Nur 90 Minuten am Telefon – und schon gibt es eine neue Weltordnung
Der US-Präsident beginnt eine neue Zeitrechnung in der internationalen Politik. Recht und Verbündete zählen nicht mehr, es geht um Stärke und Einflusszonen. Da lacht das russische Diktatorenherz.
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Welt von der Gewissheit geleitet, dass die USA als wirtschaftlich und militärisch mächtigste Nation dieser Erde auch in Europa durch ihre schiere Präsenz für Frieden sorgen. Diese Gewissheit wurde jetzt vom amerikanischen Präsidenten begraben – mit einem Telefonat von 90 Minuten. Donald Trump hat in seinem Gespräch mit dem russischen Diktator Wladimir Putin nicht nur das Schicksal der Ukraine besiegelt und Russland im größten europäischen Landkrieg seit 80 Jahren den Sieg geschenkt. Er hat in Haltung und Worten das Ende der Pax Americana verkündet, der amerikanischen Friedensordnung, die Europa Jahrzehnte der Sicherheit geschenkt und nebenbei den politischen Einfluss der USA auf diesem Kontinent begründet hat. Das ist nun alles Geschichte.
Die historische Tragweite dieses Telefonats kann nicht groß genug eingeschätzt werden. Trumps mäandernder Bewusstseinsstrom hat in nicht mal vier Wochen das amerikanische Verfassungsgefüge geflutet und reißt nun die Grundfesten der außenpolitischen Ordnung mit sich – offenbar, ohne dass sich dieser Mann oder seine Hintersassen der Folgen bewusst sind.
Trump legitimiert en passant einen Völkerrechtsbruch
Das Ukraine-Telefonat mit Putin zum dritten Jahrestag des Krieges offenbart in doppelter Hinsicht die Zerstörungskraft, die Trump nur mit Worten und Taten anzurichten versteht. Erstens hat der Präsident alle bisher geltenden Prinzipien seines Landes im Umgang mit der Ukraine und den europäischen Verbündeten geschreddert. Er spricht ohne Abstimmung über die Köpfe der Betroffenen hinweg mit dem Aggressor und legitimiert en passant einen Völkerrechtsbruch, was weltweit viele zur Nachahmung motivieren wird. Das mühsam aufgebaute Sanktionsregime gegen Russland – weggewischt. Die internationale Isolation Putins – plötzlich irrelevant.
Auf der taktischen Ebene liegt nun auch jedwede Verhandlungsplanung in Trümmern. Selbst wenn es zum stillen Konsens sogar in der Ukraine gehört, dass die besetzten Gebiete vorläufig nicht zurückgewonnen werden können, so war das Argument der territorialen Integrität zentraler Baustein einer Waffenstillstandslogik. Fehlt nur noch, dass Trump die Einverleibung der Gebiete rechtlich anerkennt – so wie er mal eben den Golf von Mexiko umbenannt hat.
Das vermeintliche Verhandlungsgenie kopiert seine Afghanistan-Vereinbarung mit den Taliban
All das kann in sogenannten Verhandlungen noch die eine oder andere Wendung nehmen. Aber faktisch kopiert das vermeintliche Verhandlungsgenie Donald Trump seine Afghanistan-Vereinbarung mit den Taliban vom Februar 2020, die den Abzug in eine Katastrophe verwandelte und die afghanische Bevölkerung ihrem Schicksal überließ.
Die für die Ukraine und Europa entscheidende Botschaft liegt im Rückzug aus der militärischen Verantwortung. Von Nato-Mitgliedschaft war bei der Ukraine schon lange keine Rede mehr, aber Sicherheiten lassen sich auch unabhängig von einer formellen Rolle im Bündnis geben. Trump verweigert auch dies und überlässt die Bürde den Europäern, die damit überfordert sein werden.
Unter ihm verabschieden sich die USA von einer Ordnung, die Souveränität akzeptiert
Auch dahinter steckt eine größere Botschaft, die eigentliche Höllenformel, die abgesehen von Wladimir Putin weite Teile der Welt mit Entsetzen erfüllen sollte: die Absage an Recht und Regeln, die Umarmung einer politischen Machtformel, die das Seeungeheuer Leviathan zum Symbol hat und in der gleichnamigen Schrift des politischen Philosophen Thomas Hobbes ihre ideengeschichtliche Grundlage findet. Trump verabschiedet sich von der Staatenordnung, die nationale Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht heilig hält. Seine Vorstellung von Großmachtpolitik deckt sich mit Putins Idee von Einflusssphären. Die Welt wird in Zonen eingeteilt und es gilt das Recht der Stärke.
„Autorität, nicht Wahrheit, macht die Gesetze“, schreibt Hobbes. Trump übernimmt diese Herrschaftsformel. Sie deckt sich mit seiner Vorstellung eines amerikanischen Illiberalismus, der nur Freund und Feind kennt. In dieser Welt gelten autoritative Entscheidung und Unterordnung. Der Anführer steht faktisch über dem Recht und dem Parlament. Überträgt man diesen Darwinismus auf die Ordnung der Welt heißt das: Die Mächtigsten spielen über die Köpfe der anderen hinweg. Trumps sogenannte Friedensverhandlung führt schnurgerade in diese Welt – und die Ukraine wird das Exempel sein, an dem die neue Ordnung statuiert wird.
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