Die USA nach der Wahl: Vom Rechtsstaat zum Rechts-Staat
Trumps Triumph bei den Wahlen ist viel weitreichender als zunächst erkennbar. Mit einem gefügigen Kongress und Supreme Court hat der Präsident viel mehr Macht als seine Vorgänger. Die amerikanische Demokratie steht vor einer existenziellen Bewährungsprobe, kommentiert Karl Doemens.
Das Schlimmste am Zahnarztbesuch ist nicht das Bohren, sondern der Moment, in dem die Betäubung verschwindet. So ähnlich verhält es sich mit der amerikanischen Präsidentschaftswahl. Am Morgen danach verfiel das liberale Amerika erst in einen Schockzustand. Nun kehrt das Bewusstsein zurück. Mehr Stimmen sind ausgezählt, das Gesamtbild wird sichtbar – und es ist noch schlimmer als befürchtet.
Donald Trump hat nicht nur einen Erdrutschsieg errungen, sämtliche „Swing States“ erobert und erstmals seit Jahrzehnten als Republikaner auch die absolute Mehrheit aller Stimmen gewonnen. Mit dem am 20. Januar bevorstehenden Regierungswechsel in Washington stehen die USA vor einer gewaltigen tektonischen Verschiebung, die das traditionelle System der „Checks and Balances“, der Gewaltenteilung, nachhaltig aus dem Lot zu bringen droht.
Vom Reality-TV-Star zum Rächer
Dass mit Trump ein verurteilter Straftäter, notorischer Lügner und Putsch-Aufwiegler ins Präsidentenamt zurückkehrt, ist schon beunruhigend genug. Manch ein Beobachter tröstet sich damit, dass die Welt auch die ersten vier Präsidentschaftsjahre des Rechtspopulisten überlebt hat. Doch 2024 ist fundamental anders als 2016. Nicht nur zog damals ein unerfahrener Ex-Reality-TV-Star ins Weiße Haus, während nun ein von Rachsucht getriebener Parteiführer mit klarer Agenda zurückkehrt. Vor allem verfügt Trump über eine Machtfülle wie keiner seiner Vorgänger.
Normalerweise wird der Präsident durch den Kongress und die Justiz ausbalanciert. Doch bei der Wahl konnten die Republikaner auch die Mehrheit im Senat holen – und zwar mit mindestens 53 der 100 Sitze, sodass die beiden parteiinternen Gelegenheits-Abweichler Susan Collins und Lisa Murkowski neutralisiert sind. Die endgültige Auszählung der Repräsentantenhausstimmen kann noch Tage dauern. Doch im Moment deutet alles darauf hin, dass die Demokraten hier ebenfalls in der Unterzahl sind. Während Trump beim ersten Mal mit seinen extremsten Vorschlägen im Kongress scheiterte, kann er dieses Mal daher nach Belieben loyale Richter ernennen, Zölle einführen oder die Bediensteten ganzer Behörden austauschen.
Ein dauerhaft rechter Supreme Court
Nicht einmal die Grenzen des Gesetzbuches muss er einhalten. Das oberste Gericht des Landes hat ihm schließlich für Amtsgeschäfte grundsätzliche Immunität zugebilligt. Am Supreme Court selbst gibt es schon jetzt mit 6:3 eine rechte Mehrheit. Die Richter sind auf Lebenszeit ernannt. Es ist denkbar, dass zwei über 70-jährige Republikaner während Trumps Amtszeit in den Ruhestand gehen. Dann könnte der Präsident deutlich jüngere Nachfolger ernennen und die rechte Mehrheit am Verfassungsgericht für Jahrzehnte zementieren.
Trumps Leitplanken sind sein Narzissmus und seine Geltungssucht, nicht irgendwelche Normen oder Institutionen. Er selbst hat offen angekündigt, „Diktator für einen Tag“ sein zu wollen, seine Kritiker „Feinde im Inneren“ genannt und mit dem Einsatz des Militärs auf amerikanischen Straßen gedroht. Anders als in der ersten Amtsperiode wird niemand in der Nähe sein, der den 78-Jährigen vor seinen schlimmsten Impulsen schützt. Kein Außenminister Rex Tillerson, auf den seinerzeit die deutsche Politik irrig setzte, kein Verteidigungsminister Jim Mattis, der inzwischen vor Trumps „Gefahr“ warnt, und nicht einmal Mike Pence, der am Ende immerhin Rückgrat zeigte. Dieses Mal wird Trump nur ergebene Berater und Propagandisten dulden. Darauf deutet schon seine erste Personalentscheidung hin. Beim letzten Mal hatte er den Posten des Chief of Staff, der die Regierungsarbeit koordiniert, mit Ex-General John Kelly besetzt, der ihn mittlerweile einen „Faschisten“ nennt. Dieses Mal befördert er Susan Wiles, die Chefin seiner Wahlkampagne, ins Weiße Haus.
Man braucht keine Fantasie, um sich Trumps erste Tage im Amt vorzustellen. Er selbst hat öffentlich Massendeportationen von irregulären Migranten, Säuberungsaktionen im Justizministerium und beim FBI sowie die Strafverfolgung führender Demokraten angekündigt. Die Verfahren gegen seine Person wird er natürlich niederschlagen. Er will bislang verpflichtende Impfungen abschaffen, Umweltschutzauflagen schleifen und Oligarchen mit der Zerschlagung der Verwaltung beauftragen. Die Horrorliste ließe sich fast endlos fortsetzen.
Ein einziger, kleiner Hoffnungsschimmer bleibt: Bei den Midterms in zwei Jahren könnten sich die Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus wieder ändern. Das würde Trump möglicherweise bremsen – aber nur, wenn er bis dahin den Rechtsstaat USA nicht schon zu einem autoritären Rechts-Staat deformiert hat.
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