Realer Idealismus
Von Stephan Hebel
Datum: 6 | 2 | 2011
Der Westen mischt sich weiter in Ägypten ein. Er will den Übergang mitgestalten und wiederholt alte Fehler. Statt Eliten zu unterstützen, sollte er demokratischen Bewegungen vertrauen.
In der Debatte über die arabischen Revolutionen geht es vor allem um mehr oder weniger „Realpolitik“: Die einen geißeln die Haltung des Westens, der autoritäre Herrscher zu lange geduldet und gefördert hat. Die anderen bestehen auch weiter auf Interessen-, in ihren Worten: Realpolitik – gegen den angeblich naiven Idealismus der Werte-Politiker. Die Realpolitik sah lange Zeit so aus, dass der „Stabilität“ zuliebe orientalische Schönheitsfehler wie Diktatur und Folter geduldet wurden.
Der Friedhofsruhe haben die Revolutionäre zum Glück ein Ende gemacht. Aber schon fingern die USA nebst Gefolgschaft an Übergangslösungen der „stabilen“ Art, die mit den Wünschen der Ägypter allenfalls zufällige Schnittmengen haben.
Da gehört die Idee, Husni Mubarak in ein deutsches Krankenhaus zu verfrachten, noch zu den besseren. (Nebenbei: Schön wäre es, man würde sich hier der humanitären Großzügigkeit wieder erinnern, wenn es um weniger prominente Flüchtlinge geht.) Was wirklich erschreckt, ist die Unbelehrbarkeit, mit der jetzt an Nachfolge-Regelungen unter Einbeziehung der alten Macht gebastelt wird.
Fremdbestimmte Stabilität hat Vorrang
Insgesamt zeichnet sich also die Fortsetzung einer Politik ab, die fremdbestimmter „Stabilität“ Vorrang gibt vor der Autonomie einer für ihre Rechte kämpfenden Gesellschaft. Und es wird weiter so getan, als handele es sich hier um „Real-“ und bei allem anderen um naive „Ideal“-Politik.
Selbst diejenigen, die zurecht den Vorrang demokratischer Werte fordern, sitzen dem künstlichen Widerspruch auf. Zu selten ergänzen sie ihren notwendigen Idealismus durch den entscheidenden Hinweis: Eine Politik, die eigene Werte und Ideale ernst nähme, wäre zugleich die beste und einzig erfolgversprechende Realpolitik.
Hinweise, wie eine wertegebundene Realpolitik aussehen könnte, geben uns die vergangenen Jahre. Sie sind zwar kein Vorbild, keineswegs. Aber sie zeigen so ziemlich alles, was zu vermeiden wäre.
Erstens: Der Westen hat für seine Angst vor dem islamistischen Terror ganze Völker in Geiselhaft genommen. Willkürlich hat er muslimisch geprägte Länder entweder mit Krieg überzogen oder ihren Despoten überlassen. Das war und ist nicht nur unmoralisch, sondern realpolitisch kontraproduktiv. Es bereitet der Bedrohung, die es bekämpfen will, täglich neuen Nährboden.
Zweitens: Der Westen hat seine ökonomischen Interessen mit dem Recht verwechselt, Handelswege und Ölvorräte weltweit zu kontrollieren. Lieber haben wir Unterdrückungsapparate finanziert, als die Reichtümer einer „unkontrollierten“ demokratischen Verfügungsgewalt zu überlassen. Auch das ist nicht nur unanständig, sondern kontraproduktiv: Müssten Demokratien nicht wissen, dass die „Unruhe“ größer, die Revolution radikaler wird, wenn man ganze Völker von Reichtum und Modernisierung ausschließt? Ein Argument übrigens, das auch der Behauptung widerspricht, durch Friedhofsruhe in der Region sei Israel zu schützen.
Terroristen bekämpfen, nicht Völker und Religionen
Drittens: Manche sagen, George W. Bush habe so unrecht nicht gehabt, als er den Demokratie-Export predigte. Ein schlechtes Beispiel! Ziele und Mittel standen hier in einem eklatanten Widerspruch. Wer westliche Werte so verletzt wie die USA im „Krieg gegen den Terror“, wird alles mögliche ernten, nur keine Demokratie.
Wertegebundene Realpolitik würde Terroristen bekämpfen, nicht Völker und Religionen. Sie würde nicht ohne Druck, aber mit den Mitteln der Diplomatie Freiheit und Menschenrechte vertreten. Sie würde den Kontakt zu den Zivilgesellschaften, den Trägern künftiger Demokratien, pflegen, ohne sie zu bevormunden. Sie würde ihre ökonomischen Interessen mit dem Bedarf dieser Gesellschaften austarieren.
Es ist ja wahr: Wer heute in die arabische Welt schaut und darüber hinaus nach Afghanistan und Pakistan, sieht große Risiken. Es ist auch wahr: Wo der Deckel der Diktatur erst angehoben ist, verschaffen auch neue Unwägbarkeiten sich Luft, womöglich gar islamisch-religiös orientierte Parteien. Aber wenn wir an die Erfolgsgeschichte der eigenen Demokratien glaubten, dann müssten wir wissen: Nichts kann die vielbeschworene Stabilität am Ende besser sichern als demokratische und soziale Beteiligung, auch wenn sie nicht immer nur mit dem endet, was uns passt. Das müssen wir ertragen, solange es nicht um die Verletzung fundamentaler Werte geht.
Klingt es „idealistisch“, wenn man auf all das hinweist? Dann könnten wir uns die Rede von der Demokratie auch sparen.
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