Nach Rückzug von Biden
Ihre Partei droht zu zerfallen
Joe Biden gibt den Weg frei für Kamala Harris. Als Vizepräsidentin war sie eher eine Enttäuschung. Jetzt muss sie zeigen, dass sie Donald Trump standhalten kann. Ihre Chancen stehen nicht einmal schlecht.
Joe Biden zieht sich zurück. Er macht den Weg frei für Kamala Harris. Dafür gebührt ihm Anerkennung und seine Partei sollte es ihm danken. Biden kann seine Präsidentschaft jetzt mit Anstand beenden. Ab jetzt ist er nur noch eine Nebenfigur in dieser wichtigen Phase der amerikanischen Geschichte.
Ins Zentrum rücken nun zwei Menschen, die das bis zum Zerreißen gespaltene Amerika versinnbildlichen. Der Frauenverächter Donald Trump bekommt es mit einer Frau zu tun. Der ultimative alte weiße Macho steht gegen eine Frau, die eine Inderin als Mutter und einen Jamaikaner zum Vater hat. Illiberal trifft auf liberal. Er ist 78 und damit ist er der Alte, der sich dafür rechtfertigen muss. Sie wird im Oktober 60, auch nicht die Jüngste, aber eben 18 Jahre jünger als Trump. Und schließlich steht New York gegen Kalifornien, Wall Street gegen Hi-Tech.
Harris kämpfte mit unangenehmen Aufgaben
Aus heutiger Sicht wäre es natürlich besser gewesen, wenn Joe Biden seine Vizepräsidentin als seine Nachfolgerin aufgebaut hätte. Hat er aber nicht, wollte er nicht. Vielleicht vertraute er ihr nicht und bedachte sie deshalb mit unangenehmen Aufgaben wie der Grenzsicherung. Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings, dass sie sich gegen Zumutungen nicht wehrte. Sie schien sich damit zu begnügen, Vizepräsidentin zu sein. Dieses Stigma muss sie schnell abstreifen.
Wer Präsidentin werden will, muss es wirklich wollen, mit allen Fasern ihrer Person. Wahlkampf in Amerika ist die Hölle. Kamala Harris’ Leben wird nun ausgeleuchtet, abgetastet, auf den Kopf gestellt. Sie war zuerst Bezirksanwältin und dann Generalstaatsanwältin. Die Todesstrafe vermied sie. Ihre Hautfarbe spielt in ihrem Leben eine Rolle. Sie und ihre kleine Schwester waren isoliert. Dazu sagt Kamala Harris: “Die Kinder in der Nachbarschaft durften nicht mit uns spielen, weil wir schwarz waren.”
Trump kennt keine Rücksicht
Donald Trump kennt keine Skrupel und Grenzen sind ihm fremd. Er wird sich auf sie stürzen und sie schlechtreden. Rücksicht verbietet sich aus seiner Sicht schon einmal deshalb, weil Schwarze ihn ohnehin nicht wählen. Entscheidend wird sein, ob die großen Geldgeber der Demokraten Kamala Harris zutrauen, Trump zu verhindern oder nicht
Auf dem Spiel steht viel. Im Jahr 2008 besiegte Barack Obama den Konkurrenten John McCain. Kamala Harris ist nicht Obama und gegen Trump war McCain ein Waisenknabe. Dennoch dürfte sich verschärft wiederholen, was sich damals nur andeutete: Das weiße republikanische Trump-Amerika wird alle Register ziehen, um eine schwarze Frau im Weißen Haus zu verhindern.
Harris liegt schon ab Start zurück
Bis zum 5. November ist noch viel Zeit. Die nächste Etappe ist der Parteitag der Demokraten ab dem 19. August. Dort muss Kamala Harris einen Sog entfalten, der diese zerrissene, gespaltene Partei mitreißt. Gelingt es ihr nicht, wächst sofort die Kritik an ihr. Ihre fragile Partei würde sofort wieder in viele Partikularinteressen zerfallen.
Die gute Nachricht für Kamala Harris kommt aus der Demoskopie. Der knappe Vorsprung Donald Trumps ist immer noch knapp. Er ist in der Endphase des Kandidaten Biden nicht gewachsen, wie man meinen könnte, er stagniert. Daraus folgt, dass Harris das Ruder noch herumreißen kann. Die Voraussetzung ist selbstverständlich eine kluge Strategie, durch die unentschlossene Wähler angezogen werden.
Arbeiterklasse steht hinter den Republikanern
Auf Dauer genügt es nicht, Donald Trump als Lügner, Kriminellen und Demokratiefeind zu bezeichnen. All das ist er, aber das weiß jetzt auch jeder und es kann ihm in seiner Anhängerschaft nichts anhaben. Es verfängt auch nicht, immer wieder an das Kapern des Kapitols zu erinnern. Es gibt Richter, von Trump eingesetzt, die in seinem Sinne urteilen. Darüber zu jammern ist ebenso verständlich wie nutzlos. Die Demokraten müssen einsehen, dass der Trumpismus zu einer Weltanschauung geworden ist, die über Trump hinausweist.
Die Republikanische Partei, die einst die Partei der Wall Street war, hat sich in eine Partei der Arbeiterklasse verwandelt, wie sich im übrigen auch rechte Parteien in Europa wandeln. Der Vize und damit politische Erbe, den Trump wählte, J. D. Vance, kommt aus einer prekären Familie und schrieb ein Buch (“Hillbilly Elegy”) über die Probleme der weißen Arbeiterklasse. Dieser Schicht zollt Trump Respekt, so merkwürdig es auch anmutet, wenn ein New Yorker Geschäftsmann sich zum Champion der Entrechteten und Verlorenen im Lande aufschwingt.
Gefahr durch Veränderung
Trump und Vance entwerfen ein düsteres Bild der Gegenwart. Kriminelle Horden strömen ins Land. China beutet Amerika aus und Europa legt sich auf die faule Haut, anstatt angemessen in die Nato einzuzahlen. Der Krieg in der Ukraine kostet zu viele Milliarden Dollar. Gefahr durch Veränderung, wohin immer auch Trump und Vance blicken.
Schon wahr, Unsicherheit und Unübersichtlichkeit bereiten breiten Wählerschichten Angst. Sie verlangen nach Garantien für mehr Sicherheit in jeder Form. Trump verspricht Schutz vor der Dynamik des Globalismus, der sich nirgendwo stärker ausprägt als in Amerika. Aber diese destruktive Kraft des Kapitalismus ist für Trump und seine Wähler nur die Schuld der Eliten an Ost- und Westküste, die sich um die sozialen Folgen der Entindustrialisierung wenig scheren.
Trumps Pessimismus durchdringt die Partei
Düstere Erzählungen sind immer noch ungewöhnlich für einen Kandidaten der Republikaner. Der idealtypische Vertreter des Gegenteils war Ronald Reagan. Für ihn war die Zukunft rosig. An jedem Tag, den Gott werden ließ, ging die Sonne golden für Amerika auf. Und die Implosion des Kommunismus war für ihn nur eine Frage der Zeit.
Amerika ist eigentlich identisch mit Optimismus. Optimismus verhalf zu Erfolgen. Pessimismus war die Ideologie der Verlierer. Pessimismus war unamerikanisch. Insofern hat Trump die republikanische Partei wirklich nach seinem Bild geformt.
Die Bühne gehört jetzt Harris
Was folgt für Kamala Harris und die Demokraten daraus? Sie müssen ihre Neigung zügeln, in Trumps Wählern nur Verirrte zu sehen und ihnen falsches Bewusstsein zu attestieren. Und der düsteren Weltanschauung des Trumpismus sollten sie eine Prise Optimismus entgegensetzen. Dazu ließe sich an die alte Erzählung anknüpfen, die Reagan, aber auch Bill Clinton und Barack Obama ins Weiße Haus trug. Schließlich hat sich Amerika in seiner Geschichte immer wieder neu erfunden. Warum nicht auch jetzt?
Kamala Harris strahlt diese Zuversicht aus. Sie besitzt dieses ansteckende Lachen und eine besondere Herzlichkeit. Die Bühne gehört jetzt ihr. Das ganze Land wird sie gespannt unter die Lupe nehmen. Bis zum 5. November kann sie zeigen, was in ihr steckt. Hat sie die gläserne Härte, die Widerstandskraft und die Ausdauer, Trumps Gemeinheiten zu verkraften und ihr Narrativ durchzusetzen, kann sie durchaus die erste schwarze Präsidentin Amerikas werden. Wir sollten es ihr wünschen.
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