Realpolitik mit Werten: Wie die EU Trump begegnen soll
Ab Montagabend mitteleuropäischer Zeit wird Donald Trump neuer US-Präsident sein. Endlich, ist man geneigt zu sagen, denn damit werden die Spekulationen darüber, was und wie Trump entscheiden und sein Amt führen wird, allmählich ein Ende finden. So manches, was seit dem 5. November darüber gesagt und geschrieben wurde, dürfte sich im Nachhinein als intellektuelle Kaffeesatzleserei erweisen. Denn an seiner erratischen, zuweilen weltfremden Art, die seine erste Amtszeit mitprägte, hat sich offensichtlich wenig geändert. Dennoch wurde wochenlang ernsthaft darüber diskutiert, was wohl passieren wird, wenn Trump binnen 24 Stunden den Ukraine-Krieg beenden würde. Was schon in den Sekunden, als er das ankündigte, völliger Unsinn war. Denn es steht schlicht und einfach nicht in seiner Macht, das umzusetzen. Worauf er mittlerweile offenbar selbst gekommen ist und die Frist auf sechs Monate verlängert hat.
Andere Drohungen könnte man ernst nehmen – Einnahme des Panama-Kanals, Grönlands –, denn mit dem Ablauf der russischen Annektierung der Krim besteht eine praxistaugliche Blaupause für solche Unternehmungen. Und es mangelt im Umkreis des künftigen US-Präsidenten vermutlich nicht an wirren Köpfen, die das „cool“ finden würden. So wie es Elon Musk eben „cool“ fand, als Meta-Chef Mark Zuckerberg die Faktenprüfer unter anderem bei Facebook abschaffte. Dennoch dürfte man darauf vertrauen können, dass es nicht so kommen wird.
In Washington werden trotzdem bald neue Realitäten geschaffen, von denen zuvorderst die Menschen in den USA betroffen sein werden, die jedoch auch – Stichwort Zölle und Handelskrieg – in Europa Auswirkungen haben werden. Mit Trump müsse sich die Welt auf eine neue Realpolitik einstellen, heißt es. Was im besten Fall mit Interessenpolitik beschrieben werden kann, die jedoch im schlimmsten Fall in rücksichtsloser Machtpolitik mündet. Diese Aussicht erklärt denn auch die Begeisterung der Rechtspopulisten und Rechtsextremen in Europa für Trump und seine Milliardärsfreunde aus der Tech-Branche. Denn die heraufziehende Wende in der US-Politik hat wenig mit der wertebasierten Herangehensweise zu tun, wie sie die Europäer bislang noch bevorzugen. Das Recht des Stärkeren ist Trumps Leitlinie.
Daher sollte in der EU auf jene gehört werden, die empfehlen, der Trump-Administration auf Augenhöhe zu begegnen und nicht kleinlaut nachzugeben. Das bedeutet ebenfalls, zu den Werten und Prinzipien zu stehen, die Trump und seine Gehilfen nicht nur in den USA aushebeln wollen. Es liegt im Interesse der Europäer, dass sie beispielsweise gegenüber den sogenannten „sozialen Medien“, die außerhalb ihrer Einflusssphäre liegen, an den Regeln des Gesetzes über digitale Dienste festhalten. Denn das von Musk und Co. als Instrument der Zensur bezeichnete Gesetz, mit dem ihrer Ansicht nach die freie Meinungsäußerung eingeschränkt wird, ist ein probates Mittel, um gegen jene Fakenews, Lügen, Hassreden und Manipulationsversuche vorzugehen, die unsere Demokratien unterminieren.
Die EU-Staaten sollten Trump daher eine von Werten gestützte Realpolitik entgegenstellen. Wobei: Auch Realpolitiker kommen nicht umhin, sich wenigstens auf ein Minimum an Werten verlassen zu können. Standhaft bleiben ist daher angesagt. Dafür müssen die 27 allerdings auch einig bleiben. Ob das während der kommenden vier Jahre gelingt?
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