Biden’s Upper Limit

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Die USA verschärfen ihr Asylrecht deutlich. Joe Biden reagiert damit auf den Druck von Donald Trump und den Republikanern. Doch kann er halten, was er verspricht?

Politik kann manchmal ganz schnell gehen. Am frühen Nachmittag amerikanischer Ostküstenzeit verkündete Joe Biden neue Einschränkungen des Asylrechts. Um kurz nach Mitternacht waren große Teile der Grenze zu Mexiko dicht. Nicht physisch, versteht sich. Sondern politisch. Und vor allem symbolisch.

Der Erlass, den der US-Präsident am Dienstag unterzeichnete, sieht vor, ab einer bestimmten Zahl illegaler Grenzübertritte das Asylrecht stark einzuschränken. Steigt dieser Wert sieben Tage lang am Stück über 2.500, sollen die Behörden asylsuchende Menschen, die sie jenseits offizieller Grenzübergänge antreffen, umgehend wieder abschieben, zurück nach Mexiko oder direkt in ihre Heimatländer. Solange, bis es konstant weniger als 1.500 pro Tag sind.

“Wenn die USA ihre Grenze nicht sichern, gibt es keine Obergrenze für die Zahl der Menschen, die versuchen werden, hierherzukommen”, sagte Biden bei der Bekanntgabe des Plans. Neben dem Präsidenten, starr aufgereiht wie eine menschliche Mauer, standen die Gouverneurin von New York, wo derzeit besonders viele Geflüchtete landen, Kongressabgeordnete und Bürgermeister aus grenznahen Städten. Das Weiße Haus hatte sie eingeladen, um Bidens Botschaft mehr Wirkung zu verleihen. Um ganz sicherzugehen, war diese auch noch mal auf zwei großen Bildschirmen rechts und links hinter ihm zu lesen: “Präsident Joe Biden – Unsere Grenze sichern”, in weißer Schrift auf blauem Hintergrund.

Eine Wende um 180 Grad

Schließlich ist Biden ein Amtsinhaber im Verteidigungsmodus. Er macht nicht gegen irgendjemanden Wahlkampf, sondern gegen Donald Trump, der in einer großen Umfrage zuletzt vor Biden lag und den nicht einmal ein Schuldspruch in 34 Fällen groß Stimmen zu kosten scheint. Das Märchen von der “offenen Grenze” unter Biden kommt in der Wahlkampfrhetorik der Republikaner gleich nach dem von der korrupten Justiz, die Trump ungerecht behandle. Und obwohl die Grenze auch bisher schon nicht “offen” war, erreichten die Zahlen der illegalen Grenzübertritte unter Biden tatsächlich einen Höchststand. Zeitweise waren es 10.000 am Tag.

Etwa zwei Drittel der Wähler sind unzufrieden mit Bidens Migrationspolitik, für viele US-Amerikaner wird es eines der wichtigsten Themen bei der kommenden Wahl sein. So sehr ist der amtierende Präsident unter Druck geraten, dass er vor ein paar Monaten einwilligte, das Asylrecht erheblich einzuschränken. Für einen Demokraten und gerade für Biden, der mit dem Versprechen angetreten war, Trumps Politik an der Grenze wiedergutzumachen, war das eine Wende um 180 Grad.

Dass dieses Angebot es nie durch den Kongress schaffte, lag an Trump. Er drängte die republikanischen Abgeordneten dazu, dem nicht zuzustimmen – obwohl Bidens Vorschlag genau das ist, was sie seit Langem fordern und was sie teils selbst mit ausgehandelt hatten. Am Ende bestimmt Trump, wie es läuft. Und auch für andere Republikaner ist es offenbar attraktiver, Wahlkampf mit dem Slogan Bidens Border Crisis (Bidens Grenz-Krise) zu machen, als das Problem ernsthaft anzugehen. “Heute überwinde ich die Blockade der Republikaner und nutze die mir als Präsident zur Verfügung stehenden Exekutivbefugnisse, um auf eigene Faust zu tun, was ich kann”, sagte Biden. Er deutete auf die Bürgermeister um sich herum: “Sie haben keine Zeit für die Spielchen, die in Washington gespielt werden, und die amerikanische Bevölkerung auch nicht.”

Abschieben lässt sich nur in Länder, die dies akzeptieren

Dass Biden gerade jetzt aktiv wird, ist natürlich kein Zufall. Die Präsidentschaftswahl ist in fünf Monaten, das erste TV-Duell gegen Donald Trump in rund drei Wochen. Bis dahin will Biden zeigen, dass er in der Lage ist, die Zahl der Grenzübertritte nach unten zu drücken. Zudem geht der Supreme Court, das höchste Gericht der USA, in wenigen Wochen in die Sommerpause. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Klagen gegen die neue Maßnahme noch vor der Wahl erfolgreich sein können.

Dass Hilfsorganisationen bereits angekündigt haben, vor Gericht zu ziehen, und sich auch die Vereinten Nationen besorgt über Bidens Plan äußern, hat gute Gründe. Das Asylrecht gesteht es Flüchtenden zu, um Schutz zu bitten und diesen prüfen lassen zu können – unabhängig davon, wie sie ins Land gekommen sind. Bisher durften Menschen, die illegal in die USA einreisen und Asyl beantragen, zunächst bleiben, bis ein Gericht ihr Gesuch prüft. Nur ist die Verwaltung so überlastet, dass dies meist Jahre dauert.

Moralisch stellt sich das Ganze noch einmal anders dar. Die “illegalen Übertritte” sehen in den allermeisten Fällen so aus, dass die Menschen die Grenze übertreten und dann auf die Patrouille der Grenzschutzbehörde CBP warten, um ein Asylgesuch zu stellen. Nur relativ wenige versuchen, sich heimlich ins Land zu stehlen, wie es die Republikaner pauschalisierend behaupten, wenn sie die Angst ihrer Wählerinnen vor einer “Invasion illegaler Einwanderer” verstärken. Ein Narrativ, das nun auch bei Biden anklingt. Seine Maßnahme sieht zwar weiterhin vor, dass es humanitäre Ausnahmen geben soll, wenn Flüchtende etwa glaubhaft versichern können, dass sie bei einer Abschiebung in ihrem Heimatland Folter und politische Verfolgung fürchten müssen. Allerdings sind die Standards dafür wesentlich höher als für ein reguläres Asylgesuch.

Abschreckung funktioniert kaum

“Diese Maßnahme wird uns helfen, die Kontrolle über unsere Grenze zu erlangen und den Prozess wieder in Ordnung zu bringen”, versprach Biden. Dabei lassen sich die Verschärfungen keinesfalls so entschieden durchsetzen, wie der Präsident hier suggeriert. Abschieben lässt sich nur in Länder, die dies akzeptieren. Zuletzt boykottierte Venezuela, eines der häufigsten Herkunftsländer von Asylsuchenden, die Flüge aus den USA. Zudem zeigte sich schon bei der sogenannten Title-42-Regelung, die Trumps Regierung zu Beginn der Coronapandemie in Kraft gesetzt hatte und die ebenfalls auf unbürokratisches Abschieben setzte, dass die Menschen im Zweifelsfall schon am nächsten Tag wieder dastehen und erneut um Asyl bitten. Das war ein maßgeblicher Grund, warum die Zahlen unter Biden so in die Höhe gingen, der Title 42 erst im vergangenen Jahr enden ließ: Gezählt werden die Übertritte, nicht die Personen.

Abschreckung funktioniert auch an dieser Grenze kaum, das ist die Lektion aus dieser Zeit. Das wird sich auch nicht ändern, wenn ihnen wie angekündigt drastische Strafen drohen, sollten sie nach einer Abschiebung erneut einreisen. Warum versucht Biden es trotzdem, und dann auch noch mit so viel Aufhebens? Man könnte unterstellen: Auch diesem Präsidenten geht es vor allem um den Eindruck, an der Grenze werde sich etwas Grundlegendes ändern. Ob dem dann tatsächlich und vor allem nachhaltig so ist, das ist dann schon wieder zweitrangig.

Andererseits bleibt Biden nicht viel anderes. Den Aktenstau lösen könnte er nur mit deutlich mehr Personal und anderen Ressourcen. Die Gelder dafür blockiert der Kongress seit vielen Jahren. Außerdem sitzen ihm nicht nur die Republikaner im Nacken, sondern auch Demokraten aus Staaten wie Arizona oder Nevada, die an der Grenze oder in deren Nähe liegen. Beide heißen Battleground-States, weil sich Demokraten und Republikaner oft extrem knappe Rennen liefern. Nicht nur bei Präsidentschaftswahlen, sondern auch bei Kongress- oder lokalen Wahlen. Dort sind die Bewegungen an der Grenze nicht das imaginierte Panikszenario, das man in anderen, weit entfernten Teilen der USA zu hören bekommt, sondern ein realer und potenziell wahlentscheidender Teil des täglichen Lebens. Aber auch in von Demokraten regierten Großstädten wie New York, Denver oder Chicago ist die Lage längst zur Krise geworden. Dort landen immer mehr verzweifelte Menschen, die auf ihr Asylgesuch warten und nicht wissen wohin. Man könne nicht alle versorgen, kommen Hilferufe der Verantwortlichen.

Biden hat sie nun erhört. Und hofft darauf, dass auch er selbst erhört wird. Dass also in den kommenden Monaten viel weniger Menschen versuchen, ins Land zu kommen. Schreckliche Bilder von zurückgewiesenen Familien und bitterem Leid an der Grenze, die will der Präsident natürlich auch nicht. Es reicht, dass er sich mit Donald Trump vergleichen lassen muss: Biden beruft sich bei seinem Erlass unter anderem auf denselben Gesetzestext, mit dem Trump seine Einreisesperre für Reisende aus muslimischen Ländern begründet hatte.

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