The Constitution Protects the US from Becoming a Dictatorship

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Die Verfassung schützt die USA davor, zur Diktatur zu werden

Die amerikanische Verfassung sorgt für eine rigide Gewaltenteilung im Bundesstaat wie auch zwischen Washington und den Gliedstaaten. Wer die Macht an sich reissen will, wird gebändigt.

Ein US-Präsidentschaftskandidat hinter Gittern, ein gewählter Präsident Donald Trump in Haft? Auch wenn das sehr unwahrscheinlich ist, es wäre nicht das Ende von Trumps Regentschaft. Es gibt keine Gesetze, die ihm die Amtsführung hinter Gittern verbieten würden. So weit wird es nicht kommen – trotz allen 34 Anklagepunkten, welche die Geschworenen im Gliedstaat New York in dieser Woche abhandeln müssen, von sechs Prozessen in Florida und auf Bundesebene nicht zu reden.

Ein Präsident hinter Gittern?

Unterstellen wir trotzdem das Unwahrscheinliche: Gesetzt den unrealistischen Fall, Trump würde tatsächlich vor den Wahlen im November hinter Schloss und Riegel landen – wäre er dann als Wahlkämpfer erledigt?

Die Historie sagt Nein. Sie verweist auf Präzedenzfälle, wo zwei Kandidaten ihren Wahlkampf hinter Gittern organisiert haben. Vor über hundert Jahren bewarb sich Eugene Debs, Chef der Sozialistischen Partei, um die Präsidentschaft, während er im Bundesgefängnis von Atlanta sass. Er heimste aus der Zelle über eine Million Stimmen ein. Weit rechts führte der Verschwörungstheoretiker Lyndon LaRouche seinen Wahlkampf aus dem Gefängnis.

Die Verfassung der USA stellt nur zwei Bedingungen: Ein Präsidentschaftskandidat muss gebürtiger Amerikaner und mindestens 35 Jahre alt sein. Trump dürfte also auch als Verurteilter weiter Wahlkampf machen. Nur zweierlei dürfte er nicht. Verurteilt wegen einer schweren Straftat, könnte er in seinem Heimatstaat Florida nicht wählen; das verbietet das Landesgesetz. Sodann dürfte er sich als Präsident nicht selber begnadigen. Macht auch nichts. Das Bundesjustizministerium würde das inkriminierte Staatsoberhaupt in Ruhe lassen. Es erklärte zuletzt im Jahre 2000, dass der Amtsinhaber verfassungsmässig Immunität geniesse, um seine exekutiven Aufgaben erfüllen zu können.

Nur ein Impeachment im Kongress, wo das Unterhaus anklagt und der Senat entscheidet, könnte einen Präsidenten absetzen. Das aber ist kein juristisches, sondern ein politisches Verfahren. Im Senat könnten die Demokraten diese hohe Hürde nicht nehmen. Überdies stand Trump schon zweimal unter Staatsanklage. Der Senat hat ihn freigesprochen. Umgekehrt wurde Bill Clinton in der Affäre Lewinsky von einem demokratisch beherrschten Oberhaus entlastet.

Normalerweise würde man annehmen, dass ein Kandidat, der insgesamt 40 Strafanklagen auf der Staaten- wie der Bundesebene am Hals hat, aus dem Rennen sei. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Je wütender die Strafverfolgung, desto mehr mobilisiert sie Trumps Fans.

Was also passiert, wenn Donald Trump zum zweiten Mal ins Weisse Haus einzieht – Strafprozesse hin oder her? Könnte er den Caudillo geben? Einerseits vielleicht. Der Präsident geniesst eine gewaltige Machtfülle, mit seinen Notstandsrechten – insgesamt 135 –, die das Brennan Center an der Universität New York auflistet. So könnte er zum Beispiel die Bundesjustiz auf seine Feinde hetzen, die Nationalgarden der Staaten unter sein Kommando stellen. Schon Abraham Lincoln hat im Bürgerkrieg die Zensur verhängt. Noch nie hat der Kongress einen Präsidenten per Impeachment gekippt.

Rigide Gewaltenteilung

Anderseits verfügt die amerikanische Verfassung über eine rigide Gewaltenteilung im Bund wie auch zwischen Washington und den Gliedstaaten. Wer die Macht an sich reissen will, ob von rechts oder von links, dessen Vorhaben wird konterkariert. Die US-Armee hat sich – anders als die Armeen in vielen anderen Ländern – nie eingemischt. Die Constitution lebt seit 237 Jahren, derweil rings um die Welt Hunderte von Verfassungen zerrissen und zertrampelt worden sind. Was dauert, hält.

Einst hat Franklin Roosevelt das Oberste Gericht zu entmachten versucht; sein Nachfolger Harry Truman wollte im Koreakrieg die Stahlindustrie nationalisieren. Beide scheiterten. Richard Nixon wollte in der Watergate-Affäre die «checks and balances» der Verfassung aushebeln und wurde schliesslich des «Missbrauchs von Regierungsvollmachten» bezichtigt. Er entkam 1974 der Staatsanklage und der Absetzung durch Rücktritt.

Die Historie lehrt uns, dass Machtergreifer in den USA keine Chance haben. Überdies lehrt uns die erste Amtszeit von Donald Trump, dass er ausserordentlich flexibel und opportunistisch handelt, sobald der Widerstand zu gross wird – in den Worten des genialen Komikers Groucho Marx: «Wenn Ihnen meine Prinzipien nicht passen, habe ich noch ein paar andere auf Lager.»

Im Sprunghaften schlummert ein Quantum Trost. Die Diktatoren von gestern – Stalin und Hitler – waren so berechenbar, wie es heute Putin, Xi, Kim und Asad sind. Ihr Leitstern war und ist die totale Macht. Anders als in Amerika fehlt in diesen Diktaturen eine uralte Verfassung, deren Schutzwälle seit einem knappen Vierteljahrtausend halten. Winston Churchill meinte einst: «Man kann sich immer darauf verlassen, dass die Amerikaner das Richtige tun, aber erst, nachdem sie alles andere versucht haben.» Möge er recht behalten.

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