Das Ziel ist, Spannungen abzubauen: Jake Sullivan, der amerikanische Sicherheitsberater, ist für Gespräche in Peking. Es soll um Taiwan gehen, Russlands Krieg gegen die Ukraine, Chinas Machtspiele im Südchinesischen Meer. Der Zeitpunkt ist kritisch. Die Präsidenten Joe Biden und Xi Jinping haben bei ihrem Treffen in San Francisco vor neun Monaten eine gewisse Stabilität in den Beziehungen erreicht. Doch die Risiken einer Eskalation bestehen fort. Zudem wählen die Amerikaner im November einen neuen Präsidenten oder eine Präsidentin. Mit Letzterem hat Peking bis vor kurzem nicht gerechnet.
China kennt Trump, nicht aber Harris
Der Aufstieg von Kamala Harris zur verheissungsvollen Präsidentschaftskandidatin der Demokraten hat Peking auf dem falschen Fuss erwischt. Denn während Peking den Umgang mit Trump geübt hat, ist Harris ein kaum beschriebenes Blatt. Sie war noch nie in China und hat den Staatschef Xi Jinping erst einmal kurz getroffen.
Harris’ Wahl für das Amt des Vizepräsidenten, Tim Walz, ist zwar ein ausgewiesener Chinakenner, aber auch ein scharfer Kritiker der Menschenrechtslage im Land. Es ist unklar, wie viel Einfluss Walz in der Aussenpolitik überhaupt haben könnte. Die politische Führung in Peking ist verunsichert darüber, was eine Harris-Walz-Regierung für China bedeuten würde.
In den Gesprächen von Sullivan mit Wang Yi, dem höchsten Aussenpolitiker in China, wird es deshalb auch darum gehen, was China bei einem Sieg von Kamala Harris zu erwarten hätte. Die grossen Linien von Bidens Chinapolitik würde Harris wahrscheinlich beibehalten, so etwa die Exportkontrollen bei Hochleistungschips. Trumps Pläne, Zölle auf chinesische Importe stark zu erhöhen, hat sie jedoch mehrfach kritisiert. Diese kleinen Verschiebungen machen den Unterschied.
Seit Harris Präsidentschaftskandidatin ist, hat sie sich im Gegensatz zu Trump kaum zu China geäussert. Immerhin: Die USA, und nicht China, würden das Rennen um das 21. Jahrhundert gewinnen, erklärte sie in ihrer Rede zum Abschluss des demokratischen Parteitags in Chicago von vergangener Woche. Harris’ Verhalten als Vizepräsidentin oder Senatorin liefert weitere Hinweise darauf, wie sie zu China steht.
Bevor sie Vizepräsidentin wurde, hatte sie mit Aussenpolitik wenig am Hut. In den vergangenen vier Jahren reiste sie viel, traf Staatschefs – auffällig häufig in Asien. So etwa William Lai, bevor er der neue Präsident Taiwans wurde, den philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos oder Fumio Kishida, den abtretenden japanischen Ministerpräsidenten. Mit Xi und dessen Nummer zwei, Li Qiang, hatte sie kurze Gespräche.
Im Senat unterstützte Harris 2019 einen Gesetzesentwurf zu Hongkong, im Jahr darauf einen zur Uiguren-Region Xinjiang. Ob das heisst, dass Harris stärkere Akzente im Bereich der Menschenrechte setzen wird, bleibt offen.
Für China ist Trump das kleinere Übel
Vor den grössten Herausforderungen steht Chinas Propaganda. Bidens Rückzug sorgte in Peking für Kopfzerbrechen. Kommentare, die Bidens Entschluss als selbstlos oder patriotisch bezeichneten, wurden auf Social Media gelöscht – sie könnten als versteckte Aufforderung an Xi Jinping verstanden werden. Xi hat die Amtszeitbegrenzung 2018 aufgehoben und kann nun potenziell lebenslang regieren.
Ein Wahlkampf zwischen Trump und Biden hatte eine Steilvorlage dafür geboten, das Bild einer defekten Demokratie zu zeichnen: Bürger müssten sich zwischen zwei Übeln, zwei alternden weissen Männern, entscheiden. Und nun könnte eine 59-jährige schwarze Frau Präsidentin der USA werden.
Für China sind auch Trump und Harris zwei Übel: eines, mit dem es vertraut ist, Trump, und ein grosser Unsicherheitsfaktor, Harris. Trump ist wahrscheinlich das kleinere Übel. Er ist zwar unberechenbar, aber seine Alleingänge und seine «America First»-Politik schaden dem internationalen Image der USA, was wiederum China nützt.
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