Rasse, Klasse – Geschlecht
VON HELMUT MÜLLER-SIEVERS
Die Hoffnung stirbt zuletzt
+ Die Hoffnung stirbt zuletzt (ap)
Nach allen realmathematischen Überlegungen wird sich weder Hillary Clinton noch Barack Obama im August auf genügend Delegierte stützen können, um im August in Denver zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gekürt zu werden. Die Frage lautet jetzt, ob der noch ausstehende Wahlkampf so geführt werden kann, dass der Gewinner ungeschwächt gegen John McCain antreten kann.
Die letzte Woche hat gezeigt, dass dies nicht Hillary Clintons Sorge ist. Sie hat Werbespots gezeigt, in denen sie Zweifel an Obamas Krisenmanagement sät, sie ist Gerüchten, er sei Muslim, erst nach Aufforderung entgegengetreten, sie hat ihn indirekt des Antisemitismus bezichtigt, sie hat erklärt, er habe weniger Erfahrung als John MacCain – alles Angriffe, die sich der republikanische Gegner zu nutzen machen wird.
Charisma und Rhetorik
Es sind diese taktischen Ausfälle, die die Clintons in den vielen Wahlkämpfen ihres Lebens gelernt haben und die sie zum Spiegelbild und damit zu den Lieblingsfeinden ihrer republikanischen Gegner machen: Nie aufgeben, sich immer auf die nächste Auseinandersetzung konzentrieren, Zähigkeit und das Comeback zu Tugenden erheben, Wählergruppen aufsplittern und Netzwerke persönlicher Abhängigkeiten aufbauen – so sind Republikaner und Clintonianer in den letzten zwei Jahrzehnten ineinander verbissen, zum Schaden des Landes. In den Blogs beten linke und moderate Kommentatoren, dass der Albtraum bald vorbei sein möge, doch es sieht nicht danach aus.
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Woraus speist sich die Animosität gegen Obama, die außer von Clinton von einer nicht unbeachtlichen Anzahl Intellektueller und Akademiker geteilt wird? Da ist zunächst die wohlmeinende Sorge, ein so junger und unerfahrener Kandidat würde in Hauptwahlkampf von den Republikanern zerfleischt werden. Clinton, so heißt es, habe das alles schon hinter sich. Da ist ebenso das Befremden über eine neue Generation und ihre Organisations- und Kommunikationsformen, die über facebook, youtube und diverse Blogs laufen. Clintons bevorzugtes Medium ist immer noch die Fernsehdebatte, wo sie ihre Detailkenntnisse ausbreiten und ihre Botschaft kontrollieren kann. Da ist der in verschiedenen Versionen geäußerte Vorwurf, Obama sei ein Charismatiker, während Clinton das Versprechen rationaler Herrschaft darstelle.
Dieser Vorwurf hat viele Implikationen, die nicht alle ausgesprochen werden können; er bringt Obama in die Nähe schwarzer Priester, die für weiße Ohren bedrohlich klingen, er sexualisiert ihn zum Rockstar, er macht ihn zu einem Kandidaten der Kids, mit eben deren Reifegrad. Der Auslöser des Vorwurfs jedoch ist Obamas Redekunst: Sie, so die Befürchtung, fanatisiere und überwältige die Zuhörer und beraube sie des nüchternen Urteils.
Nun ist die große Anziehungskraft von Obamas Reden vor allem der rhetorischen Dürre der letzten acht Jahre, der Kakophonie des Gehaspels und des Gezeters verschuldet – junge Wähler in den USA haben noch nie einen Politiker gut sprechen hören, und beide Clintons sind da keine Ausnahme. Die Vorstellung allerdings, Obama peitsche seine Zuhörer in Ekstase, ist sicherlich falsch und geht an dem besonderen Pathos, ja an der Hymnik seiner Rede vorbei. Je lauter der Vorwurf der leeren Rhetorik wurde, desto mehr hat sich Obama auf die lockere Kadenz eines Vortragenden, der sich gerne auch einmal unterbrechen lässt, zurückgezogen, aber es gibt natürlich Vorteile, die man in einem Wahlkampf nicht ganz aus der Hand geben kann.
Doch die Kritik an Charisma und Rhetorik, die ja immer nur von denen erhoben wird, die über beides nicht verfügen, ist wahrscheinlich der weniger wichtige Vorbehalt gegen Obama seitens der progressiven Intellektuellen. Vor seinem Aufstieg hatten diese fast ausnahmslos auf Hillary Clinton gesetzt, nicht zuletzt deswegen, weil sie während der Präsidentschaft ihres Mannes das letzte Mal eine handfeste Diskurshoheit behaupten und auch durchsetzen konnten. Die 90er Jahre waren die Dekade, in der in fast allen Diskussionen, erst innerhalb der Universitäten, bald aber auch in Radio und Fernsehen, ein milder Konstruktivismus um sich griff, demzufolge nichts “wesentlich” so ist, wie es auf uns gekommen, sondern alles dem Zusammenspiel der Faktoren Rasse, Klasse und Gender geschuldet ist. Es war die Dekade, in der in den Universitäten reihenweise Lehrstühle und Abteilungen für Frauenstudien, für postkoloniale Studien, für schwule, für transsexuelle Studien, für afro-amerikanische Studien eingerichtet wurden, die – so die implizite Übereinkunft – nur von denen besetzt und geleitet werden können, die den Studiengegenstand auch verkörpern. Ziel der Bewegung war der Ausgleich historischer Ungerechtigkeiten, die Wiedergutmachung von Übel zumindest im Elfenbeinturm.
Eisiges Schweigen
Das Dreieck Rasse, Klasse, Gender hat aber nie als gleichschenkliges funktioniert; so ist es zum Beispiel kein Zufall, dass der Harvard-Präsident Larry Summers nicht geschasst wurde, als er sich mit den schwarzen Professoren Cornell West und Henry Louis Gates anlegte, sondern erst, als er sich “essentialistisch” über den Geschlechtsunterschied ausließ. Die Kategorien der Rasse und der Klasse ließen sich ohnehin nur schwer auseinanderhalten, und die Nützlichkeit des Klassenbegriffs mit seiner marxistischen Implikation, Klassen seien progressive Subjekte der Geschichte, war nach den zwei Wahlsiegen Bushs fragwürdig geworden. So blieb die Frage des Gender, verkürzt auf die Frauenfrage, als letzter Topos der Wiedergutmachungsbewegung übrig, und in Hillary Clinton war er verkörpert. Sie sei an der Zeit, so war noch vor einigen Monaten zu vernehmen. Und dann kam dieser schwarze Mann und machte ihr ihren Platz streitig.
In den letzten Fernsehdiskussionen versuchte Clinton, ihren Attacken die Spitze zu nehmen, indem sie darauf hinwies, wie schön es doch sei, dass man jetzt schon wisse, entweder eine Frau oder eine Schwarzer werde Kandidat der Demokratischen Partei werden. Obamas eisiges Schweigen in dieser Hinsicht zeigte nicht nur, dass er das Verhältnis von Rasse und Gender für sehr viel weniger symmetrisch hält, sondern auch, dass er die Fragen der Wiedergutmachung grundsätzlich nicht in den Wahlkampf einbringen will.
Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Obama und sein Team aus den Niederlagen in Ohio und Texas die Konsequenz ziehen, den Clintonschen Angriffen müsse mit Gegenattacken begegnet werden, oder ob sie eine andere Strategie erarbeiten. Seine Rede am Abend der Niederlage in Texas hat das letztere angedeutet: Clintons Attacken erwähnte er nicht; er wolle nun eine große Konversation mit John McCain, den er bewundere, über die Zukunft Amerikas beginnen. Ob er sie einmal als Spitzenkandidat führen wird, steht noch dahin.
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