In Pennsylvania ist der Ärger über Barack Obama noch nicht verraucht
Amerikas Kern – stur, aufrecht und reizbar
Von Markus Ziener
Im Örtchen Clairton lieben die Menschen ihre Browning-Gewehre, sie gehen regelmäßig in die Kirche und halten als Nationalgardisten im Irak ihren Kopf hin. Doch „frustriert“ sind sie deshalb noch lange nicht.
Es ist etwas kühl an diesem frühen Aprilmorgen. Wayne Wilson trägt eine wattierte Jacke über dem karierten Flanellhemd, hat seine Schirmmütze ins Gesicht gezogen und hält in der Armbeuge eine Browning Lightning. Mit der Flinte hat er gerade zwei Runden Skeet, Tontauben, geschossen, 50 Schuss. „Wenn das Ziel in der Luft ist, dann hast du etwa eine Sekunde, um zu reagieren“, sagt er. „Du musst beides sein: konzentriert und schnell. Wenn deine Gedanken wandern, dann triffst du nicht.“
Wilson ist Range Officer im Clairton Sportsmen’s Club. 1 400 Mitglieder hat der Verein in dem Örtchen südlich von Pittsburgh, in den Wäldern von Allegheny County im US-Bundesstaat Pennsylvania. Hier findet am kommenden Dienstag die nächste Vorwahl der Demokraten statt – und hier wird sich zeigen, wie das Rennen zwischen Barack Obama und Hillary Clinton wirklich steht. Pennsylvania gilt aufgrund seiner Bevölkerungsstruktur als Hillaryland, doch zuletzt schrumpfte ihr Vorsprung in den Umfragen deutlich.
Die Stimmung vor Ort ist gedämpft. „Wir haben zuletzt viele Leute verloren“, sagt Sportschütze Wilson. Vor allem, weil das riesige Stahlwerk von US Steel immer weniger produziert und auch andere Betriebe in der Region schließen, etwa der Autohersteller General Motors.
Für „Blue-collar“-Arbeiter sind die Zeiten in Pennsylvania schon seit langem schwierig. Und ganz besonders in der Umgebung der einstigen Stahlhochburg Pittsburgh. An einem trüben Tag sieht Clairton so trostlos aus wie eine Geisterstadt. Nur die paar übrig gebliebenen rauchenden Schlote und der penetrante Geruch von Teer zeugen davon, dass noch Leben in der 8 000-Seelen-Gemeinde ist. Die Stunden im Schützenverein sind dann wie das Abtauchen in ein kleines intaktes Paradies.
„Dass uns Obama jetzt schlecht gemacht hat, das kann ich einfach nicht verstehen“, sagt rund 100 Yards unterhalb der Skeetbahn Will, ein Kollege Wilsons. „Er hat es hier richtig vermasselt.“ Will ist Geschäftsmann und auch noch Tage nach Obamas umstrittenen Äußerungen kann er sich richtig aufregen: „Ich will mir nicht sagen lassen, dass ich frustriert bin“, wettert Will. „Nur weil ich Spaß habe an Waffen oder weil ich in die Kirche gehe.“
Bei einem Gespräch mit Spendern in San Francisco hatte Obama versucht zu erklären, wie es jenen Leuten geht, die ihren Job verlieren: „Es überrascht doch nicht, dass sie bitter werden“, hatte der Senator aus Illinois gesagt. „Dass sie sich an Waffen oder an die Religion klammern, dass sie Leute nicht mögen, die nicht sind wie sie – das alles erklärt sich aus ihrer Frustration.“ Seither ist Obama in Pennsylvania in der Defensive. Der 46-Jährige muss sich verteidigen, er muss sich rechtfertigen, er muss richtig stellen.
So wie am Dienstag dieser Woche. Auf einer Veranstaltung mit Kriegsveteranen in Washington, Pennsylvania. Im Frage-und-Antwort-Teil der Veranstaltung steht sogleich eine Frau auf, greift nach dem Mikro und fragt nach den verqueren Worten. Obama dreht da aber schnell den Spieß um: Er beklagt, dass Clinton aus seinen Worten einen vergifteten Pfeil geschnitzt habe. Obama sei ein Mann der Elite und habe keinen Bezug zu den einfachen Menschen, uminterpretierte das Clinton-Camp Obamas Schnitzer. „Das ist eben, wie wir Politik machen“, sagt Obama. „Und deshalb wird es Zeit, dass wir das ändern.“ Die Veteranen und ihre Angehörigen applaudieren heftig.
Doch es bleibt ein Schatten. Denn tatsächlich ist Pennsylvania das Land der Waffenliebhaber, der Angler, der Kirchgänger – der Patrioten. Im Südwesten Pennsylvanias, an der Grenze zu Ohio, sind das die Tugenden, auf die man stolz ist. Kaum ein anderer Bundesstaat hat so viele Soldaten in den Irak geschickt.
Allein bei den Nationalgardisten sind es bisher über 8 000. Die Nationalgarde spielt eine ganz besondere Rolle. Wer dort mitmacht, der riskiert viel. Nationalgardisten haben einen Zivilberuf, ein Zivilleben. Sie werden nur dann zu den Waffen gerufen, wenn die reguläre Armee nicht mehr ausreicht. So wie im Irak und Afghanistan. Dann verlassen sie Job und Familie und sind für ein Jahr Soldat im Vollzeitberuf. Für die Angehörigen, die zurückbleiben, gibt es kein soziales Auffangnetz wie in der Armee. Sie müssen alleine zurechtkommen. Und da sind Kirche und die Freunde aus dem Schützenverein ganz wichtig. Gerade die aber hat Obama mit seinen Worten und dem, was daraus gemacht wurde, schwer verstimmt, wenn nicht verprellt.
Gary van Kirk ist Nationalgardist, der im November 2005 von seinem einjährigen Einsatz im Irak wieder in seine kleine Gemeinde nördlich von Pittsburgh zurückkehrte. Und diese Rückkehr war alles andere als freundlich. „Da waren keine Flaggen, keine Banner, kein Bürgermeister, der mir die Hand schüttelte“, sagt Gary. „Es war, als würde ich nicht existieren.“ Warum? „Weil die Demokraten den Krieg falsch finden“, glaubt der 42-Jährige. „Und das lassen sie dich spüren.“ Was Gary nicht versteht, ist der demokratische Spagat: „Wie soll das funktionieren? Sie sagen, dass sie die Truppen unterstützen, aber den Krieg hassen.“ Gary bekommt diese Gleichung nicht zusammen.
An diesem Abend sitzt er an der Theke des Vereinsheims der Veteranen in West View vor seiner Flasche Coors Light. Das Heim ist fast schon ein zweites Zuhause für den Nationalgardisten geworden. „Hier kann ich mit Leuten sprechen, die mich verstehen“, sagt van Kirk. Er meint die anderen Soldaten, die wissen, wie es ist, wenn man mit seinen Sorgen und Alpträumen nach einem Kriegseinsatz alleine bleibt. Dann erinnert er sich an seinen Onkel Tony, der ihm eine harte Zeit prophezeit hatte, wenn er von seinem Einsatz zurückkommt. „Als der aus Vietnam zurückkehrte, wurde er beschimpft“, sagt Gary über seinen Onkel. Jetzt habe sich in der Tendenz das Gleiche wiederholt. Daraus, so van Kirk, habe er seine Konsequenzen gezogen: „Ich war registrierter Demokrat, aber seit einiger Zeit bin ich bei den Republikanern.“
Der Krieg, der Umgang mit den Veteranen, Patriotismus: Für die Demokraten sind diese Themen vermint. Um jeden Preis wollen sie eine Dolchstoßlegende vermeiden, also lassen sie auf die Truppen nichts kommen. Da ihnen die politische Wende bei den Kongresswahlen 2006 vor allem aber durch ihre Opposition gegen den Krieg gelang, können und wollen sie von ihrer Maximalforderung genauso wenig lassen: Raus aus dem Irak, so schnell wie möglich.
Beim Auftritt vor den Veteranen wiederholte Obama seine Position. In 16, bestenfalls 18 Monaten nach Amtsübernahme soll der Abzug der Mehrheit der Truppen vollzogen sein. Als er das im Jefferson College im Örtchen Washington erneut sagt, bleibt der Applaus eher lau. Jetzt, wo es endlich einen Silberstreif im Irak gibt, haben viele der Obama-Anhänger dabei ein flaues Gefühl. Der Krieg mag falsch gewesen sein. Aber jetzt einfach raus? Doch zurück kann der Senator von seinem Standpunkt nicht mehr. Auch wenn er dafür Pennsylvania an die geschmeidige Clinton verliert. Denn wenn kein Wunder geschieht, dann wird das Rennen auch nach dem Dienstag weitergehen. Mit Indiana, North Carolina und anderen Vorwahlen – bis zum bitteren Ende am 3. Juni in Montana. Wenn nicht sogar bis zum Parteitag Ende August.
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