Jungfrau Maria in Elefantenscheiße
Opposition Researcher wollen Präsidentschaftskandidaten zum Rückzug bewegen. Sie forschen nach dem, was Politiker verschweigen. Stephen Marks meint, so der Gesellschaft zu dienen. VON VEIT MEDICK
Stephen Marks macht nicht den Eindruck, als könne er auch nur ansatzweise aggressiv werden. Wenn man sich den hochgewachsenen Mann von der Ostküste anschaut, denkt man eher an einen Verkäufer in der Bekleidungsbranche. Seine Stimme und sein gesamtes Auftreten haben keinerlei Ecken und Kanten, lange Sätze beendet er stets mit einem “Verstehen Sie?”, in einer Art, die dem Gegenüber das Gefühl verleiht, er habe ernsthaftes Interesse an einem möglichst intensiven Gedankenaustausch.
Und eigentlich wollte er ja auch raus aus diesem ganzen Politgeschäft. Zu oft hatte er mit angesehen, wie aufrechte Politiker in brutalen Wahlkampfschlachten zerlegt wurden, nur weil sie nicht die nötige Revolvermentalität mitbrachten. Weil er selbst jahrelang die Munition für Attacken geliefert hatte, kamen irgendwann Gewissensbisse. Marks schrieb ein Buch, in dem er seinen Ausstieg erklärte, und gründete eine kleine Beraterfirma. “Für ein ruhigeres, normaleres Leben eben”, sagt Marks.
Das war im letzten Jahr. Der Wahlkampf hatte noch nicht richtig begonnen, die USA diskutierten eher über den Superbowl, 2008 schien für Marks Lichtjahre entfernt. Doch dann schoben sich langsam die Präsidentschaftskandidaten auf die Mattscheibe, die Bloggerszene lief sich warm, und das zunächst unübersichtliche Feld der Bewerber klarte sich auf, bis nur noch drei übrig waren – McCain, Clinton und Obama.
Jetzt sitzt Marks in seinem Büro in Arlington, Virginia. Die Einrichtung ist nicht gerade aufwendig, nur der Fernseher, der im Dauerbetrieb läuft, ist so groß wie zwei Schranktüren. Ansonsten lässt sich an den Dutzenden Papierstapeln und Aktenordnern erkennen, dass der Mittvierziger ganz schön beschäftigt ist: Er wird auch dieses Jahr versuchen, einen der verbliebenen Präsidentschaftskandidaten zu zerstören. “Mich hat das Fieber wieder gepackt”, grinst er.
Stephen Marks arbeitet in einer der schillerndsten Branchen des US-amerikanischen Wahlkampfgeschäfts: Dem Opposition Research, einer millionenschweren Schattenindustrie, deren einzige Aufgabe es ist, einen Gegenkandidaten mit belastendem Material zu diskreditieren und ihn bestenfalls mit Skandalen komplett abzuschießen.
Schon jetzt fassen sich die Bewerber untereinander nicht gerade mit Samthandschuhen an, aber die täglichen Attacken sind für Marks noch Kinderspielchen. “Demnächst stelle ich die erste wirklich aggressive Fernsehwerbung dieses Wahlkampfs vor”, sagt er. Fertig ist sie schon. Marks, der sich selbst als “politischen Auftragsmörder” bezeichnet, drückt auf Play. Das einminütige Video zeigt ein Gemälde der Jungfrau Maria in Elefantenscheiße. Dann berichtet eine dunkle Stimme, Hillary Clinton habe die entsprechende Ausstellung im Jahr 2000 gegen den Willen des New Yorker Bürgermeisters mit Steuergeldern unterstützt. Das sitzt. Zumindest bei gläubigen Wählern.
Wie alle Opposition Researcher durchwühlt Marks das Leben von Politikern, immer auf der Suche nach Ungereimtheiten, die die Glaubwürdigkeit eines Kandidaten untergraben. Mit konspirativer Schnüffelei hat das allerdings wenig zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine klassische Recherche in der Biografie des Gegners.
Lascher Datenschutz
Besonders hilfreich sind da die laschen US-Datenschutzgesetze. “Wir stöbern überall nach potenziell schädlichem Material”, sagt Marks. In öffentlich zugänglichen Archiven, Steuererklärungen, Führungszeugnissen und nicht zuletzt im parlamentarischen Abstimmungsverhalten des Kandidaten. “Wahlkampf wird so gewissermaßen zum Gerichtsverfahren.”
Ob auf lokaler oder nationaler Ebene – Opposition Research ist aus Wahlkampfzeiten nicht mehr wegzudenken. Beide Parteien haben ihre eigenen Forscherteams, beauftragen aber zusätzlich Fahnder, Berater und Anwälte, um nach Negativmaterial zu suchen. Kein einziges Detail des Gegners ist irrelevant, und sei es noch so lange her. Denn womöglich ist ja früher mal ein Strafzettel nicht beglichen worden. Oder die Spender sind doch nicht alle so lupenrein, wie behauptet wird. Und was war noch mal die These der Doktorarbeit? Sind Privatreisen mit Steuergeldern bezahlt worden? Befinden sich auf der Amazon-Wunschliste auffällige Titel? Larry Zilliox, seit 15 Jahren im Geschäft, drückt es so aus: “Wir sind der Info-Staubsauger. Wir sammeln alles, was zu haben ist.”
Taucht tatsächlich etwas auf, wird gedealt. Die Recherche-Teams leiten die Info an handverlesene Journalisten weiter, meist unter der Bedingung, dass die Quelle anonym bleibt. Journalisten lehnen selten ab, denn eine exklusive Geschichte ist mitunter karrierefördernd. Auch die Kandidaten profitieren, denn eine Negativmeldung trifft den Gegner natürlich härter, wenn sie von einer vermeintlich unabhängigen Quelle stammt.
Opposition Researcher haben im Wahlkampfbetrieb der USA viel Macht. Davon zeugt schon das Jahresgehalt von Stephen Marks, das im oberen sechsstelligen Bereich liegt. Aber Macht und Geld allein reizen ihn nicht an der Arbeit. Er ist davon überzeugt, der Gesellschaft einen Dienst zu tun, indem er die Wählerschaft aufklärt: “Die Menschen haben das Recht zu wissen, auf wen sie sich einlassen”, sagt er. “Wenn Sie einen Gebrauchtwagen kaufen, wollen sie doch auch die Unfallgeschichte kennen.”
Ganz so moralisch einwandfrei ist die Arbeit freilich nicht. So wie im Jahr 2000, als Marks für die Kampagne von George W. Bush arbeitete. Er stieß auf Filmaufnahmen mit Äußerungen des schwarzen Predigers Al Sharpton, die aus dem Kontext gerissen als Aufruf verstanden werden konnten, Polizisten umzubringen. Das war brisant, denn Sharpton war ein prominenter Unterstützer von Bushs demokratischem Konkurrenten Al Gore. Marks schnitt aus den Aufnahmen einen TV-Spot, der zwar nicht allein dafür verantwortlich war, dass Gore die Wahl verlor. Förderlich war er dem Demokraten aber sicher nicht.
Einer, der sich mit Opposition Research bestens auskennt, ist Bob Mulholland. 1992 arbeitete Mulholland, heute Sprecher der kalifornischen Demokraten, als Opposition Researcher für die Senatskampagne von Barbara Boxer. Gegen ihren republikanischen Konkurrenten Bruce Herschensohn war sie so gut wie chancenlos – bis vier Tage vor der Wahl, als Mulholland herausfand, dass Herschensohn, der im Wahlkampf stets seine moralische Standhaftigkeit ins Zentrum gestellt hatte, regelmäßiger Kunde in einem Stripclub war. “Ich hab zwei Leute losgeschickt, um von dem Schuppen ein Foto zu machen”, erinnert er sich. “Am nächsten Tag habe ich Herschensohn das Foto auf einer Veranstaltung unter die Nase gehalten. Die Medien spielten verrückt.” Boxer gewann und sitzt noch immer im Senat.
Schmutz aus dem Internet
Neu ist Opposition Research nicht, durch den Fortschritt der Kommunikationstechnologien nur eben wesentlich professioneller als früher. E-Mail und Blogs haben die Methode schneller und effektiver gemacht, das Internet ist eine riesige Schatztruhe. “Vor zehn Jahren mussten wir unter Umständen noch ins Rathaus gehen, um an Dokumente zu kommen”, berichtet Mulholland. “Inzwischen bekomme ich alles online. Sogar Sachen aus der Highschool-Zeit findet man da.” Kollege Zilliox sieht das ähnlich: “Es gibt einfach unglaublich viele Infos da draußen. Und es ist für Politiker immer schwieriger, sie zu verstecken”, sagt Zilliox.
Diese schmerzliche Erfahrung müssen längst auch die drei verbliebenen Präsidentschaftskandidaten machen. Täglich kursieren auf der Videoplattform YouTube neue Filmchen, die die Glaubwürdigkeit angreifen. Wie McCain Wladimir Putin einmal als “Deutschlands Präsidenten” bezeichnete, etwa. Oder wie Clinton in einer TV-Debatte den Namen von Putins Nachfolger ins Mikro stotterte.
Das mögen keine wahlentscheidenden Skandale sein. Wie gefährlich YouTube aber werden kann, zeigt das Beispiel von Barack Obamas ehemaligem Pastor Jeremiah Wright. Hobbybastler strickten aus dessen aggressiven Predigtfetzen schockierende “Best-of”-Filmchen, die mehrere hunderttausendmal geklickt wurden. Nicht zuletzt deshalb musste Obama in Windeseile sein Verhältnis zu Wright erklären.
Aus dem Schneider ist Obama deshalb nach Ansicht von Opposition Researcher Stephen Marks aber noch lange nicht. “Wenn er offiziell der Kandidat der Demokraten ist, geht die Recherche erst richtig los.” Er selbst hat schon mal einen etwas genaueren Blick in Obamas Biografie geworfen. Angreifbar sei besonders eine Abstimmung in seiner Zeit im Senat von Illinois. 1999 sei Obama der einzige Abgeordnete gewesen, der gegen einen Gesetzesvorschlag stimmte, Sexualstraftätern niemals eine vorzeitige Freilassung zu ermöglichen. “Allein das zeigt schon, wie nachgiebig er ist, was Kriminalität angeht. Das wird ihn noch verfolgen.”
Geht es um Verbrechensbekämpfung, ist gerade die Forderung nach Milde ein gefundenes Fressen für Opposition Researcher. Dies zeigt das Beispiel des ehemaligen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Michael Dukakis. Dieser lag 1988 in Umfragen weit vor seinem Konkurrenten George Bush senior. Bis dessen Team ein wenig in Dukakis Initiativen in seinem Heimatstaat Massachussetts stöberte und herausfand, dass er als Gouverneur Schwerverbrechern Hafturlaub ermöglicht hatte.
Auch Willie Horton kam in den Genuss dieser Initiative. Nur vergewaltigte er auf Freigang eine Frau. Bushs Kampagne schnitt ein Video, das Dukakis vorwarf, für die Vergewaltigung verantwortlich zu sein. Dukakis war erledigt. “Das war eine der brutalsten Research-Attacken, die es jemals gab”, erinnert sich Marks. “Aber sie war effektiv.”
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