USA: Die Demokraten stehen vor ihrem Eignungstest
Israel als schwierigste Frage: die Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten, Kamala Harris. (Foto: Elizabeth Frantz/REUTERS)
Kamala Harris hat die Stimmung in Amerika gedreht. Es kann nur um eines gehen: Wollt ihr Donald Trump – oder wollt ihr eine Zukunft? Der Parteitag in Chicago wird zur Prüfung.
Kamala Harris hat Bemerkenswertes erreicht in nur vier Wochen: Die politische Dynamik in den USA hat sich ausweislich der Umfragen gedreht, die Zahl der umkämpften Bundesstaaten ist zugunsten der Demokraten gestiegen, Donald Trump steckt in einem tiefen Loch. Die Wählererwartung kreist nicht mehr um die Vergangenheit, sondern beschäftigt sich mit der Zukunft.
Bleibt also die Frage, ob die Frau an der Spitze der Demokraten diesen Trend ausbauen und die Präsidentschaftswahl zu einem sicheren Erfolg führen kann. Die Antwort: Kann sein, kann aber auch nicht sein, weil die Lagerbildung in den USA keine Sache von Stimmungen ist, sondern ein tief eingefrästes gesellschaftliches Phänomen. Auch Hillary Clinton gewann 2016 eine überwältigende Mehrheit aller im Land abgegebenen Stimmen, aber die im Wahlsystem eingebaute Ungerechtigkeit kostete sie die Präsidentschaft. Am Ende geht es um ein paar Zehntausend Stimmen in fünf oder sechs Bundesstaaten, um die Mobilisierung in bestimmten Distrikten, um die eine verpasste Chance oder den einen dummen Patzer.
Deswegen ist der bevorstehende Parteitag der Demokraten mehr als ein Jubelfest über den gerade noch geglückten Kandidatenwechsel. So wie der Republikaner-Parteitag in der Rückschau zu einer uninspirierten Heiligenverehrung schrumpft, so steckt die Demokraten-Versammlung voller Risiken, die sich dauerhaft auf die Wahrnehmung der Partei und ihrer Kandidatin auswirken können. Das Trump-Lager wartet nur darauf, Kamala Harris als Marionette einer linken und woken Revolutionsgesellschaft zu zeichnen, die aus Loyalität zu Joe Biden den Niedergang Amerikas kaschiert.
Der Parteitag bietet Potenzial, dieses Harris-Bild zu bestätigen. Schon vor Harris’ Übernahme war gewiss, dass Chicago der Ort der Klärung sein soll für die ideologische Gretchenfrage der Demokraten: Wie hältst du es mit den Palästinensern, wie hältst du es mit Israel? Harris hat es an Mahnungen und Bitterkeit gegenüber Israel nicht mangeln lassen, aber sie wird die hohen Erwartungen der unentschlossenen Demokraten-Wähler aus dem Vorwahlkampf nicht erfüllen können. Israel bleibt Israel – für eine potenzielle Präsidentin der USA ein fester geopolitischer Faktor. Einen Krieg-und-Frieden-Parteitag kann sie nicht zulassen, zumal der Vergleich zur legendären Demokraten-Convention 1968 in Zeiten der Rassenunruhen, der Studentenproteste und des Vietnamkriegs falsch ist. 2024 ist nicht 1968, Amerika befindet sich heute nicht im Krieg.
Kamala Harris kann sich nicht von Joe Biden lossagen
Problem Nummer zwei für Harris ist der Umgang mit Joe Biden. Die Partei und mehr noch die Wähler wünschen sich eine Distanzierung vom amtierenden Präsidenten. Die Biden-Dämonisierung nimmt groteske Züge an und zwingt Harris zu einem schier unmöglichen Spagat: Sie kann sich als Vizepräsidentin nicht von der Politik Bidens und auch nicht vom Menschen Joe Biden lossagen. Mehr noch: Es gibt gar keinen Anlass, den Gesang vom Niedergang anzustimmen. Die Arbeitslosenquote steht bei nur 4,3 Prozent, die Inflation bei 2,9 Prozent. Die angeblich vergessene Mittelschicht hat wirtschaftlich von der Biden-Regierung profitiert.
Harris würde in die Falle tappen, wenn sie den Parteitag zum Befindlichkeitstest für die Demokraten macht. Die letzten vier Wochen haben gezeigt, was das eigentliche Thema sein muss: Wollt ihr Donald Trump – oder wollt ihr eine Zukunft?
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