Nur ein Aufstand der Demokraten kann die USA vor Trump retten
Joe Biden müsste nach der katastrophalen TV-Debatte auf die Kandidatur selbst verzichten. Aber das wird er erst tun, wenn der Druck aus der Partei zu groß wird
Selbst in einer Katastrophe findet sich meist ein Lichtblick: Hätte US-Präsident Joe Biden in der TV-Debatte gegen Donald Trump eine mittelmäßige Leistung geliefert, wäre seiner weiteren Kandidatur nichts mehr im Weg gestanden – auch bei geringen Siegeschancen. Nach dem schockierend schlechten Auftritt von Donnerstagnacht aber wird sich in der Demokratischen Partei etwas bewegen. Denn wenn Biden bleibt, dann ist die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus eine fast sichere Sache. Und das könnte sich als Todesstoß für die US-Demokratie und die Reste der westlichen Weltordnung erweisen.
Führende US-Kommentatoren und Berater, die den Demokraten nahestehen oder zumindest Trump ablehnen, flehen Biden nun an, seinen Kampf um die Wiederwahl freiwillig aufzugeben und anderen Kandidatinnen oder Kandidaten den Weg freizumachen. Denn es ist nicht zu erwarten, dass sich Biden im weiteren Wahlkampf, etwa bei einer zweiten TV-Debatte, verbessert. Er hat sich schließlich eine Woche lang auf diesen Auftritt vorbereitet. Und allein die Videoclips des Abends reichen aus, um alle Zweifel, die Wähler schon seit Monaten an seiner Kompetenz hegen, zu bestätigen. Wenn Biden mit 81 Jahren schon körperlich so gebrechlich und geistig so verwirrt wirkt, wie wäre er dann erst mit 86, wenn seine zweite Amtszeit zu Ende ginge?
Die Entscheidung über Antritt oder Rücktritt liegt allein bei Biden und seiner Familie. Denn nachdem er in den Vorwahlen keine ernsthaften Gegner hatte, sind praktisch alle Delegierten auf dem Parteitag Ende August in Chicago an ihn gebunden. Aber das heißt nicht, dass seine Parteifreunde passiv darauf warten müssen, dass ein störrischer Greis Einsicht beweist. Es liegt an den Demokraten, die drohende Katastrophe einer zweiten Trump-Präsidentschaft abzuwenden.
Der Druck aus der Partei muss in den kommenden Tagen so stark werden, dass der Kreis rund um Biden dies nicht mehr als intrigantes Gezeter abtun kann. Und die potenziellen Alternativen müssen sich aus der Deckung wagen und ihre Bereitschaft, anstelle von Biden anzutreten, offen verkünden – nicht aus persönlichem Ehrgeiz, sondern zur Rettung der Nation.
Risiko einer Schlammschlacht
Vor allem die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, wäre gefragt. Sie ist 52 Jahre jung, politisch moderat, populär und stammt aus einem jener Bundesstaaten, die die Präsidentenwahl entscheiden können. Vor allem hat sie den großen Vorteil, eine Frau zu sein. Denn es reicht nicht, Biden zum Verzicht zu bewegen, auch seine Vizepräsidentin Kamala Harris, unter anderen Umständen die logische Nachfolgerin, müsste sich zurückziehen. Sie ist genauso unpopulär wie ihr Chef. Aber eine schwarze Frau durch einen weißen Mann wie etwa den Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, zu ersetzen, wäre für den linken Flügel ein Affront. Und nichts würde die Partei nun weniger brauchen als eine identitätspolitische Debatte.
Die Risiken sind groß: Ein offener Parteitag droht in eine Schlammschlacht zwischen dem linken und dem rechten Parteiflügel auszuarten; wer immer statt Biden nominiert wird, hätte gegen Trump, der in der Form seines Lebens ist, einen schweren Stand. Aber alles ist besser als die schmachvolle Niederlage eines wohlmeinenden Präsidenten und der Triumph eines gefährlichen Autokraten, den dann niemand mehr stoppen kann.
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