An America Prone to Violence

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Im gewaltbereiten Amerika

Es hat in der amerikanischen Geschichte schon viele Attentate auf Präsidenten und Kandidaten gegeben. Schon deshalb sollte man sich davor hüten, die Schüsse von Butler vorschnell als direkte oder gar zwangsläufige Folge der gegenwärtigen politischen Unversöhnlichkeit zu verbuchen, auch wenn Donald Trump – das Opfer – den Hass so konsequent aufkocht und abschöpft wie kaum jemand vor ihm. Es bleibt abzuwarten, was die Ermittlungen über das Motiv und das Vorgehen des jungen Mannes ergeben, der, wie Präsident Joe Biden zurecht formulierte, ein „krankes“ Verbrechen begangen hat.

Andersherum ergibt sich ein klareres Bild. Was auch immer den Attentäter zu seiner Tat bewogen hat, sie könnte verheerende Folgen zeitigen. Denn schon vorher war eine sehr große Zahl von Trump-Anhängern überzeugt davon, dass Joe Biden und die Demokraten „alles“ tun würden, um Trump an einer Rückkehr ins Weiße Haus zu hindern.

Verschwörungsmythen über die Demokraten

Viele Millionen Republikaner geben sich weiterhin überzeugt davon, dass Biden und dessen Leute schon vor vier Jahren die Wahlen manipuliert hätten, um Trump von der Macht zu vertreiben. Eine erschütternd große Untergruppe dieser Leute schiebt den Demokraten sogar die Freisetzung des Coronavirus in die Schuhe – denn erst die Pandemie, so ihr Verschwörungsmythos, habe die Bedingungen geschaffen, in dem die Wahl zu Bidens Gunsten habe manipuliert werden können.

Fast unisono verbreiten republikanische Politiker die Behauptung, dass die Biden-Regierung und mit ihr verbündete Demokraten die vier Strafverfahren gegen Trump betrieben, um den politischen Gegner auszuschalten. Seine Verurteilung in New York trägt Trump wie ein Ehrenabzeichen. An der Justiz, auch und gerade am FBI, lassen Trump und dessen Gefolgsleute seit Jahren kein gutes Haar.

Ganz unabhängig davon, was die FBI-Ermittlungen in Pennsylvania also ergeben werden, wie energisch sich Biden von der inakzeptablen Gewalt distanziert und wie Trump das Drama noch ausschlachten mag: Millionen von Amerikanern werden wohl keinen Zweifel hegen, dass das „Establishment“ am Samstag in Butler die nächste Stufe in seinem Kampf gegen Trump, also gegen „das Volk“ gezündet habe.

Schwer bewaffnete Trump-Anhänger

Im harten Kern dieser Trump-Anhänger befinden sich schwer bewaffnete Männer, die nicht zögern würden, selbst zu Gewalt zu greifen – natürlich nur „zur Verteidigung der Demokratie“. Das hat schon der 6. Januar 2021 in Washington gezeigt. Erst vor wenigen Tagen haben namhafte rechte und rechtsradikale Ideologen aus Trumps Umfeld in einem ausführlichen Bericht davor gewarnt, dass die Biden-Regierung „Grenzen in der Verfassung umgehen und den Willen der Wähler missachten könnte, sollten diese einen neuen Präsidenten verlangen“. Die Mahnung kam von denselben Leuten rund um die Denkfabrik Heritage Fundation, die Trump schon vor Monaten mit ihrem „Project 2025“ eine Art Blaupause zum revolutionären Durchregieren erarbeitet hatten.

Von allen Amerikanern wäre Trump vielleicht der einzige, der jetzt die Gemüter kühlen könnte. Die größtmögliche Bühne hätte er dafür: An diesem Montag beginnt der viertägige Nominierungsparteitag der Republikaner in Milwaukee. Sehr wenig spricht aber dafür, dass Trump, der um ein Haar am Samstag getötet worden wäre, im Schock innehält und seiner Verantwortung gerecht wird.

Sein Impuls ist ein anderer, das zeigten noch am Tatort seine geballte Faust und sein Aufruf an die Anhänger, sie sollten „kämpfen“. Schon nach dem Sturm aufs Kapitol vor dreieinhalb Jahren hat Trump zwar Aufrufe zur Friedfertigkeit verschickt, hinter denen sich seine Leute und er bis heute verstecken; auch jetzt verschickte Trump einen Aufruf zum Zusammenstehen und überließ die Vorwürfe gegen Demokraten anderen Republikanern. Trump hat zugleich in früheren Fällen aber stets die Gewalttäter in Schutz genommen, wenn nicht angestachelt. Zu Beginn seiner ersten Präsidentschaft versprach Trump, das „amerikanische Gemetzel“ zu beenden. Im aktuellen Wahlkampf versprach er den Amerikanern: „Ich bin Eure Vergeltung.“

Auch Joe Biden fand am Wochenende die richtigen Worte. Er suchte das Gespräch mit Trump, bekundete auch den anderen Opfern sein Mitgefühl und verlangte rhetorische Abrüstung. Das Attentat und die Trump-Show in Milwaukee dürften die Aufmerksamkeit kurz von der Debatte über die geistige Fitness des 81 Jahre alten Amtsinhabers ablenken.

Andererseits hat sich das Dilemma der Demokraten noch verschärft: Trump wirkt nach dem Mordversuch nur noch stärker. Biden dagegen ist jetzt auch noch der Oberbefehlshaber eines Landes, in dem ein (mutmaßlich) politisches Attentat geschehen konnte. Er hat schon eine unabhängige Untersuchung gefordert, warum der Secret Service beim Schutz der Kundgebung versagte.

Die Stabilität zu wahren, gehört zu den wichtigsten Regierungsaufgaben nach solchen Ereignissen. Eine chaotische Konkurrenz um die demokratische Präsidentschaftskandidatur wäre das Gegenteil von Stabilität. Genauso wie ein Sieg von Donald Trump.

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