Heroisierung des New Yorker Mörders: Die Opfer-Täter-Umkehr macht eine fatale Karriere
Noch selten hat ein Gewaltverbrecher so viele Sympathiebekundungen erhalten wie Luigi M., der mutmasslich den United-Healthcare-CEO erschossen hat. Es ist eine perverse moralische Umwertung.
Olivgrüne Jacken mit Kapuze und auffälligen Brusttaschen sind derzeit ein Renner in den amerikanischen Warenhäusern. Wie Überwachungskameras festhielten, trug Luigi M. eine solche Jacke, als er in New York dem CEO des Krankenversicherers United Healthcare auflauerte und ihn erschoss. «Delay, Deny, Depose» hatte der Mörder auf seine Patronenhülsen geschrieben, um gegen das angebliche Verzögern, Verweigern und Absetzen von Therapien durch die Versicherungen zu protestieren. Inzwischen liest man die Worte auf T-Shirts und Mützen oder Tassen, die über Online-Portale als Merchandise-Artikel in Umlauf gebracht werden.
Noch selten, vielleicht noch nie hat ein Mord eine vergleichbare Sympathiewelle ausgelöst. Noch nie ist eine Tat so schnell und so schamlos zum Zweck der Sympathiebekundung für einen Mörder kommerzialisiert worden. In kürzester Zeit wurde aus einem Verbrecher ein Robin Hood, der gegen die angeblich gleichermassen verbrecherischen Krankenversicherer eine heroische Tat vollbracht hatte.
Sogar die amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates ist dem Mörder beigesprungen. Zwar nennt sie in einem Post auf X seine Tat umstandslos einen Mord, der entsprechend bestraft gehört. Im gleichen Atemzug aber macht sie den Krankenversicherern den Vorwurf, zur Profitmaximierung den Tod von Patienten in Kauf zu nehmen. Das sei nicht weniger verwerflich, schreibt sie, nur werde es nicht geahndet.
Sie rechtfertigt mit dem Hinweis auf die Praktiken der Versicherer den Mord nicht ausdrücklich, doch indem sie ihr Verständnis für die Sympathisanten von Luigi M. bekundet, leistet sie einer Verwischung von Grenzen Vorschub. Wer in dem Absolventen einer Elite-Universität und Sohn einer italienischen Einwandererfamilie aus Sizilien, die es in drei Generationen zu grossem Wohlstand gebracht hat, einen Robin Hood erkennt, suggeriert zugleich, dass es einen Mord aus höheren Beweggründen gibt. Das angebliche Vergehen des Opfers – Chef eines Krankenversicherers mit Milliardengewinnen zu sein – gebe der Tat in dieser perversen moralischen Umwertung den Anschein von Berechtigung.
Die Opfer-Täter-Umkehr hat seit dem Massaker der Hamas neuerlich eine fatale Karriere gerade unter amerikanischen linken Intellektuellen gemacht. Dass das Opfer der eigentliche Täter sei und der Mörder aus berechtigter Notwehr oder aus anderen höheren Gründen gehandelt habe, gehört allerdings seit langem zur Rechtfertigungsstrategie des terroristischen Handwerks. Es ist ein deprimierendes Symptom für diese Gesellschaft, dass die Sympathisanten von Luigi M. nicht erkennen, in welche Falle sie tappen und mit wem sie sich in dieser Denkweise gemeinmachen.
Vielleicht gelingt es Amerikanern umso weniger, diesen Zusammenhang zu durchschauen, weil Amerika den Heroismus eines Robin Hood schon immer kultiviert hat. Er ist gleichsam als Gründungsmythos in die amerikanische Seele eingeschrieben worden. So wie man den Selfmademan dafür bewundert, wie er sein Leben in die eigene Hand nimmt, so bewundert man jenen, der sein Leben eigenmächtig verteidigt, wenn es in Gefahr ist, oder der sich zur Wehr setzt, wenn seine Freiheit bedroht scheint.
Wer in Luigi M. den Vollstrecker einer höheren Gerechtigkeit zu erkennen glaubt, verbündet sich allerdings auch mit jenen, denen es bis auf den heutigen Tag gelungen ist, das Recht auf Waffenbesitz mit dem Hinweis auf das Recht zur Selbstverteidigung zu bewahren. Denn nichts anderes bedeutet die Sympathie für diesen Mörder: Man applaudiert einem, der aus angeblich hehren Motiven das Recht in die eigenen Hände genommen hat.
Man will nicht wissen, welche Signale damit an mögliche Nachahmer ausgeschickt werden, die nur darauf warten, ihrerseits den heroischen Robin Hood zu spielen und ihr Recht aus vermeintlich höheren Beweggründen durchzusetzen. Man möchte sich nicht an die Frivolität einer Gesellschaft gewöhnen müssen, die Täter höher schätzt als die Opfer.
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