Cape Canaveral, ein Disneyland für Space-Fans
Die Unterhaltungsindustrie rund um den Weltraumbahnhof funktioniert – im Gegensatz zum Shuttle
VON HEIKO ROLOFF
Meine Faszination für Amerika begann an einem Sommertag, dem 20. Juli 1969. Mit einem sensationellen Ereignis:
Der Mondlandung. Nie werde ich vergessen, wie mein Großvater kopfschüttelnd vor dem Fernseher saß und sagte: „Die lügen doch.“ Er war in einer Zeit aufgewachsen, in der es nicht einmal Autos gab. Und nun dies.
Ich war damals sieben Jahre alt und hielt mich an die Schlagzeile in BILD: „Der Mond ist jetzt ein Ami.“
Fortan war Amerika für mich ein unbegreiflicher Traum. Fern und unerreichbar wie der Mond selbst. Mit einer Anziehungskraft wie die Sonne. Inbegriff für Fortschritt und Forschungsdrang. NASA! National Aeronautics and Space Administration. Wie das klang. Kompetent. All-wissend. In der vergangenen Woche sollte der deutsche Astronaut Hans Schlegel mit dem Shuttle „Atlantis“ zur Weltraumstation ISS fliegen.
Der Countdown war für Donnerstag geplant. Für mich sollte ein Kindheitstraum wahr werden. Ich wollte den Start live erleben, bin von New York nach Miami geflogen und von dort an einen legendären Ort gefahren: Cape Canaveral!
Wäre ich doch zu Hause geblieben…
Nach mehreren Stunden auf dem Highway I-95 treffe ich kurz nach Einbruch der Dunkelheit in Cocoa Beach ein, dem Hotel-Vorort des rund 20 Kilometer entfernten NASA-Quartiers. Mir schießt durch den Kopf: Wie anders ist dieses Amerika verglichen mit New York oder Miami!
Eine vierspurige Schnellstraße, die von Strom- und Telefonleitungen gesäumt ist, wie es sie in Deutschland selbst auf dem Dorf nicht mehr gibt. Kein Wunder, dass hier nach einem Hurrikan die Lichter ausgehen. Links und rechts Fast-Food-Restaurants, Gebrauchtwagenhändler, Kirchen in den merkwürdigsten Baustilen (Pyramiden, Kugeln), Tankstellen. Und heruntergekommene Striplokale, die sich „Gentleman’s Club“ nennen…
Ich fahre zu einem Radison-Hotel. In der Lobby empfangen mich Plakate: „Welcome to the Shuttle Launch“. Willkommen zum Shuttle-Start. Die Amis haben getan, was sie immer tun: eine Industrie um einen Anziehungspunkt geschaffen. Früher sind Ortschaften dort entstanden, wo Gold gefunden wurde. Heute werden Städte neben großen Gefängnissen, Golfanlagen oder Mega-Casinos aus dem Erdboden gestampft. In diesem Fall wurde um das Kennedy Space Center gebaut.
Disney-NASA.
Das Hotel ist ausgebucht. Wie die meisten im Ort. Die Dame an der Rezeption erklärt: „Wenn ein Shuttle startet, ist hier immer alles belegt.“
Sie findet eine „Suite“ für mich im Nachbarmotel „Comfort Inn“: Rund 200 Dollar. Als ich diese „Suite“ betrete, trifft mich der Schlag. Es müffelt wie im Keller. Der beige Teppichboden warnt: Achtung Fußpilz! Kniehoch! Küche mit Linoleumboden. Aschenbecher-Geruch. Die Klima-Anlage rattert wie ein 30 Jahre alter Chevy. Der Rezeptionist gibt sich erst stur. Ich hätte telefonisch reserviert und könne nicht einfach stornieren. Doch als ich sage, dass ich Nichtraucher bin (stimmt leider nicht), lässt er mich gehen. Bei der Ansage wittert man in Amerika sofort eine saftige Klage.
Ich ende im Holiday-Inn Express. Das Zimmer kostet etwas mehr. Doch es ist sauber.
Auch hier ist alles auf den Start der Atlantis getrimmt. Ein Schild verkündet: „Shuttle-Launch: Donnerstag, 16 Uhr 31.“ Ein Papp-Astronaut steht mitten in der Lobby. Im Fernsehen läuft ein eigener NASA-Sender. Rund um die Uhr wird die Mission erklärt oder werden die Astronauten vorgestellt – auch Hans Schlegel.
Am nächsten Morgen die Ernüchterung: Der Start ist verschoben. Die Treibstoff-Sensoren eines Tanks sind defekt. Neuer Countdown: Freitag 16 Uhr 09.
Erinnerungen werden wach. An die Challenger und die Columbia. Die eine zerbrach am 28. Januar 1986 nur 73 Sekunden nach dem Start. Die andere explodierte am 1. Februar 2003 unmittelbar vor der Landung. Beide Unglücke stürzten die NASA in tiefe Krisen.
Ich fahre dennoch zum Space Center. Auf dem Weg sehe ich, wie zahlreiche Hotels mit dem geplanten „Atlantis“-Start werben. Das McDonald’s Restaurant hat gar ein Shuttle nachgebaut – als Spielplatz für Kinder.
Am Space Center staune ich weiter. Als erstes begrüßt mich eine alte Redstone-Rakete des Mercury-Programms, Vorgänger der Mercury-Atlas, die 1962 den ersten Ami, John Glenn, ins All vordringen ließ. Die Antwort auf den Sputnik der Russen. Ich bin von ihrer Einfachheit beeindruckt. Damit wäre ich bestimmt nicht ins All geflogen. Die Astronauten damals waren tatsächlich Pioniere.
Später komme ich zur „Astronauts Hall of Fame“, eine Art NASA-Museum, ebenfalls im Disney-Stil. Gleich nebenan ein überdachter Schießstand, der sich rühmt, klimatisiert zu sein. Ansonsten: Orangenfelder und Hitze. Die Startrampe des Kennedy Space Centers ist abgeschirmt und nicht zu sehen.
Am Nachmittag heißt es dann: „Start frühestens am Samstag.“ Ich entscheide, enttäuscht abzureisen. Pannen-NASA.
Wo ist die Faszination der 60er-Jahre geblieben, als Amis und Russen sich einen Wettlauf ins All lieferten?
Als ich auschecke, ist der Papp-Astronaut in der Lobby bereits gegen einen Weihnachtsmann ausgetauscht worden. Auf dem Parkplatz sehe ich einen Mann in NASA-Uniform. Ich spreche ihn an. Er ist ein Deutscher. Ein Arzt. Sein Onkel, ein deutscher Auswanderer, der heute in Virginia lebt, ist extra nach Florida gekommen, um seinen Neffen nach 20 Jahren zu sehen – und den Shuttle-Start.
„Was kann man machen?“, sagt der NASA-Mitarbeiter. Nach den Katastrophen der Challenger und Columbia will niemand mehr ein Risiko eingehen. Hier stehen Menschenleben auf dem Spiel.“ Und damit hat er natürlich Recht. Am Samstagnachmittag wird der Fug endgültig gestrichen.
Nächster Anlauf: irgendwann im Januar.