Richter sollten Trump nicht von der Wahl ausschliessen – auch wenn gute Gründe gegen ihn sprechen
Das Oberste Gericht von Colorado will Donald Trump von der Vorwahl im Gliedstaat ausschliessen. Das ist politisch schädlich und inakzeptabel. Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.
Peter Rásonyi
20.12.2023, 11.49 Uhr
Es gibt sehr gute Argumente dafür, dass Donald Trump untragbar ist für das Präsidentenamt der USA. Er hat nach seiner Abwahl im November 2020 den amerikanischen Rechtsstaat und das Grundprinzip der Demokratie mit Füssen getreten, dass auch Wahlverlierer den Volkswillen akzeptieren. Bis heute hält er an der Lüge der gestohlenen Wahl fest.
Warnungen, die USA könnten mit einer Wiederwahl Trumps in eine Diktatur «schlafwandeln», wie das etwa die ehemalige konservative Abgeordnete und zweifache Trump-Wählerin Liz Cheney erklärt, sind vielleicht etwas drastisch, aber keineswegs unbegründet. Ob die Institutionen dem Druck eines wiedergewählten Präsidenten Trump und seiner opportunistischen Gefolgsleute ebenso standhalten könnten wie während der ersten Präsidentschaft, ist eine offene Frage.
Man würde sich deshalb wünschen, dass die Amerikanerinnen und Amerikaner die Gefahr erkennen und im kommenden Frühjahr einen anderen republikanischen Kandidaten als Trump ins Rennen um die nächste Präsidentschaft schicken werden. Dass die Meinungsumfragen derzeit in keiner Weise darauf hindeuten, ist für freiheitlich denkende Menschen verstörend.
Die Rechtsgrundlage ist höchst umstritten
Diese Gedanken können ein Kommentator und jeder Bürger in aller Ruhe festhalten, wie auch immer sie mögen. Für Richter ist das etwas anderes. Sie stehen in einer staatsrechtlichen Verantwortung und müssen die dramatischen Auswirkungen berücksichtigen, die ein von ihnen verfügter Ausschluss eines Präsidentschaftskandidaten haben kann – zumal wenn es sich um den in den Umfragen zu den republikanischen Primaries mit Abstand führenden Kandidaten handelt.
Das knappe Urteil des Obersten Gerichts von Colorado, das genau dies am Dienstag entschieden hat, weckt Zweifel, ob sich die Richter darüber genügend Rechenschaft abgelegt haben.
Das gilt besonders, da die Rechtslage alles andere als eindeutig ist. Das wird aus dem vorliegenden Urteil aus Colorado deutlich. Erstens gründet dieses auf dem 1868 erlassenen 3. Absatz des 14. Verfassungszusatzes, der in dieser Weise noch nie angewendet wurde. Er war damals zur Abwehr führender Sezessionisten aus hohen Ämtern des Bundesstaates verfasst worden, aber nicht explizit zur Kontrolle aufständischer Präsidentschaftskandidaten. Das Gericht räumt denn auch ein, es betrete mit seinem Urteil juristisches Neuland.
Zweitens ist gerichtlich noch nie bestätigt worden, dass Trump sich beim Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 tatsächlich an einem Aufstand («insurrection») beteiligt hat. Trotz klaren Hinweisen auf den Versuch, nach seiner Abwahl entgegen den Verfassungsbestimmungen im Amt zu bleiben, ist der Vorwurf der bewussten Beteiligung Trumps an einem Aufstand nur schwerlich zu beweisen. Der Sonderermittler Jack Smith hat deshalb darauf verzichtet, diesen in seine Anklage gegen Trump aufzunehmen. Die Obersten Richter von Colorado sehen Trump allerdings als Aufständischen, basierend im Wesentlichen auf dem Bericht einer von den meisten Republikanern abgelehnten Untersuchungskommission des Repräsentantenhauses.
Die politische Polarisierung wird vertieft
Natürlich kann der kleine Gliedstaat Colorado eine Präsidentschaft Trumps nicht verhindern. Selbst wenn seine Nomination dort durch das Urteil definitiv unterbunden würde, hätte das keine grosse Bedeutung, da Colorado meist ohnehin demokratisch wählt. Politisch hat der Vorstoss des Gerichts somit vor allem zwei Effekte: Er führt zu parteipolitisch motiviertem Argwohn, zumal alle sieben Richter von demokratischen Gouverneuren ernannt worden waren. Zudem befördert er die von Trump verbreitete Behauptung, die Justiz betreibe eine politisch motivierte Hexenjagd gegen ihn.
Seine eigene beschränkte Reichweite hat auch das Oberste Gericht Colorados erkannt und das Urteil sogleich ausgesetzt, bis der Supreme Court in Washington darüber befinden kann. Dieser könnte theoretisch nicht eintreten, wird sich aber wegen der politischen Bedeutung des Falls aller Voraussicht nach nun selbst der Frage zuwenden, ob Trump von den republikanischen Vorwahlen in Colorado ausgeschlossen werden kann oder nicht. Die Frage wird auch in anderen Staaten debattiert; das Urteil wird dann bundesweit Geltung haben.
Die neun Richter am Supreme Court in Washington sind nicht um den Fall zu beneiden. Der aus staatspolitischer Sicht einzig richtige Entscheid wird ein Verzicht auf den Ausschluss Trumps sein. Nicht ein Gericht, sondern das amerikanische Volk muss darüber entscheiden, ob es jemandem wie Trump die Führung der Nation anvertrauen möchte oder nicht. Alles andere würde zu Recht als ein Übergriff der Eliten eines Landes wahrgenommen, dessen Verfassung nicht einmal die Wahl eines rechtmässig verurteilten und im Gefängnis einsitzenden Verbrechers zum Präsidenten eindeutig ausschliesst. Das Ansehen der Justiz würde durch beschädigt, die politische Stabilität im Land weiter untergraben. Die Attraktivität Trumps als selbsternannter Herausforderer des «Establishments» würde unter seinen Anhängern nur weiter gesteigert.
Dass die deutliche Mehrheit von sechs der neun Richter von republikanischen Präsidenten ernannt worden ist, drei von ihnen durch Trump selbst, macht die Situation noch brisanter. Wenn sie das Urteil aus Colorado kassieren, was richtig wäre, laden auch sie zu parteipolitischem Argwohn der Gegenseite ein. Die vertiefte Polarisierung ist programmiert. Solche Aktionen hätte man besser vermieden.
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