Trudeau macht den Biden
Kanadas liberaler Premier hätte früher zurücktreten müssen. Die politischen Turbulenzen in Kanada kommen zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt
Kommentar
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Manuela Honsig-Erlenburg
7. Jänner 2025, 15:13
Erinnert Sie dieses Szenario an irgendetwas? Trotz sinkender Umfragewerte, einer Reihe von Verlusten bei Nachwahlen und großen parteiinternen Drucks beharrt der führende Politiker darauf, dass er immer noch am besten dafür geeignet sei, seine Partei in die nächste Wahl zu führen. Nur wenige Monate vor dem Beginn der intensiven Wahlkampfphase gibt er endlich dem Druck der Öffentlichkeit und seiner Partei nach und hat ihr damit wenig Zeit gelassen, sich neu zu formieren.
Genau. Der kanadische Premier Justin Trudeau hat in Kanada den Biden gemacht – also bis zuletzt ignoriert, dass ihn selbst seine eigene Partei nicht mehr als den geeigneten Kandidaten für die bevorstehende Wahl sieht. Biden wie Trudeau gaben durch ihre Weigerung, das Offensichtliche zu akzeptieren, nicht nur die Chance auf, zu ihren eigenen Bedingungen abzutreten. Sie hinterlassen ihren Staaten auch unnötiges Chaos in Krisenzeiten.
Trudeaus Umfragewerte und die seiner Liberalen Partei sind schon lange im Keller. Die Entscheidung, 2021 Neuwahlen auszurufen, zwei Jahre vor dem Termin und inmitten einer weltweiten Pandemie, erwies sich als politischer wie strategischer Fehler. Zwar konnte Trudeau einen knappen Wahlsieg verbuchen, die überdurchschnittlich in die Höhe schnellende Inflation, die die kanadische Bevölkerung nun dem einstigen liberalen Star anlastete, gab Trudeaus Regierung aber den Rest.
Drohender Zollstreit
Spätestens nach dem Rücktritt seiner langjährigen Vertrauten und Finanzministerin Chrystia Freeland im Streit um die richtige Vorbereitung auf den drohenden Handelskrieg mit den USA war klar, Trudeau wird selbst von seiner eigenen Partei als wirtschaftliches Risiko gesehen, das die reelle Gefahr für die kanadische Wirtschaft durch Trumps angedrohte Zölle ignoriert.
Nun ist das politische Vakuum, das ein ungeplantes Interregnum zum falschen Zeitpunkt aufmacht, das Problem. Donald Trump tritt sein Amt in weniger als zwei Wochen an. Bis in Kanada wieder stabile politische Verhältnisse herrschen, wird es Monate dauern. Bis dahin kann sich Trump noch ein paar Scherze über Trudeau, den “Gouverneur des 51. US-Bundesstaats”, ausdenken und sich auf “eingehende Gespräche über Zölle und Handel” freuen.
Der ehemalige Politstar kann den Scherbenhaufen, den er seinem – vermutlich konservativen – Nachfolger hinterlässt, zumindest dadurch verkleinern, dass er diesen mit an den US-Verhandlungstisch nimmt. Denn Trudeau ist dort eine “lame duck”, wie Biden. (Manuela Honsig-Erlenburg, 7.1.2025)
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