheitsversorgung verbessert, der Klimaschutz gestärkt. Während Bidens erster Amtszeit sank die Arbeitslosigkeit auf einen historischen Tiefstand.

Bidens Gegner wird wohl auch 2024 wieder Donald Trump heißen, auch wenn dieser sich mittlerweile in einer Vielzahl zeitraubender Gerichtsverfahren verheddert hat. Keine schlechte Ausgangslage für Biden, eigentlich. Wären da nicht die Umfragen.

Wieder und wieder, zuletzt in der vergangenen Woche, warnen die US-Amerikanerinnen und -Amerikaner ihren Präsidenten, dass sie seine erneute Kandidatur für einen Fehler halten. Etwa in einer Umfrage des Wall Street Journals: 73 Prozent der registrierten Wählerinnen und Wähler sagen, Biden sei zu alt für eine zweite Amtszeit. Ebenso viele sind laut einer CNN-Erhebung “ernsthaft besorgt”, dass das Alter des Präsidenten seine mentale und physische Kompetenz beeinträchtige. Selbst unter den Anhängern der Demokraten, Bidens eigener Partei, wünschen sich 67 Prozent für 2024 einen anderen Kandidaten – oder eine Kandidatin.

Vorgestrig, in Rente gehen, Altersdemenz

Die Nachrichtenagentur AP und das Meinungsforschungsinstitut NORC haben nachgefragt, welche Wörter den Menschen spontan in den Sinn kommen, wenn sie an Biden denken. Die häufigsten Antworten: alt, vorgestrig, in Rente gehen, bejahrt, alternd, Altersdemenz. Auch zu Trump fiel den Befragten wenig Schmeichelhaftes ein: korrupt, kriminell, gemein, Hochstapler, Lügner, Verräter, Marionette.

Die statistische Lebenserwartung für Männer in den USA liegt bei 75,5 Jahren. Diese Marke haben beide Politiker überschritten: Biden ist bald 81, Trump 77 Jahre alt. Woran also liegt es, dass nur 47 Prozent der Wählerinnen und Wähler der Ansicht sind, Donald Trump sei zu alt fürs Oval Office?

Bei Trump überwiegen andere Gründe zur Sorge

Susan Glasser, scharf beobachtende Autorin des New Yorker, versuchte eine Erklärung: “Es bedeutet weniger, dass die Wählerinnen und Wähler nicht beunruhigt wegen Trumps Alter wären, sondern vielmehr, dass sie bei ihm noch so viele andere Gründe haben, weshalb sie sich Sorgen machen müssen.”

So oder so bleibt ein weiteres Ergebnis in den Umfragen hartnäckig stabil: Biden und Trump liegen Kopf an Kopf. Es ist gänzlich offen, ob der greise Präsident seinen skandalgestählten Amtsvorgänger ein zweites Mal besiegen kann. Dennoch kann Biden nur hoffen, dass kein jüngerer Republikaner Trump noch die Nominierung entreißt. Das ist zwar eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen – und es ließe Biden im Wahlkampf noch älter aussehen.

Die Demokraten haben sich nicht getraut, ihrem verdienstvollen elder president die neuerliche Kandidatur auszureden. Nun beobachten sie mit angehaltenem Atem, ob er beim Gehen wieder stolpert und stürzt. Wie er vor laufenden Kameras auch mal sanft wegschlummert. Oder wie er lange über die Frage nachdenken muss, wie viele Enkel er hat.

Die Aussetzer des Mitch McConnell

Die Republikaner hatten sich schon darauf gefreut, Bidens Aussetzer auszuschlachten, aber nun haben sie ihr eigenes Seniorenproblem. Mitch McConnell, der 81-jährige Anführer der Republikanischen Partei im Senat, erstarrte neulich bei einer Pressekonferenz und brachte keinen Ton mehr heraus – ausgerechnet bei der Frage, ob er nochmals zur Wahl antreten wolle. Es war schon der zweite Zwischenfall dieser Art, und er nährte die Sorge, dass McConnell nicht mehr in der Lage sei, sein Amt auszufüllen. So wie Dianne Feinstein, die 90-jährige demokratische Senatorin aus Kalifornien, die bei öffentlichen Auftritten zunehmend verwirrt wirkt, aber mit aller Macht im Amt bleiben will.

Noch so eine Umfrage dieser Tage: Rund drei Viertel der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner wünschen sich Altersgrenzen in der Politik. Senatoren und Kongressabgeordnete sollten maximal 66 Jahre alt sein – jünger als fast der halbe Senat. Auch der Präsident, meinten die Befragten, sollte nicht älter als 67 Jahre sein.

Joe Biden, umschwirrt von einem Schwarm lästiger Umfragen, möchte die Demokratie retten. Doch dazu müsste er in der Lage sein, zu erkennen, wenn er sie selbst gefährdet.

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