Hilfloser Multilateralismus
Von Joschka Fischer | © ZEIT online 14.7.2008 – 12:53 Uhr
Die globalen Probleme erfordern eine neue internationale Zusammenarbeit. Doch die kommt nicht zustande, weil eine Führung fehlt und die westlichen Industriestaaten nicht bereit sind, Macht an die neuen Mächte wie China abzugeben
Die Vereinten Nationen umfassen heute 192 Mitgliedstaaten. Und auch Staaten geht es nicht viel anders als uns Menschen aus Fleisch und Blut: Man kann zu 192 zwar gemeinsam singen, aber kaum handeln, solange nicht eine Gruppe die Führung übernimmt und gemeinsame Institutionen und Regelwerke vorhanden sind.
Die amerikanischen Neocons hielten diese Einsicht für schlichten Quatsch von gestern und vertrauten lieber auf die alleinige Stärke Amerikas. Man nannte das Unilateralismus, und dieser erwies sich nicht gerade als Erfolgsmodell, sondern als außerordentlich wirksame Methode der Selbstschwächung.
Die Lektion daraus lautet, dass selbst die mit weitem Abstand größte Macht der Geschichte, die USA, auf sich allein gestellt zu schwach ist und über keine ausreichende internationale Legitimation verfügt, um die Krisen und Konflikte dieser 192 Staaten auch nur managen zu können, geschweige denn zu lösen. Diese Erfahrung bewog George W. Bush wieder zu einer Politik der internationalen Zusammenarbeit, die man auch als Multilateralismus bezeichnet.
Gibt es im Zeitalter der Globalisierung überhaupt noch ernstzunehmende Alternativen zum Multilateralismus? Nein. Kann ein solcher Multilateralismus funktionieren, ohne eine von allen akzeptierte Führung, ohne Regeln und handlungsfähige Institutionen? Ebenfalls nein. Genau darin aber besteht das gegenwärtige Dilemma einer nur in Bruchstücken vorhandenen Ordnung der Welt. Die Einsicht in die Alternativlosigkeit des Multilateralismus ist gewachsen, die Fähigkeit multilateral zu handeln hat jedoch entschieden abgenommen.
Das jüngste Treffen der G-8-Staaten in Japan – also der sieben wichtigsten und reichsten westlichen Industriestaaten plus Russland – hat diese Krise des multilateralen Systems gnadenlos offengelegt. Umgeben von einem monströsen medialen Gipfelzirkus haben sich die G 8 entschieden, nichts zu entscheiden!
Die Tage, in denen der Westen die Geschicke der Welt exklusiv unter sich ausmachen konnte, sie sind wohl endgültig vorüber. Das scheinen sogar die Staats- und Regierungschefs der G 8 bemerkt zu haben.
Die G 8 haben dabei dasselbe Problem wie der UN-Sicherheitsrat. Sie spiegeln nicht mehr die ökonomischen und machtpolitischen Realitäten der heutigen Welt wieder, sondern die Machtverteilung vergangener Zeiten. Italien und Kanada gehören zu diesem Club, während China, Indien, Brasilien und Mexiko draußen vor der Tür stehen. Was will, ja was kann man da noch entscheiden? Es ist also kein Wunder, dass man diese Treffen vor allem noch im alten Europa Ernst nimmt, wo man wenigstens für das heimische Publikum noch Weltmacht spielen kann. Das war es dann aber auch schon.
Die G 8 sind bedeutungslos geworden, weil sie kaum noch zur Steuerung der Weltwirtschaft und Weltpolitik beitragen können. Dazu fehlen der Staatengruppe mittlerweile schlicht die Fähigkeiten und der politische Wille. Die letzten Gipfel in Deutschland und Japan haben lediglich Versprechungen im billigen Dutzend abgesondert. Wenn es allerdings Ernst wurde, etwa beim Klimaschutz und bei der Entwicklungshilfe, dann zeigte sich, welch geringen Wert die Versprechungen der G 8 noch haben. An die harten weltwirtschaftlichen Themen traue sich die Runde schon seit Längerem nicht mehr heran.
Die Lage ist eigentlich schizophren: Einerseits gibt es eine Vielzahl globaler Probleme, die einer entschlossenen Führung durch die wichtigsten Staaten der Welt bedürften: hohe Energie- und Lebensmittelpreise, Unterentwicklung, Erderwärmung, die Gefahr einer globalen Rezession, die Integration der aufsteigenden Mächte, die nukleare Proliferation und das absehbare Scheitern der laufenden Verhandlungen zur Liberalisierung des Welthandels, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Andererseits würde auch eine Ausweitung der G 8 um die wichtigsten Schwellenländer diese Versammlung keineswegs entscheidungsfreudiger machen, denn es mangelt schlicht an einer gemeinsamen Interessengrundlage. Eine Erweiterung wäre nur sinnvoll, wenn die reichen Staaten des Nordens den aufsteigenden Mächten des Südens und Ostens einen wirklichen Interessensausgleich anbieten würden. Jenseits von Versprechungen ist von solch einem Ausgleich aber nichts zu sehen.
Beispiel Klimaschutz: Wenn es dort einmal Ernst wird, verteidigen die alten G-8-Staaten – auch Deutschland – zäh den Status quo und damit ihre Vorrangstellung. Sie sind nicht bereit, drastische Reduktionen zum Schutz des Weltklimas vorzunehmen und damit den neuen wirtschaftlichen Giganten Platz zum Wachsen einzuräumen. Ohne einen Verzicht der alten G-8-Staaten können aber auch die neuen Wirtschaftsmächte nicht in die klimapolitische Pflicht genommen werden. Das Ende vom Lied ist absehbar: Die Schadstoffemissionen werden weiter zunehmen, die Erdatmosphäre wird sich weiter aufheizen.
Statt einer G 8 wäre eine Gruppe der 14 oder 16 sehr viel sinnvoller. Ohne einen neuen globalen Status quo könnte sie jedoch nicht funktionieren. Und leider – das ist die deprimierende Lektion der beiden letzten G-8-Gipfel in Deutschland und Japan – sind die Regierungen der westlichen Industriestaaten zu einem solchen neuen globalen Interessenausgleich nicht bereit.
Die G 8 sind bedeutungslos geworden. Wenn den westlichen Regierungen die Kraft zum gemeinsamen Handeln und zu einem neuen Status quo fehlt, wäre es ehrlicher, diesen entleerten Gipfelzirkus einzustellen, statt sich weiter der Lächerlichkeit preiszugeben. Aber auch dies wird nicht geschehen, weil selbst zum Schließen der Tür noch die Kraft und Entschlossenheit fehlen. Wegen dieser Unfähigkeit zu handeln steht die Welt aber nicht still. Was sich die Regierungen aus freiem Entschluss nicht trauen, wird sich dann eben durch den Fortgang der Geschichte ergeben. Die Kosten werden sich dabei aber vervielfachen.
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