Hysteria over the Anthem

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Warum es kein Wunder ist, dass Mike Pompeo lieber nach Bagdad flog als nach Berlin.

Immer noch ist nicht ganz klar, worum es sich bei den „dringenden Angelegenheiten“ handelte, derenthalben der amerikanische Außenminister Pompeo unserer Kanzlerin und unserem Außenminister kurzfristig einen Korb gab. Denn der Atomschlag gegen Iran hat ja noch nicht stattgefunden. Außerordentliche Geringschätzung war mit der Absage wohl nicht verbunden; auch die Großmacht Grönland musste mit derselben Begründung auf Pompeos Besuch verzichten. Und natürlich soll die Aufwartung, auf die Merkel und Maas schon so lange warten mussten, schnell nachgeholt werden. Dabei ist Eile gar nicht nötig, denn Trump – nach eigener Aussage ein nicht normaler Präsident – hat in Berlin ja einen tüchtigen Botschafter, der ständig öffentlich den Kopf darüber schüttelt, was wir Deutsche doch für Weicheier seien.

Wie sollten wir ihm da auch widersprechen? Unsere Politik zweifelt und zaudert in der Tat ziemlich oft. Auch die Formel, dass alle Macht vom Volke ausgeht, gilt ja nur dann, wenn man dem Volke auch die arabischen Clans zurechnet, die unseren schwachen Staat mit zusätzlichen Pfeilern unterstützen, etwa einem eigenen Justizsystem. Diesem Umbau müssten jetzt endlich rote Linien gezogen werden, fordern nun allerdings einige Politiker. Und siehe da: In unserer hippen Hauptstadt geschieht das schon. In Berlin hat der Manager des Görlitzer Parks mit immerhin rosa Strichmarkierungen Zonen ausgewiesen, in denen die Drogen-Dealer ungestört ihren Geschäften nachgehen können. Will man den Mann verurteilen? Er folgt im Grunde nur dem Beispiel unserer Außenpolitik.

Zum Bild des Jammers, das wir aus amerikanischer Sicht abgeben, gehört gewiss auch die neueste Diskussion über unsere Nationalhymne, die ein echter Evergreen ist, die Hymne wie die Diskussion. Denn statt unsere „Muskeln auf der Weltbühne spielen zu lassen“ (Empfehlung von Botschafter Grenell in der „Bild“-Zeitung), spielen wir lieber wieder mit unseren Skrupeln.

Wie gut wir das immer noch können, führte diesmal der thüringische Ministerpräsident Ramelow vor, der eine neue Nationalhymne forderte, weil beim Abspielen der alten vor seinem inneren Auge immer noch die Nazihorden auf- und abmarschieren. Nun ist das Risiko zwar gering, dass Ramelow deswegen zum Mitläufer wird. Auch hält der innere Film ihn nach eigenem Bekunden nicht vom Mitsingen ab. Doch muss uns seine Beobachtung erschüttern, dass viele echte Ostdeutsche die Zähne nicht auseinanderkriegen, wenn sie von Einigkeit und Recht und Freiheit singen sollten. Diese Kieferklemme tritt also offenbar nicht nur in unserer Nationalmannschaft auf.

Ramelow will sie nicht etwa mit der Rückkehr zur Becher-Hymne lösen, denn da würde bei dem einen oder anderen ja auch ein Film ablaufen, bei älteren Semestern schon wieder einer aus dem Jahr 1939. In „Wasser für Canitoga“ sang Hans Albers so hinreißend „Goodbye Johnny“, dass die Melodie auch noch wunderbar zu „Auferstanden aus Ruinen“ passte. Nein, der Linke fordert einen gänzlich neuen Text, der so eingängig sei, „dass sich alle damit identifizieren können und sagen: Das ist meins“. Drei, zwei, eins…? Alle – das dürfte schlicht unmöglich sein. Wir können uns jedenfalls keinen Text vorstellen, den Björn Höcke und Sahra Wagenknecht gleichermaßen gut fänden. Obwohl…

Wie auch immer, in einer lupenreinen Demokratie wie der unsrigen würde am Ende ja wieder nur eine Mehrheitsentscheidung stehen, am besten getroffen in bewährter Weise, also in einem Song Contest. Auch der könnte freilich die Spaltung in Ost und West deutlicher machen, als uns das lieb sein dürfte, selbst wenn die Punkte nach den anerkannten Regeln des Länderfinanzausgleichs vergeben werden müssten. Denn dann bekämen Bayern und Baden-Württemberg für ihre Lieder ja nur „zero points“ aus dem Osten.

Man sieht, Ramelows Vorschlag war nicht wirklich gut durchdacht. Wenn man sich auch noch die nachfolgende Und-ewig-grüßt-die-Kinderhymne-Diskussion vor Augen hält, versteht man aber wenigstens, warum Pompeo sein Flugzeug noch in der Luft umdirigierte und lieber nach Bagdad flog als nach Berlin.

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