Die Illusion von der Einigkeit
Die Impeachment-Anklage gegen Donald Trump liegt beim US-Senat. Das Verfahren stellt Republikaner und Demokraten vor neue Probleme.
Kleine Kompromisse können sie noch auf dem Capitol Hill in Washington, D. C., dem Sitz des Kapitols. Der neue Mehrheitsführer im Senat, der Demokrat Chuck Schumer, und Mitch McConnell, künftig Minderheitsführer der Republikaner, haben es geschafft, sich auf einen zeitlichen Ablauf für das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump zu einigen.
Am Montagabend übermittelten die Demokraten des Repräsentantenhauses die Klage dem Senat. Normalerweise würde der Prozess bereits an diesem Dienstag beginnen. Doch Schumer und McConnell hatten zuvor einen Deal geschlossen, das Verfahren erst in der zweiten Februarwoche beginnen zu lassen. So werden nun lediglich die Senatoren vereidigt, die als Geschworene fungieren werden.
Beide Seiten gewinnen durch diese Vereinbarung: Die Demokraten können sich bis dahin darauf konzentrieren, Joe Bidens Kabinettsmitglieder zu bestätigen, und an einem weiteren Corona-Hilfspaket arbeiten. Mitch McConnell wiederum hat seinem ehemaligen Präsidenten Zeit verschafft, seine Verteidigung vorzubereiten.
Doch bei der Logistik hören die Kompromisse dann auch schon wieder auf. Das Meinungsbild über das Verfahren wollen beide Seiten in den kommenden Tagen bestimmen.
Das Impeachment gegen Trump stellt Republikaner wie Demokraten vor ein Dilemma. Und in beiden Fällen hat es mit der Einigkeit zu tun, zu der alle seit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar so gern zurückkehren würden. Nach Jahren der Polarisierung, die lange vor Donald Trump begann, ist “Einigkeit” ohnehin eine Phrase, die derzeit illusorisch ist. Und das Amtsenthebungsverfahren wird die Parteien einander nicht näherbringen.
Für die Demokraten ist das zweite Impeachment-Verfahren unausweichlich. Es ist ihre einzige Option, Trump seine mögliche Verantwortung für den Aufstand des gewalttätigen Mobs Anfang Januar nachzuweisen. Außerdem geht es in der Anklage um Trumps Anruf bei Brad Raffensperger, dem obersten Wahlvorsteher in Georgia. Trump hatte den Republikaner aufgefordert, genug Stimmen zu finden, um das Ergebnis in dem Bundesstaat noch umzukehren.
Die Demokratinnen wollen und müssen versuchen, Trump Fehlverhalten und Verfassungsbrüche nachzuweisen und damit ein Signal zu senden, dass ein solches Verhalten in einer Demokratie nicht geduldet wird. “Einige Menschen möchten, dass wir einfach ein neues Kapitel aufschlagen und sagen: ‘Oh, lasst uns weitermachen'”, sagte die demokratische Abgeordnete Madeleine Dean am Sonntag CNN. Doch eine mögliche Verurteilung Trumps und die damit verbundene endgültige Disqualifikation seiner Person seien die ersten wichtigen Schritte hin zu einer Einheit, sagte Dean, die den Fall zusammen mit anderen Abgeordneten vor dem Senat präsentieren wird.
Diese Sichtweise wird bei den eigenen Wählerinnen beliebt sein, nicht aber bei Trump-Anhängern. Sie werden sich durch das Verfahren eher in ihrer Sicht auf die andere Seite bestätigt fühlen. Das macht es Joe Biden nicht einfacher, Präsident aller US-Amerikaner zu sein, wie er es immer wieder angekündigt hat. Viele seiner Dekrete, mit denen er in seinen ersten Tagen im Oval Office Trumps Politik umgekehrt hat, allerdings auch nicht. Mit Blick auf das Amtsenthebungsverfahren hatte Biden sich schon vor seiner Vereidigung eher zurückhaltend geäußert. Am Montagabend sagte er CNN, “ich denke, es muss geschehen”. Biden hatte zuvor darauf gedrungen, dass der Senat sich am Anfang seiner Präsidentschaft nicht ausschließlich auf das Impeachment konzentriert.
Wer bestimmt die Schlagzeilen – Biden oder Trump?
Diese Luft hat Chuck Schumer den Demokraten mit seinem Deal mit Mitch McConnell verschafft. Allerdings um den Preis, dass Trump Bidens politische Agenda noch länger überschatten kann. Das erste Impeachment-Verfahren gegen Trump dauerte drei Wochen. Nun könnte es, wie mehrere Abgeordnete sagten, schneller gehen.
Es dann nicht unnötig in die Länge zu ziehen, ist wiederum im Interesse beider Parteien. Der Prozess zeigt, wie gespalten die Republikanerinnen in ihrem Umgang mit Trump ist. Und er lässt erahnen, dass die Einigung, von der sie sprechen, nicht bedeutet, auf die Demokraten zuzugehen, geschweige denn, komplett mit Trump zu brechen.
Diejenigen, die sich nach wie vor nicht von ihrem ehemaligen Präsidenten distanziert haben und das auch nicht vorhaben, halten das Verfahren für haltlos. Ihnen geht es in ihren Rufen nach Einigkeit allein darum, über mögliche Verfehlungen ihres Präsidenten zu schweigen. Senator Marco Rubio nannte die Anklage bei Fox News “dumm” und “schlecht für Amerika”. “Wir haben in diesem Land bereits ein loderndes Feuer und auf das schüttet man nur noch mehr Benzin”, sagte Rubio. Wer das Feuer in den vergangenen Jahren entfacht hatte, dazu sagte Rubio nichts.
Mindestens 27 Republikaner gegen das Verfahren
Diejenigen, die ihre Partei vom Label des Trumpismus befreien wollen, werden in diesem Verfahren dazu gezwungen, sich öffentlich mit einem klaren Urteil zu positionieren, das sie vier Jahre lang gescheut haben. Der Prozess lenkt Aufmerksamkeit auf Trump und seine Präsidentschaft, die ein Mitch McConnell vermeiden will. Denn ob es wirklich zu einer Verurteilung kommt, ist fraglich. 17 republikanische Senatoren müssten mit den Demokratinnen für eine Amtsenthebung stimmen. Die New York Times hat die 50 konservativen Senatoren befragt, 27 sind demnach gegen das Verfahren, 16 deuteten an, noch unentschlossen zu sein, und sieben reagierten nicht auf die Anfrage. Auch Mitt Romney, der Anfang 2020 im ersten Prozess für eine Amtsenthebung gestimmt hatte, sagte in einem Gespräch mit CNN noch nicht, wie er sich dieses Mal entscheiden werde.
Doch nur bei einer Verurteilung Trumps könnte danach mit einer weiteren Abstimmung erreicht werden, dass Trump nicht noch einmal als Präsidentschaftskandidat antreten kann. Und das wäre, neben Trumps öffentlicher Demütigung, der einzige strategische Vorteil, den der Flügel der Partei, der sich von Trump distanzieren will, aus dem Verfahren ziehen könnte. McConnell soll aus ebendiesem Grund durchaus für das Verfahren sein – auch wenn er öffentlich lediglich sagt, er werde sich alle juristischen Argumente anhören.
Donald Trump äußerte sich zunächst nicht öffentlich. Kurz nach Ankunft der Anklageschrift ließ er aber per E-Mail an seine Unterstützer mitteilen, wie er künftig die Öffentlichkeit informieren wolle, nachdem sein Twitter-Account gesperrt wurde: In Florida wurde das Office of the Former President eröffnet. Auf einer entsprechenden Website gab es zunächst nur ein Logo zu sehen. Vertreten wird Trump durch den Anwalt Butch Bowers aus South Carolina. Doch das gesamte Team steht noch nicht. Wohl auch, so berichten es mehrere US-Medien, weil der Ex-Präsident Schwierigkeiten hat, Anwälte zu finden.
Die New-York-Times-Kolumnisten Gail Collins und Bret Stephens fragten sich am Montag: “Sind wir bereit für einen Montag ohne Trump?”
Nicht nur der neue Präsident Joe Biden wird das mit Blick auf seine eigene Agenda gern bejahen. Auch viele andere Politikerinnen und Bürger sind bereit für die Zeit danach. Doch nicht nur aufgrund des Impeachment-Verfahrens werden sich die vergangenen vier Jahre nicht so leicht verdrängen lassen. Es wird vor allem für Biden ein Balanceakt zwischen einer Aufarbeitung von Trumps Präsidentschaft und dem Bedürfnis, nach vorn zu schauen. Ein paar Trump-Schlagzeilen wird es sicherlich noch geben.
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