Führungskrise in Amerika
Die Wahl ist jetzt schon gelaufen
Es ist so gut wie vorbei: Joe Biden sollte sich als Kandidat zurückziehen. Die Debatte um eine Alternative ist schon in vollem Gang. Aber wer nimmt es auf sich, ziemlich sicher gegen Donald Trump zu verlieren?
Joe Biden wird sich zurückziehen, keine Frage. Er überschätzte sich, als er glaubte, er könne noch einmal als Präsident antreten, trotz seines Alters, trotz seiner Aussetzer. Es war aber auch niemand da, der ihm den Rang streitig gemacht hätte. Ein Armutszeugnis für die Demokraten, die viele Eigensinnige und Eigensüchtige in ihren Reihen aufweisen, aber keinen besseren Kandidaten.
Die Frage ist nur, ob seine Frau Jill oder ein Vertrauter Joe Biden nahebringt, dass es vorbei ist. Es könnte auch Barack Obama gebeten werden, die richtigen Worte zu finden, um den Präsidenten zur Einsicht zu bekehren. Vielleicht ist es aber auch so, dass Joe Biden inzwischen weiß, was unvermeidlich ist, und selbst die Reißleine zieht. Er kann Präsident bleiben, aber nicht über den 20. Januar hinaus, den Tag der Amtsübergabe.
Er hätte eine Chance gehabt
Donald Trump ist ein pathologischer Lügner. Erstaunlicherweise kam keiner der beiden Moderatoren im TV-Duell auf den Gedanken, seine abwegigen Behauptungen aufzuspießen. Und genauso wenig dürfte irgendein Republikaner darüber sinnieren, ob diese altehrwürdige Partei nicht auch ihren Kandidaten zurückziehen sollte, der eine echte Gefahr für die Demokratie bedeutet, wenn er die Gelegenheit zum Durchregieren bekommt.
Selbst wenn die Demokraten nach dem 5. November noch eine Mehrheit im Senat haben sollten, dürfte sich Trump nicht bändigen lassen. Sein Respekt vor Institutionen ist gleich null. Den Supreme Court muss er nicht fürchten; ihn hat er so konservativ gewendet, dass er ihm nicht in den Arm fallen wird. Amerika aber muss den entfesselten Trump fürchten.
Wenn nicht ein Wunder geschieht, dann ist die Wahl jetzt schon gelaufen. Ein kraftvoller Biden hätte eine echte Chance besessen. Schon einmal besiegte er Trump. Wirtschaft und Renommee Amerikas legten in seiner Präsidentschaft deutlich zu. Eine Tragödie, allerdings eine mit Ansage, dass seine Geisteskräfte schwinden.
Hat Newsom den Reagan-Faktor?
Die Demokraten müssen schleunigst einen Ersatzmann oder eine Ersatzfrau finden. Kamala Harris wäre die Ideallösung, hätte sie sich in den vergangenen vier Jahren profiliert. Hat sie aber nicht, und deswegen scheidet sie als Kandidatin aus. Also muss es eine Figur aus dem Reservoir der Gouverneure sein, mit dem Makel fehlender nationaler Reichweite und Bekanntschaft. Sowohl Gavin Newsom (Kalifornien) als auch Gretchen Whitmer (Michigan) leiden unter diesem entscheidenden Nachteil.
Es läuft wohl auf Newsom hinaus. Er regiert den großen Bundesstaat Kalifornien, hat einen gewissen Bekanntheitsgrad, während Whitmer als Gouverneurin im kleineren Michigan wirkt und außerhalb eine eher unbekannte Größe wäre.
Vielleicht sogar legt Newsom in den nächsten Monaten einen fulminanten Wahlkampf hin. In Amerika ist ja vieles möglich, was sonst undenkbar wäre. Newsom ist vergleichsweise jung, 54 Jahre alt, er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, ehe er in die Politik ging. Der letzte Gouverneur Kaliforniens, der zum Präsidenten aufstieg, war Ronald Reagan.
Er könnte Trump beim Alter stellen
Mit Newsom ließe sich endlich auch das Alter des Kandidaten Trump, er ist 78, thematisieren. Voraussetzung dafür wäre eine fast verzweifelte Geschlossenheit der Demokraten, die momentan in viele eifersüchtige Einzel-Egos auseinanderfallen.
So schnell, wie es mit der Alternative zu Biden gehen müsste, wird es ohnehin nicht gehen. Zuerst muss die Biografie Newsoms bis ins intimste Detail durchforstet werden, damit die Gegenkampagne nichts ausgraben kann, was ihn schwächen würde. Newsom leidet etwa unter Dyslexie, einer Schreib- und Leseschwäche, die das Trump-Lager ausschlachten wird, keine Frage.
Am 19. August beginnt der Krönungsparteitag der Demokraten. Womöglich bringt es diese zerfaserte, disparate Partei fertig, bis dahin zu warten, weil sie sich nicht auf einen Kandidaten (oder eine Kandidatin) einigen kann. Wollen wir’s nicht hoffen.
Wenn Amerika einen Präsidenten wählt, schaut die Welt angespannt zu. Amerika besitzt noch immer eminenten Einfluss auf allen Kontinenten, natürlich auch in Europa. Wir sind zwar auch nicht mit einer glänzenden Regierung geschlagen, aber ein Präsident Trump wäre eine verhängnisvolle Last für Frankreich, Deutschland und Großbritannien, für die baltischen Staaten und Polen und vor allem für die Ukraine.
Joe Biden ist ein redlicher Mann
Joe Biden wird womöglich der letzte amerikanische Präsident gewesen sein, auf den sich Europa in West wie Ost verlassen konnte. Ihn prägte der Kalte Krieg und das interventionsbereite Amerika mit all seinen Stärken und Schwächen. Er ist der ultimative amerikanische Patriot und kenntnisreiche Außenpolitiker. Wir werden ihm noch nachtrauern.
Da er zudem ein redlicher Mann ist, wird er in Kürze die Konsequenzen ziehen und aufgeben. Er kann sagen: “Mein Alter fordert seinen Tribut, deshalb mache ich einem Jüngeren Platz. Ihn werde ich als Präsident kraftvoll im Wahlkampf unterstützen.”
Und dieser jüngere Mensch sollte unbedingt schnellstens auf den Plan treten und sein Möglichstes tun, um Trump wie durch ein Wunder als Präsidenten zu verhindern.
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