Der Voting Rights Act soll rassistische Benachteiligung von Wählern verhindern. Er wird von rechts angegriffen und ausgehöhlt. Nie war das so gefährlich wie jetzt.
Vor 60 Jahren wurde John F. Kennedy ermordet. Er erlebte nicht mehr, wie der Kongress Gesetze verabschiedete, um die rassistische Trennung von Schwarzen und Weißen in den USA zu beenden. Auf dieses Ziel hatte Kennedy während seiner kurzen Präsidentschaft hingearbeitet.
Eines dieser Gesetze ist der sogenannte Voting Rights Act, in Kraft getreten knapp zwei Jahre nach Kennedys Tod am 22. November 1963. Er sollte sicherstellen, dass es künftig nicht mehr möglich wäre, bestimmte Wählergruppen zu unterdrücken – so, wie es zahlreiche Bundesstaaten zuvor mit Schwarzen Wählerinnen getan hatten. Sie nutzten teils explizit rassistische Gesetze, um der Schwarzen Bevölkerung ihr seit 1870 für Männer und seit 1920 für Frauen durch entsprechende Verfassungszusätze garantiertes Wahlrecht wegzunehmen.
“Es sollte für amerikanische Bürger jeglicher Hautfarbe möglich sein, sich ohne Einmischung oder Angst vor Repressalien zur Teilnahme an einer Wahl zu registrieren”, sagte Kennedy in seiner berühmten Radioansprache vom Juni 1963, in der er die Reformen der Bürgerrechte ankündigte, die unter seinem Nachfolger dann Gesetz wurden. Er selbst, der sich bei dem Thema anfangs noch zurückgehalten hatte aus Angst, Wählerstimmen in den Südstaaten zu riskieren, wurde der erste Präsident, der diese “moralische Krise” des institutionalisierten Rassismus benannte. Wie würde er reagieren, wenn er sehen könnte, wie sehr die Gleichberechtigung bei Wahlen – diese so wichtige Errungenschaft der Bürgerrechtsbewegung – in den USA heute bedroht ist?
Die Grundlage für Klagen
Am Montag veröffentlichte ein Bundesgericht in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri ein Urteil, das den Voting Rights Act aushöhlen könnte. Es geht um Paragraf zwei des Gesetzes, eines von dessen wichtigsten Elementen. Darin steht, dass kein Bundesstaat seine Wahlgesetze so gestalten dürfe, dass es zu einer Einschränkung oder gar einer Vorenthaltung des Wahlrechts von US-Bürgern aufgrund von Hautfarbe oder Ethnie komme. Genau das war jahrzehntelang der Fall gewesen, bis die Bürgerrechtsbewegung die Reformen der 1960er-Jahre erkämpfte. Dieser Paragraf verbietet nicht nur Praktiken, die bewusst auf rassistische Diskriminierung abzielen, sondern auch solche, die nachweislich zu einem rassistisch diskriminierenden Ergebnis führen, selbst wenn dies nicht die Intention gewesen sein sollte.
Der Voting Rights Act bietet also die Grundlage, gegen verschiedene Diskriminierungen beim Wahlrecht zu klagen. Das tun üblicherweise Betroffene oder Hilfsorganisationen, die sie vertreten. Und zwar mehr denn je. Das Brennan Center for Justice zählte 2020 mindestens 96 Klagen in 26 verschiedenen Bundesstaaten sowie dem District of Columbia, so viele wie nie zuvor binnen eines Jahres.
In solchen Fällen geht es etwa um die Frage, ob Studierendenausweise als Identitätsnachweis im Wahllokal reichen. Oder darum, ob Menschen, die selbst nicht schreiben können, Hilfe beim Ausfüllen ihres Wahlzettels in Anspruch nehmen dürfen. Der klassische Konfliktfall ist das sogenannte Gerrymandering. Dabei werden Wahlkreise zugunsten einer Partei zugeschnitten. Häufig trifft das besonders stark die Schwarze Bevölkerung, die überwiegend die Demokraten wählt. Es ist also das, worauf Paragraf zwei als Herz des Voting Rights Act zielt.
In Alabama etwa verfügten die dort regierenden Republikaner, dass ein Großteil der Schwarzen Bevölkerung des Staates – knapp ein Drittel von dessen Gesamtbevölkerung – einem einzigen Wahlbezirk zugerechnet wurde. Der Fall ging bis vor den Supreme Court, das höchste Gericht der USA. Er entschied schließlich: Die Karte der Wahlkreise war diskriminierend. Alabama musste einen zweiten Wahlbezirk mit mehrheitlich Schwarzer Wählerschaft schaffen.
Der Voting Rights Act wird von rechts attackiert, seit es ihn gibt
Geklagt hatte in diesem Fall der Aktivist Evan Milligan. Geht es nach den Richtern in St. Louis, soll das künftig nicht mehr möglich sein: “Nach Prüfung des Textes, der Geschichte und der Struktur des Voting Rights Act kam das Gericht zu dem Schluss, dass private Parteien Paragraf zwei nicht geltend machen können”, heißt es in der Urteilsbegründung. “Diese Befugnis liegt allein beim Justizminister der Vereinigten Staaten”. In den vergangenen 40 Jahren, schreiben die Richter, sei 182-mal erfolgreich unter Bezugnahme auf Artikel zwei des Voting Rights Act geklagt worden. Aber nur 15 dieser Klagen seien von der Regierung gekommen.
Was also soll der Sinn dieser Rechtsprechung sein? Dem Justizministerium die Chance geben, mehr Fälle zu gewinnen? Wohl kaum.
Der Voting Rights Act wird von rechts attackiert, er wird ausgehöhlt und eingedampft, seit es ihn gibt. Ein zentraler Teil des Gesetzes besagte, dass Bundesstaaten mit einer Vorgeschichte von rassistischer Diskriminierung von Wählern zunächst die Genehmigung der Bundesregierung einholen müssen, bevor sie ihre Wahlgesetze in irgendeiner Form ändern. Diese Vorschrift erklärte der Supreme Court 2013 für nichtig. In der Folge führten mehr als 20 Staaten restriktivere Wahlgesetze ein. Das dürfte dazu beigetragen haben, dass die Zahl der entsprechenden Klagen von Bürgerinnen und Aktivisten anstieg und 2020 einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Umso wichtiger ist Paragraf zwei: Er sichert diskriminierten Wählerinnen die Möglichkeit zu, im Sinne des grundsätzlichen Gedankens des Voting Rights Act ihr Recht auf den Zugang zu freien Wahlen vor Gericht einzufordern.
Davon fühlen sich diejenigen bedroht, für die Demokratie und Rechtsstaat ohnehin eher hinderlich sind. Dass die Justiz in ihrem Sinne urteilt, verdanken sie vor allem einem: Donald Trump.
Die Entscheidung des Gerichts in St. Louis ist nur das jüngste von vielen Beispielen dafür, welche Auswirkungen vier Jahre Trump auf die Rechtsprechung in den USA haben. Dieses Urteil war das Ergebnis einer Berufung. Es bestätigte ein vorangegangenes Urteil mit derselben Aussage: Gegen rassistische Diskriminierung von Wählerinnen können nicht Wählerinnen klagen, sondern nur die Regierung. Federführend waren in beiden Fällen Richter, die Trump zu seiner Zeit als Präsident ernannt hatte.
Auch der Supreme Court verdankt seine Zusammensetzung aus überwiegend konservativen bis rechten Richterinnen Trump. Dass das oberste Gericht in dem Fall aus Alabama im Sinne der Wählerinnen entschied, war eher die Ausnahme und geschah mit nur knapper Mehrheit von fünf zu vier Stimmen. Der Richter Clarence Thomas, der in seinen Auffassungen als besonders rechts gilt und zuletzt durch einen Bestechungsskandal auffiel, hatte damals bereits angedeutet, auch er sei der Ansicht, Paragraf zwei des Voting Rights Act sei nicht auf Privatpersonen oder Organisationen anwendbar, ebenso sein Kollege Neil Gorsuch, ein Trump-Kandidat.
Was, wenn Trump erneut gewählt wird?
Die Entscheidung aus St. Louis wird nun vermutlich an den Supreme Court als nächsthöhere Instanz weitergereicht. Schließt er sich der Meinung an, würde nicht nur Millionen US-Amerikanern, die von Einschränkungen beim Wahlrecht betroffen sind, die Möglichkeit genommen, sich dieses Recht selbst einzuklagen. Es könnte auch bedeuten, dass das Wahlrecht überhaupt kein Thema mehr für die Gerichte ist.
Dann nämlich, wenn Trump 2024 für eine zweite Amtszeit gewählt werden sollte – wofür im Moment einiges spricht. Er dürfte dann einen Justizminister ernennen, der sich mit vielem beschäftigen wird, aber sicherlich nicht mit einem juristischen Kampf gegen die Diskriminierung Schwarzer Wählerinnen. Und es ist fraglich, ob das breite öffentliche Empörung auslösen würde angesichts der Tatsache, dass das Wahlrecht für einen großen Teil der Gesellschaft ein selbstverständliches Privileg ist, über das er nicht groß nachdenkt: Die Wahlbeteiligung 2020 – die höchste bei einer Präsidentschaftswahl seit 1900 – betrug 66,8 Prozent.
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