The Fairy Tale of an Irreproachable Joe Biden – Is He Really the Lesser Evil Compared to Trump?

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Das Märchen vom untadeligen Joe Biden – ist er wirklich das kleinere Übel als Trump?

Die Regierungsbilanz von Präsident Biden fällt negativ aus, die Geschäfte seiner Familie sind dubios. Und seine Partei will die Demokratie mit Mitteln retten, die die Demokratie gefährden.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heisst es. Bewusst locker, bekleidet mit legerem Pullover und einer Basecap der Gewerkschaft, steht Joe Biden vor einer Autofabrik in Michigan und umarmt eine streikende Arbeiterin. Er will empathisch wirken und fürsorglich, und doch unterstreicht er nur den Fehlschlag seiner Wirtschaftspolitik.

In den letzten Jahren hat er Abermilliarden an Subventionen ausgeschüttet, um das produzierende Gewerbe im Land zu halten und die Kaufkraft des Mittelstandes zu stützen. Dennoch beklagen sich die Streikenden bei Ford über Hungerlöhne und unmenschliche Arbeitsbedingungen.

Der Präsident grub Instrumente aus der linken Steinzeit aus: neue Schulden, Protektionismus und eine dirigistische Industriepolitik. Er will sich beim von der Globalisierung und der Abwanderung ganzer Branchen hart bedrängten Mittelstand einschmeicheln – sehr viel Geld, nur um Donald Trump vom Weissen Haus fernzuhalten. Denn die verarmte oder abstiegsgefährdete Arbeiterklasse in den alten Industrieregionen wie Michigan hatte Trumps Triumph 2016 ermöglicht.

Genutzt hat die Charmeoffensive offenkundig wenig. Biden ist bei dem Versuch gescheitert, sich auf Kosten der Steuerzahler als Wohltäter der Werktätigen zu profilieren. Die Fabrikarbeiter sind unzufrieden, und die Popularitätswerte des Präsidenten sinken. Die Inflationsangst geht noch immer um, nachdem die Ausgabenprogramme die Teuerung auf Rekordhöhen haben schnellen lassen.

Ein tiefer soziodemografischer Graben teilt die Gesellschaft. Wer in prosperierenden Städten lebt, wohlhabend und gebildet ist, wählt die Demokraten. Die unteren Einkommensgruppen, meist weniger gut ausgebildet und auf dem Land lebend, votieren für die Republikaner.

Biden war angetreten, die Spaltung zu überwinden. Er wollte heilen und versöhnen. Doch in der neben der Ukraine wichtigsten Frage seiner Amtszeit überzeugt der Präsident nicht. Auch sein Gesundheitszustand lässt zu wünschen übrig. Für einen Achtzigjährigen ist er zwar körperlich fit, aber seine kognitiven Aussetzer sind unübersehbar.

Eine Familie zum Fürchten macht anrüchige Geschäfte

Hinzu kommen sein Familienclan und dessen zweifelhafte Geschäfte. Diese betreffen nicht nur den Sohn Hunter, sondern auch die Brüder des Präsidenten. Wollte man das Gebaren in gleicher Weise skandalisieren, wie das bei Trump üblich ist, müsste man die Bidens die Sopranos von Washington nennen.

Das Businessmodell ist immer dasselbe, ob bei der Verbandelung mit einem Gasproduzenten in der Ukraine, einer chinesischen Energiefirma, einem Hedge-Fund oder einem Unternehmen, das sich mit Immobilien im Irak eine goldene Nase verdienen wollte. Manchmal handelt es sich um Geschäftsideen mit offenkundiger Staatsnähe, bei denen Beziehungen zum Weissen Haus gewiss kein Nachteil sind.

Bei ihren Unternehmungen renommieren die Bidens mit dem Namen des Vizepräsidenten und später des Präsidenten. Dieser ruft manchmal – natürlich völlig zufällig – bei der lieben Verwandtschaft an, wenn sich diese in Sitzungen befindet. Der «big guy» sei am Telefon, heisst es dann. Das beeindruckt die Verhandlungspartner natürlich.

Eine Vorteilsnahme konnte dem Präsidenten nie nachgewiesen werden. Die Versuche der Republikaner, Biden mit dem pseudojuristischen Spektakel eines Impeachments abzusetzen, sind auch deshalb allzu durchsichtig.

Biden unternahm seit seinem Amtsantritt als Vizepräsident im Jahr 2009 nichts, um seiner geschäftstüchtigen Sippe Einhalt zu gebieten oder sich von ihr zu distanzieren. Nur wenn sie es zu toll treibt und etwa mit dem prominenten Verwandten in Inseraten wirbt, interveniert das Weisse Haus. Sonst herrscht Schweigen, das man für stillschweigende Billigung halten muss.

In Deutschland, wo wie überall in Westeuropa die Neigung zu den Demokraten gross ist und die Republikaner seit Ronald Reagan des Teufels sind, möge man sich Folgendes vorstellen: Während der langen Amtszeit von Angela Merkel machen sich Geschwister und Nachkommen den Namen der Kanzlerin zunutze, um ihre Deals zu fördern.

Natürlich wäre das ein Ding der Unmöglichkeit. Merkel hätte keine 16 Jahre im Kanzleramt durchgehalten, auch wenn rechtlich nichts zu beanstanden gewesen wäre. In Amerika hingegen kandidiert Joe Biden erneut. Man muss kein Purist sein, um die Verfilzungen für anrüchig und Biden für unwählbar zu halten. Dies gilt umso mehr, wenn man sich überlegt, wie ausführlich die mangelnde Befähigung Trumps zum höchsten Staatsamt seziert wird. Moral sollte unteilbar sein.

Seine Partei lässt Nachsicht mit dem Präsidenten walten und tröstet sich mit dem Argument, er sei der Einzige, der Trump schlagen könne. Die Freunde der Ukraine betrachten Biden zudem als Garanten für die Unterstützung Kiews.

Rechtfertigt der Zweck also die Mittel? Ist Biden so unentbehrlich, dass alles andere nachrangig ist? Europäer, für die der Kampf um die Freiheit des Kontinents Priorität hat, werden die Fragen ohne Zögern bejahen. Amerikanische Wähler mögen dies differenzierter sehen. Verstockte Reaktionäre und Feinde der Demokratie sind sie deswegen nicht.

Wegen der Verfehlungen Trumps und besonders wegen dessen Rolle beim Sturm aufs Capitol erscheint Biden als das kleinere Übel. Das Märchen vom untadeligen Joe und vom bösen Donald wäre allerdings glaubwürdiger, wenn nicht unübersehbar wäre, welche fragwürdigen Mittel die Demokraten und ihnen nahestehende Staatsanwälte beim Kampf um die Macht einsetzen.

Gegen Trump sind vier Strafverfahren zu seiner Amtsführung hängig, ferner ein Prozess wegen seiner Immobiliengeschäfte. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um angesichts der Zahl der Anklagen und des Timings eine Kampagne mithilfe der Justiz zu vermuten. Die gewichtigsten Prozesse werden in die heisse Phase des Wahlkampfs fallen.

Sässe Biden souverän im Sattel, könnte man an Zufälle glauben, so haben die Anklagen einen Beigeschmack. Weil Trump die Demokratie in Gefahr brachte, greift man zu Methoden, die ihrerseits die Demokratie schwächen. Richter sind nicht der Souverän im Staat. Es wäre klüger, in politischen Angelegenheiten den Wählern das Urteil zu überlassen.

Trump wird als Mafioso abgestempelt

Im Verfahren um den Angriff auf den Kongress operiert der Sonderermittler Jack Smith mit Gemeinplätzen und politischen Wertungen. In der Anklageschrift heisst es, Trump habe «eine intensive landesweite Atmosphäre des Misstrauens und der Wut geschaffen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Durchführung der Wahl untergraben».

Mit gleichem Recht könnte man behaupten, Smith untergrabe mit einem derart schwammigen und unpräzisen Vorwurf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsstaatlichkeit und Unparteilichkeit der Justiz. Bezeichnenderweise verzichtet der Sonderermittler auf den Tatbestand, der wie kein anderer den Prozess rechtfertigen würde: dass Trump den Sturm aufs Capitol organisiert oder in anderer Weise wissentlich herbeigeführt hat.

Die Ankläger halten Trump eine Verschwörung vor und greifen dabei auf Paragrafen zurück, die zur Bekämpfung der Mafia ersonnen wurden. Zur Begründung heisst es, der frühere Präsident habe die Taten gemeinsam mit Anwälten, externen Beratern und Beamten verübt. Das allerdings ist hanebüchen. Jedes Regierungshandeln lässt sich so kriminalisieren, denn daran sind üblicherweise mehrere Personen beteiligt. Aber der Vorwurf verfehlt seine politische Wirkung nicht: Trump gleich Al Capone.

Der Zustand der amerikanischen Innenpolitik ist trübe: ein angeschlagener Präsident, ein unberechenbarer Herausforderer und eine in Teilen hemmungslos politisierte Justiz. Diesen Vorwurf lassen die Demokraten zwar für die Verfahren gegen Trump nicht gelten, was sie aber nicht daran hindert, dem republikanisch beherrschten Supreme Court dasselbe vorzuhalten. Das bestätigt den Eindruck der Parteilichkeit nur.

Die Europäer haben wenig Einfluss auf die Wirrungen in Washington. Umso mehr sollten sie sich um das kümmern, was sie selbst in der Hand haben. Sie können ihre Verteidigungsfähigkeit so verbessern, dass sie aus eigener Kraft der Ukraine wirksam zur Seite zu stehen vermögen. Damit würden sie auch den schwindenden Einfluss Europas in der Welt, in Afrika etwa oder im Kaukasus, wieder stärken. Aber natürlich ist es billiger und bequemer, für einen Wahlsieg Bidens zu beten.

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