Amerika zwischen den Fronten
Von Silke Tittel | © ZEIT ONLINE 12.8.2008 – 08:09 Uhr
Georgien fordert Beistand, Russland bezichtigt die Regierung Bush der Unterstützung Saakaschwilis: Das Weiße Haus riskiert ein außenpolitisches Debakel. Die Präsidentschaftskandidaten Obama und McCain versuchen derweil, sich im Konflikt zu profilieren
Der Krieg in Georgien hatte zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt begonnen: US-Präsident Bush feuerte gerade die amerikanischen Athleten in Peking an, Außenministerin Condoleezza Rice weilte noch im Sommer-Urlaub – da konnte der georgische Botschafter Vasil Sikharulidze die Amerikaner in einem Interview noch so inständig um Hilfe bitten, “eine große humanitäre Katastrophe und die Übernahme eines souveränen Staates” zu verhindern.
In den ersten Tagen nach der Eskalation des Konflikts herrschte also Ratlosigkeit.
Zwar nannte Präsident Bush die russische Antwort auf Georgiens Vorstöße “überproportional” und “inakzeptabel”, doch offenbar wirkten seine Worte weder auf seine eigenen Landsleute, noch auf die russische Regierung überzeugend. Selbst der Nachrichtensender MSNBC konnte sich den Hinweis nicht verkneifen, wie “unbehaglich” Bush sich augenscheinlich bei der Verurteilung des Kaukasus-Krieges während eines Olympia-Interviews gefühlt habe.
Scharfe Worte fielen erst am Montag nach der Rückkehr des US-Präsidenten aus Peking: “Russland hat einen souveränen Nachbarstaat angegriffen und bedroht eine demokratisch gewählte Regierung. Das ist im 21. Jahrhundert untragbar.” Auch diese Erklärung enthielt aber keine Androhung möglicher Konsequenzen.
Vizepräsident Dick Cheney machte seinem Ruf als “Falke” derweil alle Ehre. In einem Telefonat mit dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili betonte er die “Solidarität” der USA. “Die russische Aggression darf nicht ohne Folgen bleiben”, sagte Cheney. Deren Weiterführung werde “ernsthafte Konsequenzen in der Beziehung zu den USA und zur internationalen Gemeinschaft” haben.
Die amerikanische Medien wurden sofort hellhörig und auf Nachfrage schwächte ein Sprecher des Weißen Hauses Cheneys Bemerkungen ab. Der Vizepräsident habe gemeint, dass der russische Vorstoß nicht einfach so stehen bleiben dürfe. Dennoch reagierte die Presse teils bitterböse: Ein weiterer Krieg in dieser Welt wirke auf Cheney offenbar wie “Viagra”, kommentierte zum Beispiel die Tageszeitung Baltimore Chronicle.
In den Augen des russischen Premierministers Wladimir Putin hat die USA allerdings längst eingegriffen: Das amerikanische Militär flog in den vergangenen Tagen 2000 georgische Soldaten aus dem Irak an die Grenze Südossetiens. Zudem sind Russland die derzeit rund 130 amerikanischen militärischen Ausbilder in Georgien ein Dorn im Auge. Georgien stellt nach den USA und Großbritannien das drittgrößte Truppenkontingent im Irak. Dem US-Verteidigungsministerium zufolge war Hilfe beim Rücktransport in Notfällen wie diesem bereits in einer früheren Übereinkunft festgeschrieben.
Das Weiße Haus hadert mit seinem heiklen Balanceakt zwischen der Unterstützung eines strategischen Partners und der Wahrung US-amerikanischer Interessen: Auf der einen Seite steht die politische Unmöglichkeit eines weiteren amerikanischen Krieges, auf der anderen Seite geht es nicht zuletzt um die 2006 eröffnete Öl-Pipeline vom kaspischen Meer über Georgien in die Türkei.
Robert Legvold, Politik-Professor an der Columbia Universität, befürchtet jetzt schon ein “außenpolitisches Debakel”: Georgien ist über mangelnden Beistand enttäuscht, und Russland beschuldigt die USA, einen “hitzköpfigen” georgischen Präsidenten zu unterstützen.
Die Präsidenschaftskandidaten beider Parteien nutzen die Gelegenheit zu Trockenübungen. Insbesondere John McCain spielt der “georgische Test” (MSNBC) in die Hände. Mit einem langen Diskurs versuchte er sich am Montag erneut als außenpolitisch erfahren zu positionieren. McCain ist der Meinung, dass die aufgeschobene Aufnahme Georgiens in die NATO Russland “grünes Licht” signalisiert habe. Seine Forderungen nach “bedingungslosem Rückzug”, NATO-Friedenstruppen und dem Ausschluss Russlands aus der Gruppe der G-8 finden allerdings nicht nur Freunde in USA.
Was Louisianas Gouverneur Bobby Jindal als “Zeichen von McCains Überzeugung lobt, Demokratie in diese Teile der Welt zu bringen und damit amerikanischen Interessen zu dienen”, bringt MSNBC zu der erstaunten Frage, ob es denn sein könne, dass sich McCain plötzlich “als kriegstreiberischer als die Regierung” erweise. Auch der Ruf des langjährigen Russland-Kritikers McCain nach sofortiger wirtschaftlicher und humanitärer Unterstützung Georgiens zeugt von mehr Willen zu Engagement als das Weiße Haus.
Ins Scheinwerferlicht ist plötzlich auch wieder die Lobby-Arbeit von Randy Scheunemann, dem außenpolitischen Berater McCains, gerückt. Scheunemann hatte noch bis März dieses Jahres für die georgische Regierung in den USA kommuniziert. Entsprechende Sticheleien aus dem Obama-Umfeld wurden schnell als “beschämend” und “verblüffend Kreml-ähnlich” hingestellt – was Obama-Anhängern wiederum als subtiler Hinweis auf angebliche kommunistische Tendenzen Obamas sauer aufstieß.
Der demokratische Kandidat hatte zunächst mit einem kurzem Appell an “Zurückhaltung” beider Kriegsparteien reagiert, legte dann aber aus seinem Hawaii-Urlaub mit einem ausführlichem Ruf nach “sofortigem Waffenstillstand” nach, die vom informellen McCain-Berater Ariel Cohen von der Heritage Foundation als “Plattitüden” abgetan wurden. Obama habe sich wie ein “geblendetes Reh” verhalten, hieß es.
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