The Boss Attacks

Edited by Natalie Clager

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USA Der Boss greift an

Wall-Street-Bankchef Jamie Dimon will in Washington einen kontroversen Sparplan durchpauken.

Der Ernstfall ist eingetreten für die Washingtoner Politik: Wenn sich die Demokraten und die Republikaner nicht binnen weniger Wochen auf einen neuen Haushaltsplan einigen, könnten sie ihr Land in eine neue Rezession schicken. Fiscal cliff heißt die Bedrohung, und sie ist sozusagen ein selbst gemachtes Problem: Der Kongress hat sich vor einiger Zeit darauf festgelegt, dass im kommenden Jahr Hunderte Milliarden Dollar Haushaltskürzungen und Steuererhöhungen vorgenommen werden, falls die Einigung auf den Haushalt und damit auch auf zusätzliche Verschuldung scheitert. Ein sicheres Rezept für einen empfindlichen Wirtschaftsschock. Eben ein Ernstfall.

Mitten drin in den Washingtoner Debatten, und besonders lautstark: Jamie Dimon. »Die USA sind der beste Wirtschaftsmotor, der je gebaut wurde«, mit solchen Sprüchen meldet er sich in diesen Tagen. »Es fehlt nur der richtige Zündfunke.« Und Dimon hat, im Gegensatz zu den Demokraten und den Republikanern, bereits einen fertigen Plan zur Abwendung des fiscal cliff-Problems.

Ganz einfach: Washington soll bescheidene Steuererhöhungen beschließen und zugleich deutlich und langfristig die Sozialleistungen kürzen. Dann kämen die Finanzen wieder ins Lot. Ein Sparplan auf Kosten der Armen und Normalverdiener.

So gibt es eine ganze Menge von Problemen mit Dimons Plan, aber das größte ist wohl: Dimon hat überhaupt kein politisches Mandat. Er ist weder Minister noch Oppositionsführer, noch Senator, ja nicht einmal ein Hinterbänkler im Kongress. Offiziell ist er gar nicht in der Politik. Jamie Dimon ist Banker. Er ist der Chef des einflussreichen Wall-Street-Finanzkonzerns JP Morgan Chase, der führenden Bank Amerikas.

Davon lässt sich Dimon, der gerne Manschettenknöpfe mit dem US-Präsidialsiegel trägt, allerdings nicht weiter abhalten. Gemeinsam mit anderen Wirtschaftsbossen treibt er seinen Sparplan zurzeit ganz energisch voran. Die Initiative »Fix the Debt«, die seine Pläne verficht, sei eine Art Bürgerbewegung von Multimilliardären, lästern Kritiker. Angestoßen wurde sie ursprünglich von dem amerikanischen Großfinanzierer Pete Peterson, und inzwischen sind rund 80 US-Unternehmensführer dabei. Sie reden mit Volksvertretern, sie treten in den Medien auf.

Und keiner agiert dabei so sichtbar wie der Bankchef Dimon. Der Boss des über zwei Billionen Dollar schweren US-Finanzkonzerns ist bekannt für seine harten Bandagen, für seine geradezu brutale Offenheit wie für die Flüche, mit denen er seine Aussagen unterstreicht. Amerika, erklärt der Finanzmanager schon mal, sei ein »free fucking country« und Einwände gegen seine Auffassungen wischt er als »bullshit« weg. Seinen Mitstreitern der CEO-Initiative richtete Dimon in New York kürzlich eine Mittagstafel aus, die mehr Medienaufmerksamkeit bekam als ein Staatsbankett im Weißen Haus. Zuvor hatte man sich zur New Yorker Börse begeben und symbolisch die Eröffnungsglocke geläutet.

Bürgerengagement eines Bankchefs – oder in Wirklichkeit ein Coup?

Dimon findet, dass die Politiker zu zögerlich seien und dass er sie antreiben müsse. Dimon hat JP Morgan Chase zur führenden Bank Amerikas gemacht – und jetzt soll das ganze Land von seinen Managerqualitäten profitieren.

Das sehen natürlich nicht alle so. Dean Baker, ein Ökonom am linksliberalen Center for Economic and Policy Research, hat ein viel unfreundlicheres Wort für die Aktivitäten Dimons: Er spricht von einem »Coup« der Bosse. »Diese Ideen sind gerade erst bei den Wählern durchgefallen«, sagt Baker, »aber das hält Leute wie Dimon nicht davon ab, ihre politischen Vorstellungen in Washington durchzudrücken. Nach dem Motto: Jetzt habt ihr eure Wahl-Show gehabt, aber wir machen trotzdem, was uns passt.«

Wenn man genauer auf die Pläne schaut, fallen ein paar verdächtige Details auf. Ein Teil des »Fix the Debt«-Plans sieht eine Änderung der Steuergesetze vor, die es Konzernen erleichtern würde, ausländische Gewinne nach Hause zu holen, ohne dabei den US-Fiskus bedienen zu müssen. Dimons JP Morgan etwa könnte so 4,9 Milliarden Dollar sparen, hat das Washingtoner Institute for Policy Studies ausgerechnet. Auch könnte der Plan, die staatliche Altersversorgung social security zu reduzieren, für die Wall Street angenehme Folgen haben. Arbeitnehmer müssten dann mehr private Altersvorsorge betreiben, sie würden also in die Arme der Finanzbranche getrieben.

Ausgerechnet die Finanzkrise 2008 ließ Dimon zu dem Schluss kommen, er wisse besser als gewählte Volksvertreter und öffentliche Amtsträger, was Not tue. Und es stößt ihm auf, dass Präsident Obama und viele Politiker die Sache genau andersherum sehen, dass sie den Banken viel Schuld geben und diese künftig viel schärfer beaufsichtigen wollen. Davon fühlt sich Dimon sogar persönlich angegriffen. Es müsse endlich Schluss sein mit dem Eindreschen auf die Banker, findet er. Er habe es satt, dass sie für alles als Schuldige herhalten müssten.

Seit etwa zwei Jahren hat der JP-Morgan-CEO einen wahren Kreuzzug für die Großbanken begonnen. Oder besser gesagt: einen Rundumschlag. Dem angesehenen ehemaligen US-Notenbankchef Paul Volcker, der sich erfolgreich für eine Einschränkung der Bank-Spekulationen mit Eigenkapital einsetzte, unterstellte Dimon öffentlich, »keine Ahnung von Kapitalmärkten« zu haben. Dimon legte sich auch mit dem aktuellen Fed-Chef Ben Bernanke an – etwas, was Banker normalerweise unter allen Umständen vermeiden. Bernanke wagte es nämlich unter anderem, höheres Eigenkapital für Banken zu verlangen. Bei einer Veranstaltung stellte Dimon ihn in großer Runde zur Rede, ob er sich »überhaupt mit dem kumulativen Effekt« der vielen neuen Regeln befasst habe – mit anderen Worten also, ob der Notenbankchef seinen Job gemacht habe. Über Basel III, die internationalen Bankenrichtlinien, schimpft der JP-Morgan-Chef, sie seien in Wahrheit »antiamerikanische Regeln«, die der ausländischen Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil verschafften.

Verhindern konnte Dimon die Reformen trotzdem nicht. Aber ihm und dem Rest der Bankenlobby ist es gelungen, sie erfolgreich zu verzögern und zu verwässern. Doch Dimon will mehr, er will eigentlich, dass die Amerikaner ihre Großbanken wieder bewundern und schätzen. Nur ein Finanzgigant wie JP Morgan könne die Bedürfnisse der US-Großkonzerne bedienen, argumentiert er. Wenn Washington heimische Großbanken schwäche und verkleinere, dann würden ausländische Finanzinstitute bald ihren Platz einnehmen. Eine Supermacht wie die USA brauche aber entsprechende Superbanken.

Die Beschränkungen und strikteren Kapitalauflagen kämen zur falschen Zeit, argumentierte Dimon in einem viel beachteten Brief an die JP-Morgan-Aktionäre. »In 20 Jahren werden Ökonomen schreiben: Es hätte so viel besser laufen können!« Nämlich dann, wenn die Finanzwelt wieder so schalten und walten könnte wie vor der Krise.

Dimon, ein Sohn griechischer Einwanderer und aufgewachsen im New Yorker Vorortviertel Queens, kennt auch nichts anderes. Er war sein Leben lang Banker. Sein Großvater war Aktienhändler, sein Vater Broker für American Express. Nach seinem Harvard-Abschluss bekam der junge Dimon Angebote von Top-Adressen der Wall Street. Doch der Chef seines Vaters, Sandy Weill, versprach dem ehrgeizigen Einsteiger eine zügigere Karriere.

Weill war ein Außenseiter der etablierten Wall-Street-Häuser. Er kaufte – mithilfe von Krediten – quer durch die Branche Finanzfirmen zusammen: Brokerhäuser, Kreditkartenherausgeber, Baudarlehenanbieter, Versicherer. Später schuf Weill einen Finanzsupermarkt, so groß, wie es ihn zuvor nie gegeben hatte: Citigroup. Um Citi möglich zu machen, musste Weill in Washington all seinen Einfluss geltend machen. Denn der Glass Steagall Act, ein Trennbankengesetz aus den dreißiger Jahren, untersagte solche Hybride. Weill setzte durch, dass Glass Steagall 1999 offiziell fallen gelassen wurde. Eine eindrucksvolle Lektion für Dimon, der an der Seite Weills geblieben war.

Vor der Finanzkrise hatte er rechtzeitig zum Rückzug geblasen

Weill sah den Jüngeren jedoch bald als Rivalen und feuerte ihn. Dimon ging nach Chicago und sanierte die angeschlagene Bank One, ein regionales Institut. Dann bekam er die Gelegenheit seines Lebens: 2004 fusionierte er Bank One mit JP Morgan Chase, ein Jahr später war er CEO eines neuen Mega-Finanzkonzerns. Damit spielte er in derselben Liga wie sein Ex-Ziehvater Weill.

Dimon fühlte sich in seinem Ehrgeiz bestätigt, weil JP Morgan der Finanzkrise 2008 weitgehend entging – vor allem dem Hypothekendebakel. Der Chef hatte frühzeitig zum Rückzug aus dem überhitzten Geschäft geblasen. JP Morgan stand sogar derart gut da, dass der Staat gleich zweimal um Hilfe bat. Als die Investmentbank Bear Stearns im Frühjahr ins Trudeln geriet, meldete sich die US-Notenbank Fed bei Dimon. Ob er helfen könne? Dimon stellte harte Bedingungen: JP Morgan zahlte lediglich einen Bruchteil des Aktienwerts, und die Fed bürgte für bis zu 30 Milliarden Dollar möglicher Verluste aus den toxischen Hypotheken und Wertpapier-Portfolios von Bear Stearns. Wenig später klopfte der Einlagensicherungsfonds FDIC bei Dimon an: Washington Mutual, die größte US-Sparkasse, drohte zu kollabieren, der Sicherungsfonds selbst war in Gefahr. Dimon schluckte auch Washington Mutual – nach Branchenschätzungen zum Spottpreis. Selbst Wall-Street-Insider waren beeindruckt. »Als Nächstes kauft JP Morgan die Notenbank«, kalauerten sie nach dem Deal.

Die Krise machte JP Morgan noch größer und mächtiger, während Rivalen wie Citigroup Teile abstoßen mussten und andere ganz verschwanden wie Lehman Brothers oder Merrill Lynch. Die Krise stärkte auch das bereits ausgeprägte Selbstbewusstsein Dimons. »King Jamie« nennen ihn Mitarbeiter.

Heute sitzt JP Morgan an den Knotenpunkten des Finanzsystems. »Wenn JP Morgan Chase in Schwierigkeiten gerät, hat das globale Auswirkungen«, sagt William Black, früher ein Bankenregulierer, heute Professor an der University Missouri Kansas und Spezialist für Finanzbetrug. Im Derivatemarkt etwa ist JP Morgan die Nummer eins. Manche sagen, das sei ein unkalkulierbares Risiko für die USA und die Welt.

Derivate stehen auch im Zentrum dessen, was Kritiker für den bisher schwerwiegendsten Warnschuss halten. Im Frühjahr dieses Jahres machten beunruhigende Gerüchte an der Wall Street die Runde. Ein Händler in der Londoner City habe enorme Wetten auf bestimmte Kreditderivate abgeschlossen, derart gigantische Wetten, dass er mit seinen Orders den gesamten Markt für diese Finanzinstrumente bewege. Den »Wal von London« nannten sie ihn, weil er wie ein Wal in einer Badewanne alle andern verdränge.

Bald stellte sich heraus, dass es sich um Bruno Iksil handelte, einen Händler, der für JP Morgan arbeitete. Iksil verlor die Wetten. Nach jetzigem Stand kostete der Wal JP Morgan über sechs Milliarden Dollar.

Spektakulärer hätte man kaum vorführen können, dass Risiken selbst bei straff geführten Mega-Finanzkonzernen nicht völlig kontrollierbar sind. Dimon räumte zwar Fehler ein und feuerte Verantwortliche. Damit ist der Fall für King Jamie aber offenbar abgehakt. »Der Wal ist harpuniert, zerlegt, verbrannt, und ich werde seine Asche begraben«, gab er bei einer Diskussion mit Studenten launig zum besten.

Die gewagten Sprüche scheinen vorerst genügt zu haben. Auch im Kongress blieben Diskussionen über JP Morgan und die Risiken enormer Geldkonzerne folgenlos. Dimons eigene Aktivitäten in Washington dagegen kommen voran. Ein paar Tage nach der Wahl klingelte sein Telefon. Es war Präsident Obama, der um einen Rat von dem Bankenboss bat.

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