USA contra China: Der Krieg, den keiner will und der nicht sein muss
Xi und Biden reden wieder miteinander. Auch über Triviales. Genau das gibt Anlass zur Hoffnung.
China und die USA führen längst einen neuen kalten Krieg. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass beide Seiten ihre starke Verflochtenheit als Waffe einsetzen – Abhängigkeit macht verwundbar. Wer Realist ist, sieht auch nach dem Treffen von vergangener Woche von Joe Biden und Xi Jinping keinen Grund für Optimismus. Eine Annäherung bei den zentralen Konfliktpunkten gab es keine. Anlass zur Hoffnung gibt es jedoch sehr wohl.
Krieg beginnt auf der psychologischen Ebene
Die mächtigsten Männer der Welt hatten vier Stunden lang über harte Themen diskutiert. Über Taiwan, Nahost, Fentanyl. Als sie aus dem historischen Filoli-Anwesen traten, umringt von Journalisten, wirkten sie sonderbar gelöst und begannen, sich über Präsidentenlimousinen auszutauschen. Joe Biden begleitete Xi Jinping bis vor seinen Wagen und sagte: «Das ist ein schönes Fahrzeug.» Dann warf er einen Blick hinein. «Ein Hongqi-Auto», sagte Xi. «Aus heimischer Produktion.» Biden zeigte nickend zu seinem Cadillac und erklärte, es werde «das Biest» genannt.
Die Szene wurde sofort zum Internet-Hit in China. Vielleicht, weil eine solche nonchalante, ja fast freundschaftliche Unterhaltung zwischen den beiden Staatspräsidenten wie aus der Zeit gefallen wirkt nach einem Jahr, in dem die beiden kein Wort miteinander gewechselt hatten und ihre Länder immer schärfer auf Kollisionskurs gingen. Und es war nicht die einzige Szene dieser Art. Ein populäres Bild zeigt die zwei lachenden Präsidenten, Biden mit dem iPhone in der Hand. Er hatte Xi ein Foto gezeigt, eine Aufnahme des jungen Xi auf seinem Besuch in San Francisco vor 38 Jahren. «Du hast dich kein bisschen verändert», soll Biden gesagt haben.
Es ist leicht, diese Szenen als seichtes Geplänkel abzutun. Doch bei dem hochsensiblen Treffen war bestimmt nichts dem Zufall überlassen worden. Selbst diese harmlosen Dialoge hatte sein PR-Team wohl für den amerikanischen Präsidenten vorbereitet, mit der Absicht, Xi als Menschen sichtbar zu machen. Jemanden, mit dem man ein belangloses Schwätzchen halten kann, auch wenn man Joe Biden heisst.
«Krieg», schreibt die Politologin Yuen Yuen Ang, «beginnt auf der psychologischen Ebene, wenn Individuen aufhören, eine gemeinsame Menschlichkeit zwischen ‹uns› und ‹ihnen› wahrzunehmen.»
Das Gemeinsame und die Menschlichkeit stehen in der Geopolitik im Hintergrund. Sie sollten im Fokus stehen, denn am Ende zahlen immer Menschen den Preis für das Gerangel von Machthabern, Völkern und Nationen um Territorien, Einflusssphären und technologische Vorherrschaft. Die Kriege in Nahost und in der Ukraine führen uns das schmerzhaft vor Augen. Ohne das Gemeinsame im Blick bleiben die grossen Theorien der Geopolitik unvollständig. Sie beschreiben die Realität nur ungenügend.
Doch Halbwahrheiten sind oft bestechend, auch wenn sie nur das Trennende im Blick haben. So wie die vom Historiker Samuel Huntington entwickelte Idee des «Clash of Civilizations». Sie besagt, dass Konflikte primär durch kulturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen ausgelöst werden. Nachdem Donald Trump 2016 das Amt übernommen hatte, wurde diese Idee wiederbelebt, um den Wettkampf mit China zu beschreiben. «Dies ist ein Kampf mit einer wirklich anderen Zivilisation und einer anderen Ideologie, und die Vereinigten Staaten hatten so etwas noch nie . . .», sagte Kiron Skinner, der damalige Leiter der politischen Planung im Aussenministerium.
Zu Huntingtons Erzählung passt auch der verbreitete Begriff des «Systemwettbewerbs», der von der Biden-Administration populär gemachte Wettkampf der Demokratien gegen Autokratien. Dabei geht es bei der Rivalität zwischen China und den USA im Kern nicht um kulturelle oder ideologische Unterschiede, sondern um harte machtpolitische Divergenzen.
Die Vormachtstellung der USA ist unbestritten
Die Thukydides-Falle ist die wohl am meisten zitierte Theorie, die herangezogen wird, um den Grossmachtkonflikt zwischen China und den USA zu beschreiben. Was sich der griechische Geschichtsschreiber erdacht hat, ist simpel und leuchtet ein: «Das Wachstum der Macht Athens und die Alarmbereitschaft, die dies in Sparta auslöste, machten den Krieg unvermeidlich.» Auf heute übertragen: Ein aufstrebendes China fordert den etablierten, aber schwächelnden Hegemonen USA heraus, was schliesslich zum Krieg führt.
Die Thukydides-Falle ist auch in Peking populär. Sie fällt ins gleiche Lager wie die dort weitverbreitete Erzählung, dass der Osten im Aufstieg sei, während sich der Westen im Niedergang befinde. Die USA fühlen sich tatsächlich bedroht von China, das nicht mehr arm und schwach ist, sondern in vielerlei Hinsicht aufgeholt hat.
* Wirtschaftlich: Wenn man die Kaufkraft berücksichtigt – in China bekommt man fürs gleiche Geld mehr als in den USA –, ist Chinas Wirtschaft laut dem Internationalen Währungsfonds bereits 23 Prozent grösser als jene der USA. Die Weltbank schätzt den Vorsprung etwas konservativer auf 18,8 Prozent. Ohne Berücksichtigung der Kaufkraftparität haben die USA einen deutlichen Vorsprung mit einem Bruttoinlandprodukt (BIP) von rund 25,5 Billionen Dollar im Jahr 2022 gegenüber China mit 17,9 Billionen Dollar.
* Technologisch: Laut einer australischen Denkfabrik hat China die USA bereits in 37 von 44 Schlüsseltechnologien überholt. Doch die USA bleiben die technologische Weltmacht und werden dies wohl noch einige Zeit sein, auch weil sie mehr für Grundlagenforschung ausgeben und einen massiven Vorsprung im Weltraum haben. China bleibt schwer abhängig von Importen in der Informations- und Computertechnologie.
* Militärisch: China hat die grösste Marine der Welt und mehr Militärpersonal. Die USA führen aber insgesamt immer noch mit grossem Abstand, sind technologisch weit fortgeschritten, haben mehr Ressourcen, sind viel kriegserprobter. Die USA haben etwa 800 Militärbasen weltweit, China eine. Die USA haben 4000 nukleare Sprengköpfe, China geschätzte 500.
Das zeigt, dass der Eindruck täuscht – obwohl China aufholt, geniessen die USA insgesamt einen klaren Vorsprung und bleiben unbestritten die führende Weltmacht. Die Welt ist weder multipolar noch bipolar. Die gegenwärtigen Krisenherde demonstrieren: Sowohl in der Ukraine wie im Nahen Osten übernehmen die USA Verantwortung, während China bestenfalls eine Nebenrolle zukommt. Daraus dürften die USA eigentlich mehr Selbstvertrauen schöpfen.
Ein Krieg würde Chinas Aufstieg erst recht behindern
Chinas Aufstieg ist zwar bewundernswert, nun steht das Land aber vor grossen Hürden. Das Wirtschaftswachstum stagniert just zu dem Zeitpunkt, wo die Bevölkerung abnimmt und überaltert ist. Die Zeiten des sozialen Aufstiegs sind zunächst vorbei. Korruption hat sich durchs System gefressen, bis in die Armee hinein, und sorgt für Ineffizienz. Das Land bekommt immer mehr Gegenwind, es fühlt sich zunehmend von USA-Verbündeten eingekreist.
Genau das sei so gefährlich, argumentieren die Verfechter der «Peak China»-These: eine aufstrebende, revisionistische Macht, die ihren Zenit erreicht hat und nun vor dem drohenden Niedergang steht. Sie agiert gegen aussen umso aggressiver und versucht, zu expandieren, um das Volk durch Nationalismus zufriedenzustellen und zu holen, was noch zu holen ist, bevor es zu spät ist. Dies sorge für Territorialkonflikte und Krieg, aber auch für verstärkte Kontrolle im Inland. Die Verfechter dieser These nehmen Russland als Beispiel. Nach dem wirtschaftlichen Abschwung von 2008 überfiel Wladimir Putin zwei Nachbarstaaten und zog die Repressionsschraube im Inland stärker an.
Auf China übertragen hinkt der Vergleich jedoch. China hat in der Vergangenheit keine Kriege um Territorien angezettelt, um von heimischen Problemen abzulenken. Am Naheliegendsten wäre ein Angriff oder eine Blockade Taiwans. Damit könnte China zwar die Bevölkerung auf Krieg und Krise einschwören und dadurch die soziale Kontrolle erhöhen – die Risiken wären jedoch immens.
Ein chinesisch-amerikanischer Krieg um Taiwan wäre der Beginn des Dritten Weltkriegs und würde Chinas Aufstieg erst recht behindern. Die Weltwirtschaft würde zusammenbrechen. Die Konsequenzen für beide Länder, insbesondere für die Verlierernation, wären katastrophal. Ein Atomkrieg wäre möglich.
Dieses Szenario haben Xi und Biden wohl vor Augen, wenn sie über ihre Präsidentenlimousinen plaudern. Ihre blanglose Konversation rückt es wieder in den Bereich des Denkbaren, dass die beiden Länder etwas gemeinsam haben, wenn es auch nur das gemeinsame Interesse an der Schadensbegrenzung ist. Die treffendsten Analysen des Grossmachkonflikts zwischen China und den USA sehen Krieg denn auch nicht als unausweichliches, sondern als vermeidbares Szenario. Sie sehen die Rivalität zwischen den beiden Grossmächten als handhabbar, ähnlich, wie die konkurrenz zwischen den USA und der Sowjetunion im Kalten Krieg gehandhabt wurde.
Die Erzählung, die wir wählen, gestaltet die Realität, die wir leben. Das Treffen zwischen Xi und Biden macht Hoffnung, das die beiden Länder ein winziges Stück von ihrem zunehmenden Antagonismus abgerückt sind.
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