Stilkritik: Blinken rockt
Wie gut das tut: US-Außenminister Antony Blinken nimmt in einer Bar in Kiew die E-Gitarre in die Hand, spielt einen alten Neil-Young-Song – und weckt Erinnerungen an Billy Joels Jahrhundert-Konzert in Leningrad.
Wer wissen möchte, wie sich Aufbruch anfühlt, sollte sich das Konzert anschauen, welches Billy Joel, gerade ist er 75 Jahre alt geworden, im Jahr 1987 in Sankt Petersburg gegeben hat. Die Stadt hieß damals noch Leningrad, Joel war der erste US-Rockstar, den das Sowjet-Regime für eine Tournee reingelassen hat. In Leningrad zog er eine – für heutige Taylor-Swift-Verhältnisse – freilich bescheidene Show ab, selten aber glaubt man in jungen Gesichtern so viel Glück gesehen zu haben, wie damals im von uniformierten Staatskräften noch streng beobachteten Publikum.
Es war eine Zeit, in der Hoffnung aufkeimte auf ein Ende des Kalten Krieges. Ganz anders als jetzt. Umso größeren Respekt muss man vor US-Außenminister Antony Blinken haben, der es zwar nicht in eine russische Konzerthalle geschafft hat, man möchte gar nicht wissen, was das für Folgen gehabt hätte, aber in der Kiewer Kneipe “Barman Dictat” aufgetreten ist. Blinken, 62, nahm die E-Gitarre in die Hand und spielte “Rockin’ in the Free World”, also den Song, mit dem Neil Young Ende der Achtzigerjahre die fürchterlich spaltende Politik des republikanischen US-Präsidenten George Bush kritisierte.
Das ukrainische Publikum feierte Blinken für den Auftritt. Und auch wenn es – wie man auf Handyvideos sehen kann – in der Bar doch deutlich enger und weniger ausgelassen zuging als damals bei Billy Joel in Leningrad: Es tat einfach gut, mal zu sehen, dass es noch Politiker gibt, die unter Instrument nicht nur Kriegsgerät verstehen. Die ein lässiges dunkles Hemd einem nackten Oberkörper vorziehen und sich lieber an irgendwelchen Mikrofonständern vorbeiquetschen, als sich von ihrem Wachpersonal zehn Meter hohe Goldtüren öffnen zu lassen. Ja, das war wirklich eine Wohltat. Denn wie sagte schon der großartige – russische – Komponist Pjotr Iljitsch Tschaikowsky? “Gäbe es keine Musik, so hätte man in der Tat einen Grund, verrückt zu werden.”
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