Pressestimmen: Obama “überaus dürftig und enttäuschend flach”
Bei aller Begeisterung für den Demokraten in den vergangenen Tagen – die Bilanz seiner Rede ist eher ernüchternd. Die deutschen Kommentatoren sind sich weitgehend einig: Sollte Obama tatsächlich US-Präsident werden, dürften die ersten Enttäuschungen nicht lange auf sich warten lassen.
Ja, das kann er: die Massen anziehen und begeistern, auch in Berlin. Doch dabei ist eins sicher: All die großen Hoffnungen, die sich an ihn richten, wird Obama nicht erfüllen. Nein, das kann er nicht. Blickt man nämlich genau auf die Inhalte der Rede des US-Senators, dann fällt auf, wie überaus dürftig und enttäuschend flach sie ausgefallen sind. Er klingt zwar pazifistisch und mitreißend, wenn er die Vision von einer atomwaffenfreien Welt ausruft. Doch Obama hat zugleich nicht versäumt, die Notwendigkeit eines dichten Netzes von US-Militärbasen rund um den Globus zu betonen. Obama ist entschlossen, im Falle seines Wahlsieges die traditionelle Rolle der USA als Weltpolizist fortzusetzen. Und beim Klimaschutz legte er sich nicht auf konkrete Ziele fest. Die Parallelen zu George W. Bush sind leider frappierend.
“Weser-Kurier” (Bremen):
Der Rest der Bilanz des vorgezogenen Staatsbesuchts fällt nüchtern aus: Staaten haben in der Außenpolitik meist klar definierte Interessen. Das gilt auch für die USA. Diese Interessen ändern sich meist nur wenig, egal ob ein Clinton, Bush oder Obama im Weißen Haus residiert. Insofern wird Obama, sollte er die Wahl gewinnen, ein wenig im Stil der transatlantischen Zusammenarbeit ändern können; er wird vielleicht ein wenig mehr mit diesem Land und wenig weniger mit jenem unternehmen: Die Spielräume sind jedoch eng. Fest steht indes die rhethorische Gabe des Politikers. Wer nach der Rede davonging, dürfte ganz beseelt gewesen sein, gemeinsam mit Amerika in aller Welt nur noch Gutes zu tun. Eine schöne neue Welt. Am besten wäre eigentlich, wenn Obama ewig Kandidat bliebe. Wird er Präsident, ist Schluss mit Pathos, es droht die Wirklichkeit.
“Rheinische Post” (Düsseldorf):
Nun ist er wieder weg. Der “Superstar”, “Supermann” oder geschmacklos “Erlöser”, wie ihn manche Medien in vorauseilender Begeisterung getauft haben. Ist man Spaßverderber oder Realist, wenn man auf gut Berlinerisch fragen möchte: Habense et nich ne Nummer kleener? Barack Obama ist nur ein charismatischer Bewerber um die US-Präsidentschaft. Sein Anderssein in Aussehen, Auftritt und Anspruch fasziniert gerade uns der Romantik zugängliche Deutsche, beklagen wir doch die Mittelmäßigkeit des hiesigen politischen Personals. Der geschmeidige Gast dient als Projektionsfläche für überzogene Erwartungen an die Führungsmacht USA und unerfüllte Hoffnungen. Allerdings ist der links gestartete Demokrat längst auf seinem Wahlkampf-Weg in die politische Mitte Amerikas, die diplomatisches Bulldozertum und militärische Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen ansieht. Obama ist ein unerfahrener Politiker, noch kein Staatenlenker. Ob er einer werden könnte? Seine wohlklingenden Berliner Worte ließen diese Frage unbeantwortet. Manche US-Beobachter halten Obama für ein politisches Soufflé. Falls dem so ist, wäre es besser, die amerikanischen Wähler pieksten rechtzeitig hinein. Auch, um uns Enttäuschungen zu ersparen.
“Neue Ruhr Zeitung” (Essen):
Doch als Präsident muss Obama nicht nur schön reden, er muss handeln. Und beim Antiterrorkampf will er die Europäer und vor allem auch die Deutschen in die Pflicht nehmen. Berlin war Wahlkampfbühne, aber auch ein Signal. Gemeinsam will er die Probleme angehen, was bedeutet, dass es dem vielleicht neuen US-Präsidenten nicht reicht, aus einer Koalition der Willigen eine Union der Zahlungswilligen zu machen. Er will mehr – auch militärisch in Afghanistan, Irak und anderswo. Doch auf den sich abzeichnenden Klimawandel in den USA hat die Bundesregierung noch keine Antwort. Nur eins ist wohl sicher: Einen so freundlichen Empfang wird Obama als Präsident dann vermutlich nicht mehr bekommen.
“Braunschweiger Zeitung”:
Barack Obamas Ansprache vor der Berliner Siegessäule blieb unkonkret. Der Mann, der im November neuer US-Präsident werden will, hielt sich an Floskeln fest, indem er immer wieder die an die gemeinsame Geschichte und Verantwortung von Europa und den USA erinnerte. Aber auch wenn die richtige Botschaft fehlte hat sein Auftritt gezeigt, wie hoch die Erwartungen der Menschen an Obama sind. Sie wünschen sich eine Supermacht, die sich wieder menschlich zeigt. Sie soll nicht nur fordern, sondern auch die Bedenken anderer verstehen. Und hierfür steht der Politiker Barack Obama wie kein Zweiter.
“Schwäbische Zeitung” (Leutkirch):
Die Begeisterung für den designierten demokratischen Bewerber ums Präsidentenamt rührte bislang von seiner Frische und seiner Dynamik her. Die Inhalte, für die Obama steht, interessierten weniger. Es reichte, dass er nach acht schwierigen Jahren mit dem sperrigen George W. Bush den schwammigen Begriff des Wandels belegt hatte. Aber auch Obama wird im Erfolgsfall als US-Präsident nicht den Rest der Welt mit Geschenken umgarnen. Er verlangt mehr als nur eine Solidarität der Worte, er pocht darauf, dass Europa seiner Verantwortung als Großmacht nachkommt. Das dürfte den Zuspruch für ihn schnell schmälern.
“Westdeutsche Zeitung” (Düsseldorf):
Yes, he can – ja, er kann es. Was für ein Auftritt, was für eine Begeisterung für einen bislang nur inoffiziellen Kandidaten, wohlgemerkt, nicht für den US-Präsidenten. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg für den Senator Barack Obama. Würden die Wahlen in Deutschland stattfinden, bekäme der Mann wohl eine Demokratie gefährdende 90-Prozent-Zustimmung. Aber es ist Amerika, das die Wahl hat. Und die ist noch offen. Sollte Obama aber tatsächlich gewinnen, dann wird er der Präsident Amerikas sein. Der vertritt bekanntlich zuerst und allein amerikanische Interessen, nicht europäische oder gar deutsche. (…)
Dass Deutschland dem Amerikaner trotzdem zujubelt, liegt an der Sehnsucht nach Emotionen. Obama ist ein Volkstribun, ein Prediger, für manche sogar eine Art politischer Messias. Wer nach einem deutschen Obama sucht, der stößt nur auf Leute wie Ronald Pofalla, Dirk Niebel, Claudia Roth oder Hubertus Heil. Letzterer machte sich neulich bei einer SPD-Veranstaltung lächerlich, als er mit dem Obama-Slogan “Yes, we can” Stimmung machen wollte. Das ernüchternde Ergebnis war: No, he cant.
Allerdings: Mit Emotionalität und Charisma allein kann man nicht das Weltklima retten, die Wirtschaftskrise überwinden und den Nahen Osten in eine friedlichere Zukunft führen. Politik ist keine Ersatzreligion. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie Probleme erkennt und effektiv löst. Ob Obama das wirklich kann, werden wir, wenn überhaupt, erst im kommenden Jahr erfahren.
Leave a Reply
You must be logged in to post a comment.