Abortion Debate in the US: Where the Reactionary Supreme Court Justices Might Be Right

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Abtreibungsdebatte in den USA: Wo die reaktionären Richter am Supreme Court Recht haben könnten

Es ist verhängnisvoll, dass das Gericht das Recht auf Schwangerschaftsabbruch kippen will. Aber es liegt auch an Fehlern, die schon älter sind. Ein Kommentar.

Eine Abkehr des höchsten US-Gerichts vom bisherigen Abtreibungsrecht wäre verhängnisvoll. Bleibt es bei der Linie, die Richter Samuel Alito in seinem Urteilsentwurf niedergelegt hat, soll das frühere Urteil „Roe v. Wade“ so weit geschleift werden, dass die Bundesstaaten selbst entscheiden, wie sie den Schwangerschaftsabbruch regeln. Im Ergebnis hätte eine Hälfte der USA ein liberales Recht, die andere ein restriktives. Oder sogar ein umfassendes Verbot.

Schwieriger als sich darüber – berechtigt – zu empören ist eine Antwort auf die Frage, wie es so weit kommen konnte. „Trump“, heißt es, und der konservative Rollback, der die Weltmacht unter diesem Stichwort erfasst hat. Verwiesen wird auf das langjährige und endlich erfolgreiche Bemühen, im Supreme Court eine republikanisch-reaktionäre Mehrheit zu installieren.

Richtig an dieser Sichtweise ist, dass in den USA Personalfragen in der Justiz weit stärker politisiert sind als etwa in der Bundesrepublik. Richtig ist wohl auch, dass Urteile dort als eher parteiische Entscheidungen begriffen werden. Manche US-Juristen witzeln darüber, mit welchem Urvertrauen die Deutschen ihrem Bundesverfassungsgericht begegnen; etwa so, als offenbare ein Orakel höhere Einsicht.

30 Bundesstaaten hatten Verbote, dann kam „Roe“

Aber reicht das zur Erklärung? Der Alito-Entwurf liest sich wie ein politisches Manifest. Zugleich greift er Kritikpunkte auf, die das „Roe“- Urteil seit seiner Verkündung 1973 begleiten. 30 Bundesstaaten hätten damals über Abtreibungsverbote verfügt, die mit „Roe“ aufgebrochen wurden, schreibt Alito. Ein Lichtblick für betroffene Frauen. Aber ebenso eine hochpolitische, konfliktive Wegweisung, die mit den Mitteln der Rechtsauslegung vollzogen wurde, statt sie als Gesetz mit Mehrheit zu beschließen. Mit „Roe“ setzte der Supreme Court ein „Privacy“-Recht auf einen selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch durch. Er trat wie der Gesetzgeber auf.

Auch eine Feministin fand das Urteil fragwürdig

Der Vorwurf der Spaltung, der jetzt an den Supreme Court adressiert wird, traf das Gericht bereits damals. Es kommt hinzu, das schreibt Alito ebenfalls, dass die Richter einige Mühe hatten, ihr Votum aus der US-Verfassung abzuleiten. Zwar spricht aus heutiger Sicht viel dafür, den Zugang zu einem medizinisch versorgten Abbruch in den ersten Schwangerschaftswochen als Menschenrecht anzuerkennen. Damals aber war die Diskussion noch nicht so weit, und die US-Traditionen waren andere. Alito zitiert die 2020 verstorbene frühere Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg, eine zutiefst liberale Kämpferin für Frauenrechte, die „Roe“ fragwürdig fand, weil das Urteil zu schnell gekommen sei und den Bundesstaaten zu wenig Gestaltungsraum gelassen habe. Denn das Urteil überantwortete es ausschließlich der werdenden Mutter, bis zum sechsten Monat über ihre Schwangerschaft zu entscheiden

In Deutschland trat der Gesetzgeber als Liberalisierer auf, das Gericht bremste

Der seinem Wesen nach unlösbare Konflikt wurde im deutschen Recht anders herum gehandhabt. Hier trat der Gesetzgeber als Liberalisierer auf, der vom Bundesverfassungsgericht gedeckelt wurde. 20 Jahre, nachdem „Roe“ das Abtreibungsrecht in den USA umgewälzt hatte, verwarf Karlsruhe die so genannte Fristenlösung mit einem straffreien Abbruch in den ersten drei Monaten.

Ein Mittelweg in einer Notlage?

Die Leitsätze von damals wirken heute irritierend. Sie sprechen von einer „Rechtspflicht zum Austragen des Kindes“ und davon, dass ein Abbruch „als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten“ sein müsse. Tatsächlich aber hat das daraus abgeleitete Modell – an dem gewiss vieles kritikwürdig ist – gesellschaftlichen Frieden geschaffen und betroffenen Frauen zugleich Zugang zu medizinischer Hilfe garantiert. „Roe“ gelang das nie, worauf Richter Alito auch hinweist. Man kann nur hoffen, dass in den USA noch ein Mittelweg gefunden werden kann – und es nicht radikal in die andere Richtung geht. Mittelwege können sogar in Notlagen die richtigen sein.

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