Die Zeit einer amerikanischen Präsidentin wird kommen
Angesichts der Newslage der letzten Wochen könnte man meinen, dass sich das Weltgeschehen der negativen Utopie von Aldous Huxley annähert. Doch dies ist mein letzter Text für dieses Jahr – er soll hoffnungsvoll sein.
Das ist nicht ganz einfach angesichts der Tatsache, dass über 75 Millionen US-Amerikanerinnen und Amerikaner gerade einen verurteilten Straftäter zu ihrem Präsidenten gewählt haben. Die Mehrheit der weissen Frauen im Land hat einen Mann gewählt, der seine erste Ehefrau vergewaltigt hat und der wegen der Verschleierung von Schweigegeldzahlungen an einen Pornostar verurteilt wurde. Sie haben ihn erneut einer hochqualifizierten Frau vorgezogen. Zu begreifen ist das – für mich zumindest – nicht.
Wie prekär die Lage für Frauen in Amerika werden dürfte, zeigt sich beispielsweise daran, dass einen Tag nach der Wahl die Verkäufe der Pille danach um 930 Prozent angestiegen sind. Bei den meisten Käufen handelt es sich um Mehrfachbestellungen. Auch die Terminbuchungen für Vasektomien haben in den Tagen seit der Wahl zugenommen.
Schulbuben rufen den Mädchen auf dem Pausenplatz «Your body, my choice» hinterher. Viele Anhänger Trumps sind der Ansicht, dass sie keine Zustimmung der Frau brauchen, um mit ihr zu schlafen. Der erste Präsident in 234 Jahren, der sich «convicted felon» nennen darf, hat vor allem junge Männer zahlreich mobilisiert und von sich überzeugt. Die Macht des Patriarchats ist in den USA wiederhergestellt, sofern sie denn überhaupt je gebrochen war.
Obwohl Trumps Wahl leider zu erwarten war, ist man offenbar fassungslos, wie das wieder und in dieser Deutlichkeit passieren konnte. Dennoch kommt die Wahl Trumps nicht überraschend. Aus zwei Gründen.
Er hat in seiner Kampagne konsequent die Grundbedürfnisse der amerikanischen Mittel- und Unterschicht adressiert – Benzinpreise, Kaufkraft, Migration – und daneben seine Konkurrentin denunziert. Es war eine Kombination aus dem Versprechen von einfachen Lösungen für komplexe Probleme, Misogynie und einem beeindruckenden Lügengebilde, das Donald J. Trump zum 47ten Präsidenten der Vereinigten Staaten gemacht hat. Was aber für die Menschen, die Trump gewählt haben, entscheidend war: Sie sind überzeugt, dass er die wirtschaftlich prekäre Situation der Amerikanerinnen und Amerikaner verbessern würde. Er hat es ihnen schliesslich versprochen.
Ein Faktor aber, der noch stärker ins Gewicht gefallen sein dürfte als Trumps hasserfüllte Kampagne, war der schlechte Zustand seiner Gegner, den Demokraten. Allen voran diejenige des amtierenden Präsidenten Joe Biden.
Eigentlich hat Kamala Harris bei der ihr gegebenen Ausgangslage einen sehr guten Job gemacht. Sie hatte kaum Zeit, einen Wahlkampf zu planen. Sie musste sich innerhalb kürzester Zeit positionieren und sich von Joe Biden distanzieren, ohne den Präsidenten zu stark anzugreifen. Vielleicht ist sie deshalb in ihren politischen Positionen vage geblieben. Vielleicht wollte sie – im Gegensatz zu Trump – auch einfach nicht lügen. Sie hat aber einen innovativen Online-Wahlkampf geführt und innerhalb kürzester Zeit ganz Hollywood hinter sich geschart.
Natürlich ist sie auch an einem altbekannten Problem der Demokraten gescheitert. Sie war dem Generalverdacht ausgesetzt, Teil der intellektuellen politischen Elite zu sein, die wenig Verständnis für die Probleme der einfachen Menschen hat. In erster Linie aber hatte sie zu wenig Zeit, um die Menschen von sich zu überzeugen.
Das darf sich 2028 nicht wiederholen. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Auf den ersten Blick würde es einer gewissen Logik folgen, wenn die Demokraten jetzt wieder auf einen männlichen Kandidaten setzen würden. Auf den zweiten Blick aber wäre es viel besser, gerade jetzt auch weibliche Kandidatinnen für 2028 aufzubauen. Die Demokraten müssen nicht nur beweisen, dass sie wieder Wahlen gewinnen können. Sie sollten unbedingt beweisen, dass sie eine Wahl mit einer Kandidatin gewinnen können. In diesem Sinne bin ich zuversichtlich, dass 2028 eine historische Wahl werden wird. Die Zeit mag immer noch nicht reif sein für eine amerikanische Präsidentin, aber sie wird kommen.
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