Opponents of war in Europe have long ignored Iraq as a hopeless case. Now, elections show that democracy is making progress.
Was George W. Bush right after all? Despite terror threats, a new Iraqi parliament was elected with massive voter turnout. Local security forces handled the situation better than many had expected. In no other Arabian country would such elections, elections that really matter, have been possible, since this is a region of mock parliaments and 90 percent majorities for lifetime presidents. Now, a political process will begin in Iraq: search for majority, coalition formation, horse-trading and certainly manipulation and violence, too — but nobody can claim power with nothing but authoritarian demeanor. This is a significant achievement for political culture, a fact that has to be thought-provoking for those who defy the former U.S. president (more or less the whole world). Was the war to topple Saddam Hussein right after all? Will Bush’s brushed-aside vision of a democratic Middle East come true eventually?
Whether or not the Iraq War, a war that killed more than 10,000 people when factoring in the occupation period, was justifiable cannot be decided by only looking at its political outcome. Military interventions need more severe regulations: A war may only be waged if a war needs to be waged. Given this criteria, the expedition against Saddam was illegitimate: It was not necessary, for there was no grave danger. The ones that claimed there was (Bush and his British brother-in-arms, Tony Blair) were lying or deluding themselves. This, however, should not make us blind to the greatness and righteousness of Iraq’s democratic project. For too long, opponents of war in Europe have ignored and instinctively labeled this country a hopeless case, as if it was morally stained from Bush’s politics. An attitude like this, ignoble and short-sighted, is in need of correction. As soon as there is a new government in Baghdad (which may still take some time), Germany’s foreign secretary should take a trip there.
A major step forward in the election last Sunday was the mobilization of the Sunnis, a minor denomination that set the agenda during Saddam’s administration and afterward felt oppressed by the Shiite majority. Elections in 2005 had been ignored by the majority of Sunnis; now, turnouts around 60 percent are reported in their regions. For the first time, the whole nation is involved in a political decision-making process. Sunnis have found partners in secular Shiites who thought the old government was too pious or too close to its Iranian neighbor. A development like this can hardly be overestimated — Iraq needs political camps that can act beyond the rigid frontiers of ethnic groups. That would be real nation-building, the evolution of a real polity in this torn state.
This experiment’s success is in no way secured. Iraq remains a tormented country that cannot reliably provide its citizens with electricity, water, a legal system or security. Its democracy will not be a model for the Middle East as long as it is seen as a forced export from America and Iraq is known as occupied territory. Only after the stigma of this part of Iraq’s history, this colonial flaw, has faded, other Arabians and Muslims will be able to identify with Iraq’s experiences. It is probable that the process of acquisition has already begun: The Iraqi people themselves, not the Americans, who are withdrawn for the most part, directed the elections.
President Bush started the Iraq War for fictitious reasons and let the first years of occupation become lost time by making enormous mistakes. The disruption of Saddam’s dictatorship, however, has established a basis for improvement of the political culture, a chance for humane order, where before there was only leaden repression. It is not known if there will be a happy ending to Iraq’s horribly turbulent story. It is possible, though. And now that George W. Bush is no longer president, we all should feel free enough to accept this fact.
Lange haben die Kriegsgegner in Europa den Irak als hoffnungslosen Fall ignoriert. Nun zeigen die Wahlen, dass die Demokratie Fortschritte macht.
Hat George W. Bush doch recht gehabt? Die Iraker haben ein neues Parlament gewählt, mit eindrucksvoller Beteiligung trotz massiver Terrordrohungen. Die einheimischen Sicherheitskräfte hatten die Lage weit besser unter Kontrolle, als viele erwartet hatten. In keinem anderen arabischen Land wären solche Wahlen möglich gewesen, Wahlen, auf die es wirklich ankommt; dies ist eine Region der Scheinparlamente und der 90-Prozent-Mehrheiten für Lebenszeitpräsidenten. Es wird jetzt im Irak ein politischer Prozess beginnen: Mehrheitssuche, Koalitionsbildung, Kuhhandel, sicher auch Manipulation und Gewalt – aber niemand kann die Macht einfach mit autoritärer Gebärde für sich beanspruchen. Das ist eine enorme Errungenschaft politischer Kultur. Die Verächter des früheren US-Präsidenten (also mehr oder weniger die ganze Welt) muss das nachdenklich machen. War der Krieg zum Sturz Saddam Husseins vielleicht doch richtig? Bestätigt sich Bushs als Fantasterei abgetane Vision von der Demokratisierung des Mittleren Ostens am Ende doch noch?
Ob der Irakkrieg zu rechtfertigen war, der, die Besatzungszeit mitgerechnet, Zehntausende von Menschenleben gekostet hat, lässt sich nicht allein mit Blick auf seine politischen Ergebnisse entscheiden. Viel spricht bei Militäreinsätzen für den strengen Maßstab: Krieg darf man nur führen, wenn man Krieg führen muss. Nach diesem Kriterium bleibt der Feldzug gegen Saddam unzulässig – denn notwendig, durch schwere konkrete Gefahr erzwungen, war er nicht. Wer damals das Gegenteil behauptete (wie Bush oder sein britischer Waffenbruder Tony Blair), der log oder täuschte sich selbst. Doch das sollte nicht blind für die Größe und Richtigkeit des demokratischen Projekts im Irak machen. Zu lange haben die Kriegsgegner in Europa das Land ignoriert und instinktiv als hoffnungslosen Fall abgeschrieben, als gewissermaßen moralisch mitbeschmutzt von Bushs Politik. Das ist eine unwürdige und kurzsichtige Haltung, die korrigiert gehört. Sobald es in Bagdad eine neue Regierung gibt (was freilich dauern kann), sollte sich auch der deutsche Außenminister zügig dort blicken lassen.
Der wichtigste Fortschritt bei der Abstimmung am vorigen Sonntag war die Mobilisierung der Sunniten, der Minderheitskonfession, die unter Saddam den Ton angegeben hatte und sich danach von der schiitischen Mehrheit an den Rand gedrängt fühlte. Die letzte Parlamentswahl, im Jahr 2005, hatten die Sunniten fast komplett boykottiert, diesmal werden aus ihren Regionen Wahlbeteiligungen von über 60 Prozent gemeldet. Zum ersten Mal ist das gesamte Volk in die politische Willensbildung einbezogen. Die Sunniten haben Partner gefunden in jenen säkular ausgerichteten Schiiten, denen der bisherige Regierungskurs zu fromm oder zu eng an den Nachbarn Iran angelehnt war. Das ist eine kaum zu überschätzende Entwicklung – nichts braucht der Irak mehr als politische Lager, die über die starren Volksgruppengrenzen hinausreichen. Das wäre wirkliches Nation-Building, die Entstehung eines echten Gemeinwesens in diesem zerrissenen Staatsgebilde.
Der Erfolg des Experiments ist mitnichten gesichert. Irak ist noch immer ein gequältes Land, das seinen Bürgern Strom und Wasser so wenig verlässlich bietet wie Recht und Sicherheit. Als Modell für den Mittleren Osten wird seine Demokratie so lange nicht funktionieren, wie sie als amerikanischer Zwangsexport und der Irak als besetztes Territorium gilt. Erst wenn das Stigma dieser Entstehungsgeschichte, der koloniale Makel, verblasst, werden andere Araber und Muslime sich mit den irakischen Erfahrungen identifizieren können. Womöglich beginnt der Prozess der Aneignung bereits: Es waren die Iraker selbst, nicht die weitgehend schon zurückgezogenen Amerikaner, die bei der Wahl Regie führten.
Präsident Bush hat den Irakkrieg mit unwahren Begründungen herbeigeführt und die ersten Besatzungsjahre durch schwere Fehler zu einer verlorenen Zeit werden lassen. Aber die Zerschlagung der Saddam-Diktatur hat überhaupt erst den Raum für eine Besserung der politischen Verhältnisse geschaffen, die Chance für eine menschenwürdige Ordnung, wo vorher nur bleierne Repression herrschte. Es ist nicht sicher, dass die Geschichte, die der Irak in den letzten Jahren so schrecklich durchlebt hat, ein gutes Ende finden wird. Aber es ist möglich. Und heute, wo George W. Bush Vergangenheit ist, sollte man sich frei fühlen, das auch anzuerkennen.
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