Ein Palästinenser, ein Saudi: Wie meine arabischen Freunde die amerikanische Finanzkrise sehen
Als ich diese Woche zwei arabischen Freunden am Telefon zum Eid al-Fitr, dem Fest zum Ende des Ramadans, gratulierte, kamen wir nach den obligatorischen Freundlichkeiten gleich auf Amerika zu sprechen. Die Krise der Supermacht, der Finanz-GAU, die Implosion eines Vorbilds. Meine beiden Freunde haben die Spannweite der arabischen Meinungen wiedergegeben, und gerade deshalb lohnt sich hier die kurze Wiedergabe.
Der Erste ist ein Palästinenser, der aus verschiedenen Gründen, die wie er sagt alle in israelischer Politik liegen, nicht in seine Heimat Gaza zurückkehren kann. Er lebt seit Jahren auf der Flucht und verzweifelt an der Gleichgültigkeit der Welt gegenüber seinem Schicksal und dem seines Volks.
Das gefährliche Wanken der Wall Street beunruhigt ihn nicht. Sein ständig geplünderter Geldbeutel machte ihn nicht zum natürlichen Kunden von Lehman Brothers oder Merrill Lynch, auch interessierte er sich nicht für Derivate, Zertifikate und was die Bankenwelt ihren Klienten noch so feilbietet. Mein Freund freut sich. Er lacht, er witzelt, er höhnt. Nach all den Jahren der Hybris, der Erniedrigungen durch das Bush-Regime, sagt er, kommt nun die gerechte Rache. Haben die Amerikaner nicht seit 2000 keinen Cent mehr auf die Palästinenser gegeben, haben sie sie nicht weiter gespalten, im Irak bombardiert, durch ihre “israelischen Komplizen” beschossen, gequält, eingekesselt, ausgehungert? So spricht er, mein Freund.
Und nun käme das göttliche Urteil, die Finanzkrise treffe Amerika ins Mark. Es sei sinnlos gewesen, sagt er, wehrlose Menschen 2001 in den Türmen des World Trade Centers umzubringen. Al-Qaida sei nicht die Rache Gottes. Nein, diese Rache sei subtiler und vernichtender zugleich. Die Täter richteten sich selbst. Und er freut sich.
Natürlich hat mein Freund seine sehr persönliche Perspektive auf die Dinge, und weil ich diese nun schon seit Jahren in vielen Gesprächen gehört und begleitet habe, fällt es mir nicht ein, wegen Details mit ihm herumzustreiten. Ich habe ihm nur erzählt, war mir mein anderer arabischer Bekannter sagte.
Mein saudischer Freund lebt, wenn man so will, auch ständig in Bewegung. Er hat in Großbritannien studiert, er wird auf Konferenzen nach Ägypten, Deutschland, Amerika eingeladen. Aber er flieht nicht, sondern kommt freiwillig. Er schätzt die individuellen Freiheiten im Westen. Mein Freund ist nicht reich, aber ein Sparkonto hat er schon, wie es sich für einen saudischen Bürger gehört. Mit Lehman Brothers hat er auch nie verkehrt, aber weiß man dieser Tage als Kleinsparer noch, welche Kreditverpflichtungen die Hausbank wo und mit wem noch so alles hat?
Er sagt, er sei sehr beunruhigt über den Zusammenbruch der großen amerikanischen Finanzinstitute. Womit wollen uns die Amerikaner noch überraschen?, fragt er. In nur acht Jahren hätten sie alles zerstört, worauf ihr Ansehen in der Welt ruhte. Der Irakkrieg zerstörte den Mythos ihrer Unbesiegbarkeit. Die Foltergefängnisse im Irak und in Guantánamo ruinierten die Legende von der moralischen Überlegenheit. Und nun zerschmettert die Kredit- und Finanzkrise die Grundlagen ihrer wirtschaftlichen Vorrangstellung.
Mein Freund aus Riad sieht hier nicht göttliche Vorhersehung, sondern eine unglaubliche Überheblichkeit, gepaart mit selbstmörderischer Nachlässigkeit im Spiel. Bei allen drei Krisen, Irak, Guantánamo und Wall Street, sei die US-Regierung offenbar davon ausgegangen, dass man ins Kasino der Weltgeschichte gehen kann, ohne je Verlust zu machen.
Was ihn treffe, sagt er, sei, dass ihm in der arabischen Welt sein Vorbild Amerika abhanden komme. Dass er kaum noch gegen die USA-Hasser argumentieren könne. Dass er, wie so viele Freunde des Westens im Osten, die Orientierung verliere. Denn die Alternativen seien dünn. Es sei ja nicht so, dass China oder Russland angenehmere Verheißungen böten. Auch hätte die arabische Welt kein alternatives Modell anzubieten, weder der arabische Nationalismus noch der Islamismus seien Ideologien, auf denen sich eine freiere, gerechtere und prosperierendere Gesellschaft aufbauen ließe. Was bleibt, sei Verwirrung.
Als ich das alles meinem palästinensischen Freund wiedergebe, lacht er wieder. Er glaubt nicht, dass es schlimmer kommen könne als unter den Jahren amerikanischer Dominanz seit 1991. Seither hätten die Araber am meisten gelitten. Und von dem sogenannten weltweiten Aufschwung hätten sie nichts gehabt. Jetzt zeige sich, dass es auch für die anderen nur eine Blase gewesen sei. Eine amerikanische.
So wie er denken derzeit die meisten Araber. Soll ich ihm da widersprechen? Es fällt dieser Tage schwer, im Osten auch nur ein gutes Wort für die Vormacht des Westens einzulegen.
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