US Election: Toxic Division

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Die US-Wahl zeigt einmal mehr, was alles nicht hilft im Kampf gegen Trump. Wer auf seine Lügen eingeht, nähert sich bereits einer Falle. Es kommt zu einer soziokulturellen Schlacht in einem tief gespaltenen Land. Der Leitartikel.

Die extreme Spannung vor der US-Wahl hat etwas Quälendes. Wieso, seufzen dieser Tage auch viele Deutsche, ist da eigentlich bis zuletzt alles offen? Die strahlend gestartete Kamala Harris ist ins Zwielicht neuen Zweifels geraten, auch in den eigenen Reihen. Hat sie ein paarmal zu oft über Abtreibung geredet statt über Wirtschaftsthemen? Hat sie gar selbst dazu beigetragen, dass in jüngster Zeit vor allem junge Männer mit niedrigem Bildungsgrad leise ins Lager Donald Trumps geströmt sind?

Bewiesen wurde jedenfalls einmal mehr, was alles nicht hilft im Kampf gegen Trump. Wer auf seine Lügen eingeht und ihn mit großer Geste widerlegen will, nähert sich bereits einer Falle. Denn in der Blase seiner Fans entfalten Trumps Aussagen leider auch dann ihre Wirkungen, wenn sie nicht stimmen.

Als Trump von Migrant:innen sprach, die Katzen und Hunde von Einheimischen essen, glaubten viele, nun habe er sich unsterblich blamiert. Doch so faktenbasiert gedacht wird nur in der einen Hälfte Amerikas. In der anderen, in der es auf Dichtung oder Wahrheit nicht so sehr ankommt, genügen diffuse Botschaften ans Unterbewusstsein, um Stimmungen zu beeinflussen. Resonanz fand hier auch Trumps – ebenfalls wahrheitswidriger – Vorwurf, die Regierung habe, „nachdem sie Milliarden an Ausländer gezahlt hat“, zu wenig übrig für amerikanische Flutopfer in North Carolina.

Wie übersteigt man eine solche Lügenmaschinerie? Geholfen haben den US-Demokraten Signale in die Mitte hinein: die Ernennung des bodenständigen Tim Walz zum Vizepräsidentschaftskandidaten, das auf 80 Seiten zum Download bereitgestellte Harris-Konzept zur steuerlichen Entlastung junger Familien, die Auftritte von zu Harris-Fans gewendeten Republikanern.

Harris und ihre Helfer:innen haben vieles, aber nicht alles richtig gemacht. Allzu oft haben sie die Abschottung des Trump-Lagers beklagt – und ihre eigene nicht wahrgenommen. Was hilft eine Faschismusdebatte kluger Köpfe aus liberalen Küstenregionen, wenn Leute vom Land erwidern, unter Trump sei nun mal der Einkauf im Supermarkt viel billiger gewesen?

Gebildete Amerikaner:innen erkennen mehrheitlich an, dass die Inflation nach der Pandemie ein internationales Phänomen war – und dass die USA ihre Wirtschaft seither besser in Schwung gebracht haben als alle andere G7-Staaten. Unter weißen Wähler:innen mit College-Abschluss hat Harris aktuell einen Vorsprung von 18 Punkten vor Trump. Biden lag in dieser Gruppe im Jahr 2020 mit neun, Hillary Clinton 2016 mit fünf Punkten vorn. Den Demokraten geben diese Zahlen Hoffnung für die letzten Meter.

Zugleich markieren sie eine weitere Trennlinie. Gebildete und Ungebildete leben sich politisch immer mehr auseinander, ebenso Städter:innen und Landbewohner:innen. Vor allem aber werden Männer und Frauen bei dieser Wahl so unterschiedlich abstimmen wie nie. Eine Umfrage ergab unter Frauen eine 53-zu-36-Mehrheit für Harris und unter Männern eine 53-zu-37-Mehrheit für Trump. Zuletzt wuchs dieser frappierende Unterschied noch an – ebenso wie die Unsicherheit der Meinungsforschung, die das Unvorhersagbare dieser Wahl betont.

Zu besichtigen ist eine kolossale soziokulturelle Schlacht, in die beide Seiten alles entsenden, was sie rechnerisch aufzubieten haben. Die Demokraten dürfen das Toxische daran nicht verkennen: Kämpfe entlang von Identitäten – Herkunft, Geschlecht, Bildung – verschlimmern alle Zerklüftungen der amerikanischen Gesellschaft über den Wahltag hinaus. Politische Meinungen können sich ändern, Identitäten nicht. Harris wird, wenn sie Glück hat, Präsidentin der so tief wie nie gespaltenen Staaten von Amerika.

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