Vergeben und vergessen?
Von Martin Klingst | © ZEIT online 30.3.2008 – 16:25 Uhr
Clinton, Obama und McCain kämpfen nun nicht mehr nur um Wählerstimmen – ihre eigene Integrität steht auf dem Spiel. Vor allem der schwarze Senator muss um seine Zukunft bangen.
Alle drei amerikanischen Präsidentschaftskandidaten haben im Augenblick ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Demokratin Hillary Clinton hat sich als Märchenerzählerin entpuppt und mehrere Monate lang den Wählern lebhaft erzählt, wie sie, mutig, mutig, 1996 unter Heckenschützen-Feuer im Bosnienkrieg landen und in Deckung gehen musste. Videoaufnahmen und Augenzeugen berichten dagegen, dass damals allenfalls Freudenraketen gezündet wurden.
Der Republikaner John McCain genießt den zweifelhaften Beistand eines evangelikalen Pastors, der den Katholizismus als “große Hure” beschimpft und den Hurrikan Katrina zur gerechten Gottesstrafe für das sündige New Orleans erklärt.
Der Demokrat Barack Obama hat 20 Jahre lang einem schwarzen Hassprediger zugehört und dessen Freundschaft gesucht. Für Reverend Jeremiah Wright ist der Aids-Virus eine Erfindung der US-Regierung, um die Schwarzen auszurotten, und hat Amerika die Terroranschläge vom 11. September verdient.
Alle drei Kandidaten haben sich inzwischen entschuldigt oder distanziert. “Sorry”, sagt Hillary Clinton, sie habe sich da wohl ein wenig missverständlich ausgedrückt, aber irren sei menschlich. “Ich bin stolz auf Pastor Hagee,” sagte John McCain, “aber ich stimme nicht mit ihm überein.” Und Barack Obama sagt: “Wäre Reverend Wright inwzischen nicht pensioniert, würde ich seiner Kirche wohl nicht mehr angehören.”
Am deutlichsten hat sich Barack Obama erklärt, er hat sogar eine große und bedeutende Rede über Rassismus und Religion gehalten. Aber er besitzt auch das größte Glaubwürdigkeitsproblem. Clinton hat ein wenig geflunkert, McCain einen dubiosen Rechten in seiner Nähe geduldet, doch Obama hat zwei Jahrzehnte stillschweigend den Ungeheuerlichkeiten eines Pastors gelauscht. Mehr noch, Reverend Wright hat ihn sogar getraut und seine beiden Töchter getauft.
Vieles, was zur Rechtfertigung Obamas vorgetragen wird, stimmt. Die Kritik der Rechten ist bisweilen scheinheilig. Die afroamerikanischen Kirchen haben zudem eine besondere Tradition. Ihre Gottesdienste waren einst fernab der weißen Herren ein Freiraum für eigene Gedanken und berechtigten Zorn. Mit Liedern, Tanz und Wehklagen haben sie sich ihren Kummer vom Leib geschrien.
Ihre Messen sind bis heute auch Befreiung von Seelenpein und ein bisschen Psychotherapie. In der Ekstase wird manches hinausgebrüllt, was man außerhalb der Kirchenmauer so niemals sagen und wahrscheinlich noch nicht einmal im Innersten meinen würde. Außerdem: kein Kirchgänger möchte für jedes Wort, das sein Prediger vorm Altar oder von der Kanzel herab verkündet, in Haftung genommen werden. Dissens mit dem Pastor führt nicht zur Trennung von der Gemeinde, die meisten bleiben treu.
Barack Obama hat in seiner viel beachteten Rede darauf hingewiesen – und ebenso auf die besonderen Gratwanderungen eines Schwarzen und einer schwarzen Kirche. Und er sagt: Reverend Wright habe ihm zum Glauben geführt und als Mensch beigestanden, ebenso wie einst seine weiße Großmutter trotz rassistischer Vorurteile immer zu ihm gestanden habe. Er könne deshalb, sagte Barack Obama, weder seinen Pastor noch seine Großmutter verleugnen. Ein guter, aber in seiner Konsequenz ebenso fragwürdiger Satz.
Denn was hat die Großmutter mit dem Pastor gemein? Nichts. Sie hatte Vorurteile, wie viele damals. Und sie fürchtete sich, wenn ein schwarzer Mann ihr auf einsamer Straße begegnete. Diese Angst überkam sogar den schwarzen Bürgerrechtler Jesse Jackson, wie er einst eingestand. Aber anders als Pastor Wright predigte die Großmutter nicht Hass, sie schrie ihre Vorurteile nicht laut hinaus, sondern versuchte sie zu überwinden. Liebe, hieß ihre Botschaft, nicht Verachtung.
Die Frage lautet deshalb: Warum hat der Mann, der der nächste Präsident von Amerika werden will, 20 Jahre lang den Tiraden Wrights teilnahmslos zugehört und nicht dagegen aufbegehrt? Warum hat er die Kirche, als die Predigten unerträglich wurden, nicht verlassen und sich einer anderen Gemeinde angeschlossen? Vor allem: Warum hat er über all die Jahre eine so große Nähe zu Reverend Wright gesucht und geht erst jetzt, da er unter politischen Druck geraten ist, auf Abstand?
In den vergangenen Tagen sind neue Videomitschnitte aus früheren Predigten Wrights aufgetaucht. Die Entgleisungen waren keine Ausnahme, sondern ein Muster. Barack Obama, der Gräben überbrücken und zuschütten will, hat lange, zu lange einen Freund und Mentor gehabt, der diese Gräben gezielt aufreißt. Warum? Diese Antwort ist Obama bislang schuldig geblieben.
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