Waffen für Kiew? Der Eiertanz des Barack Obama
Warten auf den Präsidenten: Während in den USA der Druck für Waffenlieferungen an die Ukraine wächst, wirkt Obama wieder einmal unentschlossen. Und jetzt kommt auch noch Kanzlerin Merkel zu Besuch.
Wenn Angela Merkel an diesem Montag von Barack Obama im Oval Office empfangen wird, geht es vor allem um die Frage: Soll der Westen Waffen an die Ukraine liefern? Die Bundeskanzlerin ist weiterhin dagegen – und der US-Präsident lässt wieder einmal über seinen außen- und sicherheitspolitischen Kurs rätseln.
Seit Beginn der Ukraine-Krise drängt Kiew, dass Washington Waffen liefern soll. Präsident Petro Poroschenko klang bitter, als er im September unter Anspielung auf bisherige amerikanische Hilfslieferungen vor dem US-Kongress mahnte: “Bettdecken und Nachtsichtgeräte sind wichtig, aber man gewinnt keinen Krieg mit Bettdecken.”
Obama blieb damals bei seinem Nein. Vizepräsident Joe Biden hat es am Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz erneut zu Protokoll gegeben. Gleichwohl hat sich die Rhetorik in Washington binnen weniger Tage massiv verändert.
Vorige Woche erklärte Pentagon-Sprecher John Kirby, derzeit konzentrierten sich die USA auf “nicht tödliche” Hilfe für die Ukraine. Doch der Admiral fügte hinzu: “Aber wir sagen seit Monaten, dass wir alle Hilfsappelle der ukrainischen Regierung erwägen und wieder erwägen – tödliche und nicht tödliche. Das gilt weiterhin.”
Der designierte künftige Pentagon-Chef wurde noch deutlicher. “Ich tendiere sehr in diese Richtung”, sagte Ashton Carter am Mittwoch bei einer Anhörung des Senats: “Eingeschlossen das, was sicher Ihre Frage ist, nämlich tödliche Waffen.”
Der Physiker, der schon unter Bill Clinton im Pentagon arbeitete, soll den amtsmüden Verteidigungsminister Chuck Hagel ablösen. Aber für Obama war Ashtons Forderung wohl ein wenig zu offensiv. “Eine derartige Entscheidung wird vom Commander in Chief getroffen”, ließ er durch seinen Sprecher Josh Earnest umgehend klarstellen. Earnest ergänzte: “Mr. Carter hält große Stücke auf die Befehlskette.”
Doch die Dinge sind in Bewegung geraten. Susan Rice, die Sicherheitsberaterin von Präsident Barack Obama, denke über die Lieferung auch tödlicher Waffen an die ukrainische Armee nach, berichtete dieser Tage die “New York Times”. Gleiches gelte für General Philip M. Breedlove, den militärischen Befehlshaber der Nato.
Obama gerät im eigenen Land unter Druck
Nun wartet alles auf Obama. Dass derartige Signale ihren Weg in die Öffentlichkeit finden, mag als ein Testballon des Weißen Hauses gelesen werden: Wie reagieren Kongress, Öffentlichkeit und Nato-Partner auf derartige Erwägungen? Wie reagiert Wladimir Putin? Und was sagt Angela Merkel (CDU) dazu, die Washington als entscheidende Vermittlerin gegenüber dem Kreml-Chef ansieht?
In einer selten gewordenen Geste der Überparteilichkeit rufen 15 Senatoren um den Republikaner Rob Portman (Ohio) und den Demokraten Dick Durbin (Illinois) angesichts “eskalierender russischer Aggressionen” die USA und die Nato zu verstärktem militärischem Beistand für Kiew auf.
Sie machen sich stark für Verteidigungsequipment und listen Panzerabwehrwaffen, Radartechnik gegen Artilleriebeschuss (“counter-battery radar”) und bewaffnete Humvees auf. Außerdem seien zusätzliche Ausbildungsanstrengungen nötig, um die ukrainische Armee zu stärken.
Ins gleiche Horn stößt eine 17-seitige Studie renommierter Sicherheitsexperten um den einstigen stellvertretenden Außenminister Strobe Talbott und Michele Flournoy, die im Falle einer Präsidentschaft von Hillary Clinton das Pentagon übernehmen könnte. “Es gibt keinen echten Waffenstillstand”, heißt es darin. “Moskau versucht vielmehr, einen ‘eingefrorenen Konflikt’ zu kreieren, um die ukrainische Regierung unter Druck zu setzen und zu destabilisieren.”
Die Autoren fordern das gleiche Verteidigungsequipment wie die 15 Senatoren – und darüber hinaus Drohnen sowie elektronische Abwehrmittel gegen feindliche Drohnen. Ob die dem ukrainischen Militär zugedachten unbemannten Fluggeräte bewaffnet oder unbewaffnet sein sollen, sagt die Studie nicht.
Talbott und Co. werden sehr konkret hinsichtlich des Umfangs der Waffenhilfe. Die US-Regierung solle bereits im laufenden Haushaltsjahr Militärhilfe im Wert von einer Milliarde Dollar “so bald wie möglich” auf den Weg bringen. Auch für die Haushaltsjahre 2016 und 2017 müsse Washington Waffen, Gerät oder sonstige Unterstützungsmaßnahmen im Wert von jeweils einer Milliarde Dollar zur Verfügung stellen.
Wer mit Mitarbeitern im Weißen Haus spricht, bekommt die Versicherung zu hören, Entscheidungen seien noch nicht gefallen. “Aber alles wird in Erwägung gezogen.” Und dann folgt die Frage, ob man denn wohl erklären könne, welche Strategie für den Umgang mit Moskau Kanzlerin Merkel im Sinn habe, wenn sie sich – in Übereinstimmung mit ihrem Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) – gegen Waffenlieferungen an Kiew ausspricht. “Glaubt man in Berlin, dass die Russen ihre Aggressionen im Osten der Ukraine einstellen werden, wenn der Westen passiv bleibt?”
Gleichwohl hat auch Washington bislang keine erkennbare Strategie. Die Sanktionen gegen Russland zeigen Wirkung, haben aber Putin nicht zu einem Kurswechsel gezwungen. Die US-Regierung hätte weitere Pfeile im Köcher, darunter etwa Sanktionen gegen den Banken- und Finanzsektor. Doch Washington weiß auch, dass derartige Maßnahmen in Europa auf wenig Gegenliebe stoßen würden.
Also doch Waffenlieferungen? Aber würde Russland dann nicht seinerseits auch einfach mehr Artillerie und Panzer in die Ostukraine schicken? Moskau hätte bei einem solchen Rüstungswettlauf den Vorteil des Anrainers.
“Ich habe keinen Zweifel, dass es zusätzliche Hilfe wirtschaftlicher und anderer Art für die Ukraine geben wird”, sagte US-Außenminister John Kerry am Sonntag. Zur Frage von Waffenlieferungen wollte er sich nicht konkret äußern. Kerry sagte lediglich: “Wir handeln in dem Bewusstsein, dass es keine militärische Lösung gibt. Die Lösung ist eine politische, diplomatische.”
Doch bislang trogen alle Hoffnungen auf eine politische oder diplomatische Lösung. In Washington wächst nicht nur bei den Republikanern der Druck aufs Weiße Haus, endlich Waffen zu liefern. Merkel wird hingegen versuchen, Obama von der Richtigkeit seiner bisherigen Linie zu überzeugen. Der Präsident erscheint wieder einmal unentschlossen.
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