Das Obama-Amerika gegen das Trump-Amerika
Weder hat Barack Obama das kosmopolitische noch Donald Trump das brutale und rassistische Amerika erfunden. Die Parallelwelten Amerikas sind ein Erbe der Siedlerzeit. Und die wirkt bis in die heutigen Wahlkämpfe nach.
Während die USA sich auf einen Rückkampf zwischen Donald Trump und Joe Biden vorbereiten, fiebern viele Menschen in Europa für den Amtsinhaber. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Demokrat die idealisierte Vorstellung von Amerika in der Alten Welt zum Räsonieren bringt. Auch Barack Obama und Bill Clinton standen für einen weltläufigen, eloquenten Kosmopolitismus, für das Einwanderungsland USA, in das die Vorfahren der heutigen Europäer einst in Scharen ausgewandert waren, um dort politische Freiheit und materiellen Wohlstand zu finden.
Donald Trump steht für ein anderes Amerika, eines, das viele Europäer als hässlich empfinden: rassistisch, brutal, laut. Auch der Bully Donald Trump ist nicht der erste, der für ein solches Amerika steht. Vor ihm war auch George W. Bush auf dem Kontinent unbeliebt, ein Republikaner, der für vermeintliche Ideale der USA, Demokratie und Freiheit, in den Krieg zog und dabei doch nur die Interessen des „weißen Amerika“ verfolgte.
Die Wahrheit ist, dass weder Barack Obama das offene, kosmopolitische noch Donald Trump das weiße, rassistische Amerika erfunden haben. Beide Amerikas existieren seit der Loslösung der britischen Kolonien in der „Neuen Welt“ nebeneinander, wie die Harvard Historikerin Lill Lepore in ihrem Buch „This America: The Case for the Nation” herausstellt.
Diese „Neue Welt“ war nur für die europäischen Kolonialherren neu. Denn auf der amerikanischen Scholle lebten seit Jahrtausenden bereits Menschen, denen das Land gehörte und für die die Zeit seit der Ankunft der Europäer zu einem Alptraum geraten ist. Dieser neue amerikanische Staat zeichnete sich bereits in seinen Geburtswehen durch jene Zwiespältigkeit, durch jene Dialektik aus, für die so verschiedene Charaktere wie Joe Biden und Donald Trump bis heute stehen:
Zum einen war die neue Politik egalitär gegenüber den neu ankommenden Siedlern, die anders als in Europa als Gleiche nebeneinander lebten und das unterjochte Land bewirtschafteten. Sie hatten häufig schon das Wahlrecht noch bevor sie überhaupt Staatsbürger wurden. Ein Umstand der bis heute darin deutlich wird, dass, anders als in Europa, sich jeder weiße Mensch in den USA als Amerikaner fühlen kann und darf, sobald er oder sie das will.
Zur gleichen Zeit wurden in dem jungen Land alle anderen, nicht-europäischen Menschen, die Ureinwohner, die ins Land gezwungenen Sklaven und später die Mexikaner im Süden der sich nach allen Seiten vergrößernden Vereinigten Staaten als Andere, als Nicht-Gleiche behandelt. Diese Realität war nicht nur sozial vermittelt, sondern auch rechtlich sanktioniert. Neuankömmlinge hatten zum Beispiel ein Anrecht auf Landbesitz, das jenen, die schon seit Generationen auf dieser Erde lebten, verweigert wurde.
Der Rechtsprofessor der Cornell Universität Aziz Rana macht in seinem Buch „The Two Faces of American Freedom” folgenden Umstand für diese Entwicklung verantwortlich: Ein maßgeblicher Grund für die Abspaltung vom englischen Mutterland sei laut Rana gewesen, dass sich London aufgrund seines expandierenden Weltreiches gezwungen sah, kolonialisieren Subjekten eine gewisse Autonomie zuzugestehen und sie dabei in einer gewissen Weise rechtlich neben den weißen Siedlern, die aus dem Mutterland gekommen waren, zu verorten. Eine solche, wie auch immer geartete Gleichstellung von weißen Anglo-Protestanten neben den Ureinwohnern lehnten die britischen Kolonialisten jedoch ab.
In jener Zeit entsteht das, was der jamaikanische Philosoph Charles W. Mills, den „Racial Contract” nennt: eine explizite Hierarchie der Ethnien im Staat, an deren Spitze die weiße „Rasse“ stand. Viel von dem, was damals explizit war, sei heute, in der post-kolonialen Ära immer noch implizit lebendig, die Rassenideologie des Zeitalters des Kolonialismus diffus abrufbar. Für Mills, dessen Buch 1997 publiziert wurde, seien heute viele Menschen „nicht mehr Unterzeichner des ‘Rasse-Vertrages‘, wohl aber Profiteure“ desselben.
Selbst Lincoln glaubte nicht, dass alle „Rassen“ gleich seien
Der Kampf um die Stellung der „Rassen“ in der US-Gesellschaft wurde durch nichts so manifest wie im Bürgerkrieg in den Jahren 1862-65, der geführt wurde, um die Sklaverei, die im Süden des Landes verbreitet war und das Rückgrat der dortigen Wirtschaft bildete, abzuschaffen. Dabei ist wichtig zu beachten, dass selbst Akteure wie der als Befreier gefeierte Abraham Lincoln nicht daran dachten beziehungsweise daran glaubten, dass alle „Rassen“ gleich seien. Das gilt auch für die in Europa gefeierten Aufklärer Locke, Rousseau und Kant.
Auf beiden Seiten des Atlantiks herrschte vielmehr die Auffassung, dass den Ureinwohnern Amerikas und Afrikas keine Menschen im europäischen Wortsinn seien, weil ihnen „Zivilisation“ fehle. Als Konsequenz aus diesem Irrglauben wurde ihnen das Recht an dem Land, auf dem sie lebten, aberkannt. Erst durch Besiedlung und Bewirtschaftung durch die Hände weißer, europäischer Siedler wurde diese Erde erst zu Kulturland veredelt. Ein „echter Mensch“ im politischen und sozialen Sinne war demnach nur ein weißer Mann.
Für eine übergroße Mehrheit der Heutigen, die die Gründungsdokumente der Vereinigten Staaten lesen, bezieht sich die dort zu findende feierliche Proklamation, dass „alle Menschen gleich geschaffen” seien, auf alle Menschen auf dem Erdball. Ein politischer und juristischer Exklusivismus, der offen die weiße „Rasse“ bevorzugt, ist weitestgehend von der öffentlichen Bühne verschwunden.
Sein Wirken im Hintergrund kann nur dann sichtbar gemacht werden, wenn man sich seinen Kontext bewusst erschließen will. Ohne diese Kontextualisierung mag den europäischen Lesern der Rassismus in den USA als Randphänomen erscheinen, das von einer traurigen, kleinen Truppe propagiert wird. Doch die Ungleichheit der Siedlerzeit und des an sie anschließenden US-amerikanischen Imperiums war nie ganz verschwunden und die Ungleichheit, mit der auch heute noch nicht-weiße Menschen im US-System zu kämpfen haben, ist kein Unfall, sondern existiert mit Absicht.
Viele glauben eher „Make America White Again“
Für viele Menschen in den Südstaaten, für die die Niederlage im Bürgerkrieg nach wie vor eine Schmach darstellt, mag die Vorstellung einer Hierarchie der Rassen vor allem bedeuten, dass sie – die weißen Siedler von einst – die herausragende Stellung im Land wieder einnehmen, die ihnen ihrer Meinung nach von jeher zusteht.
Donald Trumps Slogan „Make America Great Again” lesen sie wahlweise als „Make the White America Great Again“ oder als „Make America White Again“. In zahllosen Wahlkampfauftritten adressiert Donald Trump bewusst ein „Südstaaten-Feeling“, das die Zustände von einst (wie in dem Film-Epos „Vom Winde verweht“) nostalgisch glorifiziert. Er beutet damit das Gefühl von Unterlegenheit und Abgehängtsein in den ländlichen Bundesstaaten bewusst für seine Interessen aus.
Die Präsidentschaftswahl im November ist erneut ein Kampf zwischen den beiden Amerikas, die beide unentwirrbar mit der Geschichte des Landes verflochten sind. Amerika bedeutete für die meiste Zeit für Einwanderer aus Europa Freiheit, Demokratie und Streben nach Wohlstand. Für die Anderen war es meist genau das Gegenteil davon.
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