A pastor in the United States burns the Koran; in Afghanistan violence breaks out. People may be said to have gained sufficient civilized maturity when they finally learn that they have to tolerate the unpopular opinions of others.
Pastor Terry Jones is an irresponsible zealot and an anti-Muslim hatemonger. Two weeks ago, the Christian clergyman led the congregation of his tiny church in Florida in a service that ended in the burning of a Koran. That touched off violent demonstrations in Afghanistan the following weekend. A mob attacked a United Nations office in Masar-i-Sharif where twelve people were killed.
Jones knew what he was doing. He had been repeatedly warned of the consequences of such a provocation. Last fall, he announced his intention to publicly burn a Koran on the anniversary of the 9/11 attacks and was dissuaded from doing so only with great difficulty.
This time, the warnings came too late. Did U.N. employees in Afghanistan have to die because a fanatic in Gainesville, Florida condemned Islam’s holy scripture in a staged trial? Is Jones perhaps guilty of inciting murder?
The chain of causation doesn’t always indicate responsibility. When Christians in Yemen are executed for reading the Bible the executioners have committed a crime, not the Christians. Likewise in Afghanistan: Those who kill Norwegians and Swedes because they think their mere presence in Afghanistan constitutes blasphemy have committed the unpardonable crime of murder that can never be justified. Murder is a thousand times more serious than any possible form of blasphemy. And to consider Terry Jones alone to be a killer runs the risk of pardoning the real murderers.
Such behavior is often characterized by a certain paternalism: Muslims are easily offended; they tend toward uncontrollable fits of rage and violence. They must therefore never be provoked and whoever does so has no right to complain about the consequences. Such an attitude absolves the perpetrators of responsibility and provides them with extenuating circumstances.
On the other hand, those who look strictly at the killers exclude the fact that causal chains are exactly that. They are chains of events; they have beginnings and endings. Whoever does A must also accept B.
It’s not the same as when Danish cartoonist Kurt Westergaard drew a caricature of the prophet Mohammed wearing a bomb as a turban. At that point in time, Jones had no idea of the potentially deadly ramifications of his Koran burning plan. The hatred he sowed bloomed in the Islamic religious services on Friday, where the pious were incited to action. That’s how the screams and the echoes of those screams became amplified rather than silenced. And Jones unwisely defended his act by citing the violence as proof that his condemnation of Islam was right all along.
The United States Constitution permits Koran burning as it does the burning of crosses and the U.S. flag. It permits protesters to display signs at the funerals of soldiers killed in combat that say “Thank God for dead soldiers!” or “Thank God for 9/11.” The constitutionally protected right of expression extends further in the United States than in any other nation on earth. Americans are proud of that. They believe tolerance of unpopular words, gestures and symbols is a necessary part of a free society. Americans, including the president, opposition party members and religious organizations, have definitively distanced themselves from Jones and his misdeeds. Only the ignorant or the malicious are willing to say Jones speaks for more than just himself.
Democracy was forcibly exported to Iraq and Afghanistan. In Tunisia and Egypt, the people are fighting for democracy from within. Only when societies understand they must tolerate opinions, blasphemies and artistic freedoms with which they basically disagree, only when they recognize that violence can never be justified even in cases of apostasy, only then will those historic upheavals produce the civilizing maturity that result in real courage. Those who despise Terry Jones the most need only pay him the least attention.
Schreie und Widerschreie
Von Malte Lehming
04.04.2011
Als Reaktion auf eine Koran-Verbrennung in den USA verbrennen Demonstranten in Afghanistan eine US-Flagge. - Foto: ReutersIn den USA lässt ein Pastor den Koran verbrennen – und in Afghanistan tobt die Gewalt. Erst wenn die Gesellschaft dort versteht, dass sie auch Meinungen dulden muss, die ihr elementar zuwider sind, wird sie notwendige zivilisatorische Reife hervorbringen.
Pastor Terry Jones ist ein verantwortungsloser Zelot und antimuslimischer Hetzer. Vor zwei Wochen leitete der christliche Geistliche in seiner kleinen Kirche in Florida eine Veranstaltung, die mit einer Koran-Verbrennung endete. In Afghanistan kam es daraufhin am Wochenende zu gewaltsamen Protesten. In Masar-i-Scharif überfiel der Mob eine UN-Zentrale, zwölf Menschen wurden getötet.
Jones wusste, was er tat. Vor den Folgen seiner Aktion war er oft gewarnt worden. Bereits im vergangenen Herbst wollte er, zum Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001, zu einer öffentlichen Koran-Verbrennung aufrufen. Nur mühsam konnte er davon abgehalten werden.
Diesmal kam jeder Einspruch zu spät. Müssen Mitarbeiter der Vereinten Nationen in Afghanistan sterben, weil in der amerikanischen Stadt Gainesville ein Fanatiker in einem inszenierten Prozess die Heilige Schrift des Islam für schuldig erklärt? Hat Jones gar zum Mord angestiftet?
Nun sind Kausalketten nicht immer identisch mit Verantwortlichkeiten. Wenn Christen im Jemen hingerichtet werden, weil sie in der Bibel lasen, haben die Mörder ein Verbrechen verübt, nicht die Christen. Ebenso gilt in Afghanistan: Wer Norweger und Schweden umbringt, weil er sich durch eine zutiefst blasphemische Tat verletzt fühlt, begeht ein Verbrechen, das durch nichts zu rechtfertigen ist. Mord wiegt tausendfach schwerer als jede Form der Gotteslästerung. Wer den Blick allein auf Terry Jones richtet, läuft Gefahr, die wahren Schuldigen zu entschuldigen.
In dieser Haltung schwingt oft auch eine gewisse Form des Paternalismus mit: Muslime sind nun mal schnell beleidigt, sie neigen zu unkontrollierbaren Wutausbrüchen und zur Gewalt; deshalb darf man sie auf keinen Fall provozieren; wer es dennoch tut, darf sich über die Folgen nicht beschweren. Eine solche Einstellung entmündigt die Täter und billigt ihnen mildernde Umstände zu.
Wer den Blick aber allein auf die Mörder richtet, blendet in seinem Urteil das Wissen darüber aus, dass auch auf Irrationalität und Brutalität beruhende Kausalketten eben das sind – Kausalketten. Das Ende hatte einen Anfang. Wer A tat, nahm B in Kauf.
Anders als der dänische Karikaturist Kurt Westergaard, der den Propheten Mohammed mit einer Bombe als Turban gezeichnet hatte, war sich Jones über die potenziell todbringenden Folgen seiner Aktion im Klaren. Der Hass, den er säte, ging auf in jenen islamischen Freitagspredigern, die die Gläubigen aufstachelten. So verstärken sich Schreie und Widerschreie wie in einem Echo, das immer lauter wird, statt zu verhallen. Und gegen die Vernunft hat Jones sich imprägniert. Die gewalttätigen Reaktionen auf die Koran-Verbrennung wertet er als Beweis dafür, mit seiner Verurteilung des Islams recht gehabt zu haben.
In den USA ist es erlaubt, den Koran zu verbrennen. Es ist erlaubt, Kreuze oder die US-Fahne zu verbrennen. Es ist erlaubt, bei Beerdigungen von im Irak gefallenen Soldaten Schilder in die Luft zu halten, auf denen „Gott sei Dank für tote Soldaten!“ und „Gott sei gedankt für den 11. September 2001!“ steht. Das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung wird weiter ausgelegt als in allen anderen Staaten der Welt. Amerikaner sind stolz darauf. Durch aggressive Worte, Gesten und Symbole verletzt zu werden: Das gehört für sie zu den Zumutungen einer echten freiheitlichen Gesellschaft. Von Jones und dessen Missetaten haben sich alle entschieden distanziert – Präsident, Opposition, religiöse Organisationen. Nur Ignoranten oder Böswillige können behaupten, der radikale Kirchenmann repräsentiere mehr als sich selbst.
Nach Afghanistan und in den Irak sollte die Demokratie gewaltsam exportiert werden. In Tunesien und Ägypten ist das Volk dabei, sie aus eigener Kraft zu erkämpfen. Erst wenn man hier wie dort begreift, dass eine Gesellschaft auch Meinungsäußerungen, Blasphemien und künstlerische Freiheiten dulden muss, die ihr elementar zuwider sind, erst wenn man versteht, dass Gewalt nie gerechtfertigt ist, auch nicht bei Apostasie, erst dann werden die großen historischen Umwälzungen jene zivilisatorische Reife hervorbringen, die wirklich Mut macht. Wer Terry Jones verachtet, beachte ihn möglichst wenig.
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