One Last Chance for Obama, Spain and Opel!

Published in Die Welt
(Germany) on 14 June 2012
by Henryk M. Broder (link to originallink to original)
Translated from by Catherine McGuinness. Edited by Gillian Palmer.


Einst war Barack Obama für die Deutschen der Messias. Inzwischen kreiden wir ihm alles an: Klimapolitik, Drohnenangriffe, industriefreundliche Gesetze. Doch er hat eine zweite Chance verdient. Von Henryk M. Broder

Glaubt man einer eben bekannt gewordenen Umfrage, sind immer mehr Deutsche mit der Arbeit von Präsident Obama unzufrieden. Haben sie ihm noch vor vier Jahren an der Berliner Fanmeile zugejubelt und ihn wie einen Messias gefeiert, auf dessen Ankunft sie schon viel zu lange gewartet hatten, so wenden sie sich nun in Scharen von ihm ab.

Aus dem Präsidenten der deutschen Herzen ist ein US-Rambo geworden, der die antiamerikanischen Ressentiments der Deutschen bedient. Und "schuld daran", schreibt der "Spiegel", sind nicht etwa die einerseits unfassbar naiven und andererseits völlig überspannten Erwartungen der Deutschen an den amerikanischen Präsidenten,"schuld daran ist Obamas Politik".

Kein faires Verfahren

Ganz besonders nehmen es die Bundesbürger dem schwarzen Mann im Weißen Haus übel, dass er Terroristen durch gezielte Drohnenangriffe töten lässt, statt sie vor ein ordentliches Gericht zu bringen.

59 Prozent der Deutschen finden, das sei kein faires Verfahren. Auch für einen Terroristen müsse bis zum Nachweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung gelten. Nun wissen wir alle, dass Deutschland schon ein Rechtsstaat war, als im Wilden Westen mit Viehdieben noch kurzer Prozess gemacht wurde.

Nach dem Strafgesetzbuch von 1871 stand auf Majestätsbeleidigung lebenslänglich, Zuchthaus oder lebenslängliche Festungshaft, in minder schweren Fällen Zuchthaus- oder Festungsstrafe nicht unter fünf Jahren.

Das war schon sehr anständig, denn im Zeitalter des Absolutismus hatte der Majestätsbeleidiger nicht nur seine Freiheit sondern auch sein Leben verwirkt. In den USA dagegen fand im Jahre 1868 das erste "Impeachment"-Verfahren zur Absetzung eines amtierenden Präsidenten statt.

Mit Drohnen gegen die NSU

Das ist lange her, heute zeichnet sich der Rechtsstaat vor allem dadurch aus, dass er auf die Einhaltung der föderalen Spielregeln achtet. Es gibt in der Bundesrepublik 16 Landeskriminalämter, die sich mehr voneinander abgrenzen als miteinander kooperieren.

Die Thüringer Terrorgruppe NSU brauchte deswegen nur von einem Bundesland in ein anderes zu ziehen, um sich der Beobachtung zu entziehen. So konnte sie zehn Jahre lang rauben, morden und ihre Opfer verhöhnen, bis es den Ermittlern gelang, sie nach begangenem Selbstmord zu fassen. Die Amis hätten das Problem vermutlich mit einer Drohne gelöst, aber welcher der 16 deutschen Innenminister hätte dazu sein OK gegeben?

Diese hemdärmelige Art, sich über formale Bedenken hinwegzusetzen, ist freilich nicht alles, was die Deutschen dem amerikanischen Präsidenten übel nehmen. Sie sind auch von seiner Klimapolitik enttäuscht.

Irgendwann ist Schluss

Vor drei Jahren nahmen noch 76 Prozent der Bundesbürger an, er werde im Kongress "einschneidende Maßnahmen" durchsetzen, heute glauben dies nur noch 26 Prozent. Aus unerfindlichen Gründen stehen Obama die Interessen der US-Industrie näher als die deutsche Liebe zum Juchtenkäfer.

Was wird nun aus der deutsch-amerikanischen Freundschaft? Geht sie den Bach runter wie die deutsch-sowjetische nach der Wende? Es hängt alles von Obama ab. Setzt er die Drohnen ein, um den Klimawandel zu überwachen, würden ihn die Deutschen bestimmt wieder mögen und einige vorausgegangene Sünden verzeihen.

Denn wir sind nicht nachtragend und geben jedem eine zweite Chance. Griechenland, Spanien, Opel. Aber irgendwann ist Schluss. Auch beim amerikanischen Präsidenten.
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