Alex van Linschoten is an expert on Afghanistan currently working on a study of the Taliban’s relations to al-Qaida. Tagesspiegel reporter Martin Gerner interviewed him about the situation in Kandahar.
Gerner (GER): What’s your assessment of the situation in Kandahar?
Van Linschoten (VAN): The people are exhausted. The young are trying to get out of the city to live somewhere else. Last week, two government deputies were murdered. Anyone who works for the government is in grave danger. The Taliban warns the population not to cooperate with the government and seems to know pretty much what everybody is doing. The Afghan government and the American troops can’t protect everyone and nobody believes the current government has a real future or is even viable in its current form.
GER: How does the Taliban operate in the city?
VAN: An example: The Taliban has set up a so-called reconciliation committee. When anyone finds one of the infamous “night letters” warning the inhabitants not to cooperate with “the occupation” on his door, he’s told to make a complaint to the committee if he feels he has been unfairly accused. This is one way the Taliban tries to reach the hearts and minds of the people. On the other hand, there’s not as much a sense of ideology in Kandahar as one might suspect. Islam is a motivating factor for the insurgency, but my sense is that it’s not the main motivating factor here in the south. There are many other factors that motivate and define the people here, but Islam isn’t in first place.
GER: What do the people think of the deployment of international security forces in the south?
VAN: There are a variety of reasons that make the people skeptical. One hears, for example, that U.S. military commanders meet with village elders and tell them that if they don’t disclose where weapons and explosive caches are located, they will be forced to bombard the neighborhood. The people find that reminiscent of the days of Soviet Union occupation. The concept of collective public guilt is something forbidden by the Geneva Conventions concerning the protection of civilians in wartime.
GER: The United States claims they see positive developments in the south. Is the claim justified?
VAN: My impression is that the new ISAF (International Security Assistance Force) commander, General Petraeus, believes this war can be won militarily. He overestimates his capabilities and, at the same time, underestimates the ramifications of his actions on the insurgency and the Taliban. I don’t believe Petraeus takes credible interest in a negotiated settlement, nor that he sees the Taliban as a part of Afghan society.
GER: Was the strategy pursued by Petraeus’ predecessor, General McChrystal, more promising?
VAN: Compared to Petraeus, McChrystal seemed to assess things better, including the various ramifications given military actions might produce. The number of night operations is a good example. According to ISAF, they have dramatically increased under Petraeus and he has also resumed air operations. In November 2010, there were three times more bombing attacks compared to the previous year. That’s a dramatic escalation.
GER: Does that weaken the Taliban?
VAN: The night operations take their toll. Many Taliban have been killed or wounded, but their morale doesn’t appear to have suffered. They’re still capable of carrying out attacks or skirmishes. Their numbers don’t appear to have been basically reduced. They’ve suffered many setbacks but in the spring they’ll again be a force to be reckoned with.
GER: Analysts say the Taliban movement is on the brink of becoming more radical due to the intensity of the combat operations.
VAN: Certain things have become apparent: The number of beheadings, for example. That’s something new. And attitudes toward social authority have changed as shown by the murder of tribal elders, and likewise the way they communicate with the Taliban leadership in Quetta. There’s no more subservience. We’re seeing a fragmentation: The Taliban’s shadow governor doesn’t really have control over all factions in Kandahar. Many attacks aren’t ordered by Quetta but by smaller splinter groups. Many may be getting their orders from Pakistan. In general, there are more and varied voices within the movement.
GER: What does that mean for the future?
VAN: There are fears that a new type of Taliban could become established. One more given to international jihad commanded by young warriors who know only war and conflict and have no concept how things in Afghanistan were before the Soviets invaded. They don’t know the meaning of peace.
Afghanistan-Experte "Die Moral der Taliban ist nicht gebrochen"
Von Alex Strick van Linschoten
04.01.2011
Van inschoten ist Afghanistan-Experte und arbeitet an einer Studie über das Verhältnis von Taliban und Al Qaida. Mit dem Tagesspiegel spricht er über die Lage in Kandahar.
Wie beurteilen Sie die Lage in Kandahar?
Die Menschen sind erschöpft. Die Jüngeren versuchen rauszukommen aus der Stadt, woanders weiterzuleben. Vergangene Woche sind zwei stellvertretende Behördenleiter ermordet worden. Jeder, der für die Regierung arbeitet, ist in Gefahr. Die Taliban fordern die Menschen auf, nicht mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Sie wissen ziemlich genau, was jeder Einzelne tut. Afghanische Regierung und US-Truppen können nicht alle Bewohner schützen. Nur wenige glauben, dass die aktuelle Regierung eine Zukunft hat oder in der jetzigen Form überleben wird.
Wie gehen die Taliban in der Stadt vor?
Die Taliban haben beispielsweise eine sogenannte Vermittlungskommission eingerichtet.
Wenn jemand einen der berüchtigten Nachtbriefe vor seiner Tür findet, mit der Warnung, nicht mit den „Besatzern“ zusammenzuarbeiten, dann kann er Einspruch bei dieser Kommission einlegen, wenn er sich zu Unrecht beschuldigt fühlt. Das ist eine Art der Taliban, um „Herzen und Köpfe“ der Bewohner zu kämpfen. Andererseits ist nicht so viel von Ideologie in Kandahar zu spüren, wie man vermuten würde. Der Islam ist ein Faktor, der den Aufstand motiviert, aber nach meinem Eindruck nicht der Hauptfaktor im Süden. Es gibt viele andere Faktoren, nach denen sich die Menschen definieren. Der Islam steht da nicht an erster Stelle.
Wie stehen die Menschen zum Einsatz des internationalen Militärs im Süden?
Es gibt eine Reihe von Gründen, die die Menschen skeptisch machen. Man hört zum Beispiel von US-Truppenführern, die Dorf-Älteste vor die Wahl stellen: Entweder ihr sagt uns, wo Minen und Sprengstoff vergraben sind, oder wir müssen bombardieren. Dies ruft bei den Dorfbewohnern Erinnerungen an die Zeit der sowjetischen Besatzung hervor. Auch damals gab es gegenüber der Bevölkerung das Prinzip der kollektiven Haftung, etwas, das nach der Genfer Konvention über den Schutz von Zivilisten im Krieg verboten ist.
Die USA sehen eine positive Entwicklung im Süden. Ist das berechtigt?
Mein Eindruck ist: Der neue Isaf-Kommandeur General Petraeus glaubt, diesen Krieg militärisch gewinnen zu können. Er überschätzt seine Möglichkeiten und unterschätzt zugleich, welche Folgen dies auf den Aufstand und die Taliban hat. Ich denke nicht, dass Petraeus ein ernsthaftes Interesse an einer Verhandlungslösung hat. Auch nicht, dass er die Taliban als Teil der afghanischen Gesellschaft ansieht.
War die Strategie von Petraeus Vorgänger McChrystal Erfolg versprechender?
Verglichen mit Petraeus schien McChrystal die Dinge deutlich besser einzuschätzen. Auch die Folgen, die bestimmte militärische Operationen haben können. Die Anzahl der nächtlichen Operationen sind ein gutes Beispiel. Nach Angaben der Isaf haben sie deutlich zugenommen, seit Petraeus im Amt ist. Petraeus hat den Kampf aus der Luft wieder aufgenommen. Im November 2010 zum Beispiel gab es drei Mal mehr Bombenabwürfe in Afghanistan als ein Jahr zuvor. Eine dramatische Steigerung.
Schwächt das die Taliban ?
Die Nachtoperationen fordern ihren Tribut. Es werden viele Taliban verwundet oder getötet. Ihre Moral scheint aber nicht gebrochen. Auch sind sie weiter in der Lage, Angriffe oder Anschläge auszuführen. Die Anzahl ihrer Kämpfer scheint sich nicht grundsätzlich verändert zu haben. Sie erleiden eine Menge Rückschläge, aber im Frühjahr dürfte wieder mit ihnen zu rechnen sein.
Beobachter sagen, die Taliban-Bewegung sei dabei, sich zu radikalisieren aufgrund der intensiveren Kriegsführung.
Bestimmte Vorgehensweisen fallen auf. Zum Beispiel die Anzahl der Enthauptungen. Das hat es früher so nicht gegeben. Auch die Haltung gegenüber gesellschaftlichen Autoritäten hat sich verändert, wie die Morde an Stammesältesten zeigen. Ebenso die Art und Weise, wie mit der Taliban-Führung in Quetta kommuniziert wird. Man ist nicht unterwürfig. Wir beobachten eine Fragmentierung: der Schatten-Gouverneur der Taliban in Kandahar hat nicht wirklich die Kontrolle über alle Gruppen in der Stadt. Viele Anschläge werden nicht von Quetta aus befohlen, sondern gehen von kleineren Gruppen aus. Einige mögen ihre Anweisungen aus Pakistan erhalten. Aber insgesamt gibt es mehr unterschiedliche Stimmen innerhalb der Bewegung.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Es gibt die Sorge, dass sich ein neuer Taliban-Typus etablieren könnte. Einer, der stärker den internationalen Jihad auf seinen Fahnen führt, mit jungen Kämpfern als Anführer, die nur Krieg und Konflikt kennen, und keine Vorstellung davon haben, wie Afghanistan einmal aussah, bevor die Russen einmarschierten. Sie wissen nicht, was Frieden bedeutet.
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