When Bush Goes, the Germans Lose Their Bogeyman

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Mit Bush verlieren die Deutschen ihr Feindbild

Das Klischee des dummen, fanatischen George W. Bush ist uns Deutschen lieb und teuer. Bush hilft, eigene Schwächen zu vergessen und sich überlegen zu fühlen. Mit dem neuen US-Präsidenten werden es die Deutschen nicht so leicht haben. Unser liebstes Feindbild wird uns noch fehlen. Jetzt kommt er zum Abschiedsbesuch.

Der Zufall will es, dass uns demnächst in kurzem Abstand gleich zwei Bush-Besuche ins Haus stehen: Vater und Sohn kommen nach Berlin. Am Dienstag und Mittwoch stattet George W. Bush Deutschland seine letzte Visite als US-Präsident ab.

Doch in der deutschen Hauptstadt darf er sich nicht mehr zeigen – seine Dernière findet auf Schloss Meseberg statt, 70 Kilometer nördlich von Berlin. Im idyllisch abgelegenen Gästehaus der Bundesregierung wird er noch einmal mit der von ihm so verehrten Bundeskanzlerin die wichtigsten Fragen der Weltpolitik durchgehen – vom bevorstehenden G-8-Gipfel in Japan über die Friedensbemühungen im Nahost-Konflikt bis zu den nächsten Schritten gegen das iranische Atomprogramm.

Doch über den Gesprächen wird wie ein Schatten die Erkenntnis liegen, dass Bush eigentlich schon Vergangenheit ist – sofern er nicht wider Erwarten noch einmal spektakulär in das Rad der Weltgeschichte eingreift und etwa doch noch die iranischen Nuklearanlagen bombardieren lässt.

Nicht einmal eine Demonstration gegen George Bush scheint geplant

Nicht einmal größere Demonstrationen gegen den Mann, den die Deutschen so lange mit Inbrunst gehasst und verachtet haben, scheinen geplant. Dass er zu seinem letzten Auftritt nicht im Machtzentrum der Deutschen auftaucht, passt in dieses Bild – auch wenn von offizieller deutscher Seite jeder Hintersinn seiner Verfrachtung in die brandenburgische Provinz bestritten wird.

Seinem Vater ergeht es besser. In einem knappen Monat wird George Bush der Ältere zur Einweihung der neuen US-Botschaft am Potsdamer Platz erwartet, im Herzen der deutschen Hauptstadt. Papa Bushs Präsidentschaft steht für eine im Rückblick gerne verklärte Zeit, in der die US-Regierung noch multilaterale „Realpolitik“ getrieben habe und die transatlantischen Beziehungen voller Harmonie gewesen seien.

Mit ihm verbindet sich die Erinnerung an die kurze Friedenseuphorie im Zeichen des Mauerfalls. Sein Erscheinen in Berlin wirkt so wie ein Sinnbild für den unterschwelligen Wunsch der Deutschen, Bush juniors Verschwinden möge auch die gesamte Ära seiner Regentschaft ungeschehen machen.

Doch George W. Bush mag die neuen weltpolitischen Konflikte und Bedrohungen, mit denen er uns bald allein lassen wird, falsch angepackt haben – erfunden hat er sie nicht. Alle Schuld für diese unerfreulichen Veränderungen auf ihm abzuladen war freilich bequem. Denn es half, sich ihnen nicht unverblümt stellen zu müssen. Bushs katastrophales Image gab der Bundesregierung das ideale Alibi, sich in Afghanistan um eine Aufstockung der Truppen und eine Ausweitung des Engagements der Bundeswehr auf den Süden herumzudrücken. Weil Bush den Begriff „Krieg gegen den Terror“ in die Welt gesetzt hat, wird bis heute vermieden, der Bevölkerung zu erklären, dass wir uns in Afghanistan in einem Krieg befinden – und zwar nicht wegen des vermeintlich kriegslüsternen Bush, sondern weil der islamistische Terrorismus dem gesamten Westen am 11. September den Krieg erklärt hat.

Viele wollen Bushs Warnungen vor der iranischen Atomaufrüstung nicht glauben

Je öfter die Bush-Administration ein stärkeres militärisches Engagement der Deutschen anmahnte, mit desto besserem Gewissen konnte die Bundesregierung sich dieser Notwendigkeit verweigern. Weil Bush die Gefahr irakischer Massenvernichtungswaffen überschätzt hat, wollen ihm viele auch seine Warnungen vor der iranischen Atomaufrüstung nicht glauben. Dabei hatten alle westlichen Regierungen die Fehleinschätzung des Waffenpotenzials Saddam Husseins geteilt, der Streit ging nur darum, wie man ihm am besten begegnet. Auch in der Gefahreneinschätzung des iranischen Nuklearpotenzials gibt es zwischen der Bush-Administration und den europäischen Regierungen keinen Unterschied. Dass sich in seiner weltpolitischen Bilanz bei allen unzweifelhaften schweren Fehlern und Fehleinschätzungen auch beachtliche Erfolge finden, wird konsequent aus der Wahrnehmung ausgeblendet. Die Fortschritte, die er bei den Abrüstungsverhandlungen mit Nordkorea erzielte, der Deal mit Libyen, das freiwillig auf Massenvernichtungswaffen verzichtete, die geradezu revolutionären neuen Freundschaftsbande der USA mit Indien, die von ihm betriebene enorme Ausweitung amerikanischer Hilfe für Afrika – all das zählt nicht. Dass sich sogar im Irak die Lage nach verzweifelten Jahren inzwischen stabilisiert hat, erreicht das Bewusstsein der Deutschen nicht mehr. Bush könnte morgen über das Wasser laufen, und alle würden sagen: „Wir wussten es, er kann nicht einmal schwimmen.“

Die Deutschen verabscheuten Bush schon vor dem Irakkrieg

Angeblich ist der Grund für dieses Beelzebub-Image Bushs der Irakkrieg. Doch die Deutschen verabscheuten ihn schon lange, bevor daran auch nur zu denken war. Seinen Wahlsieg 2000 gegen den heutigen Klimahelden Al Gore hielt man für unrechtmäßig, ihn selbst von Anfang an für einen geistig unterentwickelten, christlich-fundamentalistischen Eiferer. Letzteres Vorurteil hat sich bei uns am hartnäckigsten gehalten – obwohl Bush, wie eine Studie belegt, religiöse Begriffe in politischen Reden viel seltener verwendet als frühere US-Präsidenten. Nicht eine einzige politische Entscheidung, schon gar nicht über Krieg und Frieden, hat Bush mit religiösen Motiven begründet. Dennoch scheuen sich ernsthafte Leute wie der evangelische Bischof Huber nicht, ihn als Paradebeispiel für den politischen Missbrauch von Religion hinzustellen

Das Klischee vom dummen, fanatischen Bush ist den Deutschen lieb und teuer geworden, weil es ex negativo eine trügerische Identität stiftete. Jeder mittelmäßige Kabarettist kann sich johlenden Beifalls sicher sein, wenn er darüber eine Zote reißt, und fühlt sich für einen Moment als Teil der weit überlegenen Kultur eines durch und durch aufgeklärten „alten Europas“. Vergessen sind dann für den Augenblick der Pisa-Schock, der Zustand der eigenen Eliten und die mangelnde Fähigkeit großer Teile der deutschen Gesellschaft, Zwänge und Chancen der Globalisierung zu begreifen. Das Bush-Bashing wirkte wie eine Droge, die es erleichterte, sich in eigenem Realitätsverlust und Provinzialismus einzurichten. Mit dem neuen US-Präsidenten, wer es auch sein mag, werden es die Deutschen damit so leicht nicht haben. Sie werden ihr liebstes Feindbild deshalb noch arg vermissen.

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