This US Version of the Quran Could Detoxify Islam

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US-Fassung des Korans könnte den Islam entgiften

Amerika war schon immer der Ort, wo Religionen ihre fanatischen Klauen verloren haben. Jetzt gibt es dort eine Koran-Übersetzung mit moderner Kommentierung – das könnte viele Extremisten zivilisieren.

Die älteste Synagoge für Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle steht – wie könnte es anders sein – in San Francisco. Sie wurde 1977 von drei orthodoxen, schwulen Juden gegründet, die beschlossen hatten, ihre Neigung nicht mehr voreinander oder vor der Welt zu verstecken.

Die Synagoge heißt Scha’ar Sahaw, was auf gut Deutsch Golden Gate bedeutet, und wer sich dort am Morgen des Sabbat einfindet, kann einer freundlichen, lesbischen Rabbinerin dabei zuhören, wie sie über das Gebot der Nächstenliebe (3. Mose 19, 18) predigt.

Die Synagoge Scha’ar Sahaw liegt an einer belebten Kreuzung, nämlich dort, wo Dolores Street und die Sechzehnte Straße aufeinandertreffen. Genau gegenüber erblickt der Besucher den Glockenturm von Mission Dolores, dem katholischen Gotteshaus, aus dem heraus San Francisco einst gegründet wurde und gewachsen ist.

Wer über die Straße geht, findet sich vor einer lutherischen Kirche wieder: “Sonntags um elf Uhr Gottesdienst in deutscher Sprache”, steht auf einem Schild. Voilà, das ist die heilige kalifornische Dreifaltigkeit – mexikanische Katholiken, deutsche Protestanten und schwule Juden. Die vierte Straßenecke allerdings bleibt leer.

Vielleicht wird dort eines Tages eine Moschee stehen. Eine Moschee mit einem weiblichen, lesbischen Muezzin und einem transsexuellen Imam, der in seiner Freitagspredigt sanft darauf hinweist, dass Allah in seiner Erhabenheit schwule Polytheisten ebenso liebt wie all seine anderen Kinder, und dies mit klugen Koranzitaten zu belegen weiß. Wenn ein solches islamisches Gotteshaus jemals irgendwo stehen wird, dann hier.

Neue interreligiöse Rituale

Vielleicht liegt die Zukunft des Islam in den Vereinigten Staaten von Amerika – einem Land, in dem Staat und Religion konsequent voneinander getrennt sind und gerade deshalb die Religiosität blüht; einem Land, dessen Bürger nichts dabei finden, im Laufe ihres Lebens mehrmals das Glaubensbekenntnis zu wechseln und Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften dazu führen, dass mittlerweile völlig neue, interreligiöse Rituale entstehen.

Einem Land, in dem Neueinwanderer nicht nur sich selber neu erfinden, sondern auch die Traditionen, die sie aus der Alten Welt mitgebracht haben. Einem Land, in dem – da Säkularismus nicht die gesellschaftliche Norm ist – keine Augenbraue sich hebt, wenn ein Muslim seinen Gebetsteppich ausrollt und gen Mekka gerichtet betet.

Gerade eben ist ein Werk erschienen, das entscheidend zur Amerikanisierung des Islam beitragen wird – ein blauer Ziegelstein von einem Buch, sehr schön aufgemacht und 2000 eng bedruckte, dünne Seiten dick, das sich auf “Amazon” zu einem Bestseller in der Abteilung “Religion” entwickelt hat. Das Werk heißt “The Study Quran”, und sein wichtigster Herausgeber ist ein gewisser Seyyed Hossein Nasr, ein Professor für Islamwissenschaften an der George Washington University.

Er und seine Mitarbeiter haben versucht, eine moderne, sehr getreue – also wissenschaftliche – und doch flüssige Übersetzung des heiligsten Buches der Muslime ins Englische zu erarbeiten. Aber die Übersetzung ist gar nicht das Wichtigste an diesem amerikanischen Koran. Das Wesentliche sind die Fußnoten: Kommentare aus vielen Jahrhunderten, die hier zusammengetragen wurden.

Koran liest sich wie ein jüdischer Text

Diese Koranausgabe liest sich im Grunde wie ein jüdischer Text auf Englisch: Oben stehen ein paar Verse, darunter wird lang und breit erläutert, wie sie gemeint sind – oder gemeint sein könnten.

Nehmen wir etwa den Koranvers “Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt; dann schnüret die Bande” (47,4), der im Islamischen Staat und in Saudi-Arabien heute als Rechtfertigung dafür dient, Gefangene zu köpfen. Dieser amerikanische Koran stellt allerdings klar, dass die Formulierung “Herunter mit dem Haupt” nur dazu diene, “Härte und Schwere des Gefechts” zu schildern.

Wörtlich stünde nämlich geschrieben: “Schlage den Hals” im Akkusativ, und dies deute “die Kürze der Handlung” an, “da sie auf die Schlacht beschränkt ist”. Ein weiter gehender Befehl ergebe sich daraus nicht. So zieht man den Islamisten elegant die Textgrundlage unter den Füßen weg! Wie steht es nun mit der Steinigung für Frauen, die Ehebruch begangen haben?

Diese Strafe findet sich schlicht und ergreifend nicht im Koran; die dort vorgeschriebene Strafe für Ehebruch sind vielmehr “hundert Peitschenhiebe” (24, 2), und zwar sowohl für den schuldigen Mann als auch für die Frau. Der Kommentar stellt fest: “In der islamischen Rechtsprechung ist ein hoher Standard der Evidenz erforderlich, um einen unzweideutigen Korantext ganz oder teilweise zu annullieren – und es ist überhaupt nur möglich, wenn man akzeptiert, dass ein Hadith (ein Ausspruch des Propheten Mohammed) einen Teil des Korans aufheben kann.

Die meisten religiösen Autoritäten weisen diese Sichtweise zurück. Tja, Pech gehabt, “Islamische Republik Iran”!

Wo Religion den Giftzahn verliert

Donald Trump hat bekanntlich gesagt, dass er als Präsident die Einwanderung von Muslimen unterbinden würde. Wie bei fast allem, was dieser Mann sagt, wird umgekehrt ein Schuh daraus: Ganz im Gegenteil – jeder vernünftige Mensch muss hoffen, dass möglichst viele Muslime nach Amerika kommen. Denn Amerika ist schon immer der Ort gewesen, wo Religionen ihre fanatischen Klauen und Giftzähne verloren haben.

In Amerika haben sie sich aufgespalten und wundersam vermehrt, sie haben sich liberalisiert und reformiert und ihre Energien nicht mehr dazu verwendet, gegen die Feinde da draußen zu kämpfen, sondern lieber interne theologische Streitgespräche geführt.

In den Vereinigten Staaten haben religiöse Menschen ihre Heiligen Schriften hergenommen und sie dekonstruiert, kritisiert, gegen den Strich gelesen, feministisch interpretiert, in den historischen Kontext eingeordnet. Just dies wird auch mit den Schriften der Muslime geschehen – und der “Study Quran” ist ein mutiger, erster Schritt dazu.

Von Ägypten, Saudi-Arabien oder dem Iran wird die religiöse Erneuerung des Islam nicht ausgehen: Diese Länder sind Gefängnisse, es fehlt dort die freie Luft zum Atmen, die notwendig ist, um ein umfassendes Reformwerk in Gang zu setzen. Von Europa können sich die Muslime ebenso wenig erhoffen: Zum Teil deshalb, weil das dortige islamische Milieu nach Fundamentalismus stinkt, zum Teil aber auch, weil europäische Muslime sich als an den Rand gedrückte Minderheit empfinden.

Der Leuchtturm, der den Weg weist, steht am anderen Ufer des großen Teichs. Dank Amerika wird der Islam eines Tages wirklich das sein, als was er sich heute nur anpreist – eine Religion des Friedens. Dann wird man sich fragen, wie es einst geschehen konnte, dass Schiiten und Sunniten einander massakriert haben, dass beide gemeinsam den Judenhass predigten, dass im Namen des Propheten Frauen und Kinder in Paris und New York ermordet wurden.

Muslime werden auf unsere Zeit mit demselben Entsetzen zurückschauen, mit dem christliche Europäer sich an die Bartholomäusnacht oder die Pogrome der frühen Neuzeit erinnern.

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