America’s Voters Don’t Need a Judge To Reach a Verdict about Donald Trump

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Amerikas Wähler brauchen keine Richter, um ihr Urteil über Donald Trump zu fällen

Die juristische Strategie von Trumps Anwälten, dessen Prozesse bis zur Wahl zu verzögern, könnte aufgehen. Dafür sind andere verantwortlich als der Supreme Court.

Böse Zungen bei den Republikanern behaupten, die vier in den USA gegen Donald Trump laufenden Strafprozesse seien allesamt politisch motiviert, um ihn von der Rückkehr ins Weisse Haus abzuhalten. Die erzwungene Präsenz in Gerichtssälen sowie der Imageschaden nach einer allfälligen Verurteilung sollten demnach Trumps Wahlchancen mindern.

Die Gegenseite lamentiert derweil über die bisher in drei von vier Fällen erfolgreichen Versuche von Trumps Anwälten, den Beginn der Strafprozesse durch zahllose Einsprachen zu verzögern. Deren Ziel sei es, die Prozesse bis nach der Präsidentenwahl im November zu verschieben. Dann könnte ein frisch gewählter Präsident Trump, wie dieser selbst angekündigt hat, zumindest die zwei bundesrechtlichen Verfahren in Washington und Florida mit der Macht seines Amtes einstellen lassen.

Trump erzwingt eine unerwünschte Stellungnahme

Mitten in dieses Gerangel ist der Supreme Court geraten. Er beugt sich auf Antrag Trumps über die Frage, ob Präsidenten dauerhaft Immunität gegen Strafverfolgung geniessen für Handlungen, die sie während ihrer Amtszeit begangen haben. Dabei betreten die neun Richter verfassungsrechtliches Neuland. Bestätigen sie Trumps Forderung von absoluter Immunität, müssen alle Prozesse abgeblasen werden. Es geht also um viel – und nicht nur für Trump. Was auch immer der Supreme Court beschliesst, wird auch für künftige Präsidenten gelten.

Die öffentliche Anhörung vom Freitag ermöglicht drei Rückschlüsse auf das wahrscheinliche Urteil der Richter, das spätestens Anfang Juli erwartet wird. Erstens scheinen sie Trumps Forderung von absoluter Immunität kritisch gegenüberzustehen. Das ist ohne Zweifel richtig, denn nach errungener Unabhängigkeit haben die Gründerväter mit der Verfassung von 1787 gewiss nicht die Installation eines Oberhaupts an der Staatsspitze bezweckt, das wie ein absolutistischer König über dem Gesetz steht. Die praktische Konsequenz wäre etwa, dass ein Präsident seine politischen Rivalen umbringen und straffrei bleiben könnte. Das wäre absurd.

Zweitens scheinen die Richter aber auch nicht die Sichtweise des Justizministeriums und der untergeordneten Instanz zu teilen, dass keinerlei Immunität gegen strafrechtliche Verfolgung von Präsidenten bestehe. Auch das ist gut nachvollziehbar. Die Sorge, dass Präsidenten ihr Amt gehemmt ausführen und im nationalen Interesse stehende Entscheidungen nicht treffen könnten, weil sie Angst vor einer möglichen späteren Strafverfolgung haben müssen, war in den Fragen einzelner Oberster Richter gut erkennbar.

Zudem ist die Gefahr gross, dass ohne Immunität Strafklagen gegen politische Gegner zur Norm werden könnten, mit verheerenden Folgen für die politische Kultur des Landes. Das ist nicht weit hergeholt – Trump wäre wohl der Erste, der nach einem Wahlsieg gegen seinen Vorgänger Joe Biden vorginge, das hat er mehrfach angekündigt. Zwar stehen noch die rechtsstaatlichen Institutionen gegen Missbräuche, aber der Supreme Court tut gut daran, dazu nicht Tür und Tor zu öffnen.

Drittens wurde deutlich, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Wenn weder absolute Immunität noch deren völliges Fehlen Optionen sind, dann muss das Gericht einen Mittelweg definieren. Dieser dürfte entlang der Trennung zwischen amtlichen und privaten Entscheidungen führen, wie einzelne Richter zu erkennen gaben. Für erstere gälte Immunität, für letztere nicht. Aber was sind private Entscheidungen eines Präsidenten?

Was sind private, was amtliche Handlungen?

Trump hat die verfassungsgemässe Inauguration des gewählten neuen Präsidenten Biden zu hintertreiben versucht. Tat er dies als Teil seiner amtlichen Aufgaben oder aus dem privaten Interesse heraus, an der Macht zu bleiben? Und wie könnte so eine Unterscheidung allgemeingültig definiert werden?

Die Richter sind um diese Entscheidung nicht zu beneiden. Wenn sie sich damit, wie allgemein vermutet wird, noch gut zwei Monate Zeit lassen oder sie gar zunächst an eine untere Instanz verweisen, ist das aus der Komplexität und Bedeutung der Sache heraus verständlich. Vorwürfe, das von Konservativen dominierte Gericht verzögere die Entscheidung willkürlich, um Trumps Ansinnen einer Prozessverzögerung zu unterstützen, sind reine Spekulation.

Natürlich wäre es wünschbar, die Trump vorgeworfenen schweren Rechtsbrüche würden noch vor der Wahl von den Gerichten letztinstanzlich geklärt. Die Wähler hätten damit maximale Informationen verfügbar, um ihre Entscheidung zu treffen. Doch danach sieht es nach der Anhörung vom Freitag immer weniger aus. Dem Supreme Court muss man das nicht vorwerfen; er hat nicht die Aufgabe, bestimmte Prozesstermine tieferer Instanzen zu ermöglichen, sondern verfassungsrechtliche Fragen zu klären. Vielmehr müssen sich das Justizministerium in Washington und die Justizbehörden einzelner Staaten die Frage gefallen lassen, warum sie zwei bis drei Jahre benötigten, um ihre Klagen gegen Trump vorzubereiten.

Für die Wähler ist das ohnehin nicht entscheidend. Jeder konnte verfolgen, wie Trump sich zwischen dem Wahltermin und der Amtseinsetzung Joe Bidens verhielt. Die Anklagen sind ebenso öffentlich verfügbar wie die Aussage Trumps, er würde die Verfahren nach seiner Amtsübernahme stoppen. Die Evidenz für eklatanten Machtmissbrauch ist deutlich. Es liegt an den Wählern, zu entscheiden, ob sie so einen Mann erneut im Weissen Haus sehen möchten oder nicht – dafür sind sie nicht auf rechtskräftige Gerichtsurteile angewiesen.

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