Afghanische Fiktionen
Ein Kommentar von S. Kornelius
Nach sieben Jahren in Afghanistan zeichnet sich keine Besserung ab für das Land. Aus innenpolitischer Angst fehlt es der Regierung jedoch an Ehrlichkeit zum Einsatz.
Die Bundesregierung kann dankbar sein, dass sie es in diesen Tagen mit den Taliban in den Vorstandsetagen zu tun hat. Hätte das Land die Finanzkrise nicht, die Koalition würde sich anlässlich der Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan für den größten außenpolitischen Ernstfall rechtfertigen müssen, der die Nation und ihre Verbündeten bedroht.
Denn anders als Iran, Russland oder die Krise in der EU ist die Auseinandersetzung mit den Taliban am Hindukusch tatsächlich unmittelbar gefährlich – lebensgefährlich gar für 3.000 und bald mehr Soldaten, die ein Recht darauf haben zu erfahren, welche Politik die Bundesregierung, die USA, die Nato, die afghanische Regierung und all die anderen Mitspieler betreiben.
Die Antwort ist: Es gibt keine Antwort. Nach sieben Kriegs-, Besatzungs- und Aufbaujahren in Afghanistan zeichnet sich keine Besserung ab für das Land. Sicherheit, politische Stabilität und wirtschaftlicher Fortschritt – die drei Grundvoraussetzungen für einen irgendwann zu planenden Abzug – sind flüchtige Errungenschaften.
Beängstigendes Eigenleben
Wenn die Taliban aus einem Ort in der Provinz Helmand vertrieben sind, tauchen sie in der Nachbarprovinz Kandahar wieder auf. Ist ein Clan von einem Sicherheitskonzept überzeugt, will zwei Täler weiter die konkurrierende Sippe auch von den Segnungen der Besatzer profitieren – oder baut eben weiter Schlafmohn an.
Der Einsatz in Afghanistan hat inzwischen ein beängstigendes Eigenleben entwickelt. Es gibt – gerade in den Augen der Deutschen – ein gutes Mandat (die Bundeswehr-Isaf) und ein böses Mandat (die OEF-Terrorjäger), es gibt gute Soldaten, die sich lieber Aufbauhelfer nennen, und böse Soldaten, die im Süden Krieg führen und neuerdings die Wurzel allen Übels in Pakistan bekämpfen.
Es gibt einen guten Präsidenten Hamid Karsai, der das Land eloquent auf der Weltbühne vertritt und ausländische Politiker empfängt, die gerade viele Soldaten in einem Gefecht verloren haben. Und es gibt den bösen Präsidenten Karsai, dessen Rolle gegenüber den Drogenkartellen dubios ist, und der sowieso nur der bessere Bürgermeister von Kabul bleibt. Nach dem Tod einer afghanischen Familie durch das Gewehrfeuer eines deutschen Soldaten im August gab es sogar gute Zivilisten und böse Zivilisten – grotesk.
Bis heute krankt der Einsatz daran, dass er einerseits zum Exempel für den Behauptungswillen der Nato stilisiert wurde, dass er aber andererseits in einer anderen Welt spielt: zu weit weg, zu fremd, zu abstrakt, als dass seine Bedeutung dem Wähler in Idaho oder in Eschenlohe verständlich zu machen wäre.
Für die Nato, den US-Präsidenten, die Bundesregierung hat Afghanistan nachvollziehbare strategische Bedeutung. Für die Soldaten am Boden handelt es sich aber ganz konkret um ein endloses Sisyphus-Spiel, bei dem es um Leben und Tod geht.
Wer Afghanistan retten und dem Einsatz das Debakel ersparen möchte, der muss im achten Jahr radikale Schnitte wagen: Erstens muss die Trennung der Mandate und die unsinnige Unterteilung in Kriegseinsatz und Aufbaumission aufgelöst werden. Wer im Bundestag diese Fiktion aufrecht erhält, belügt sich nur selbst und verspottet die Soldaten.
Inkompetenz und schlechte Organisation
Zweitens versickert zu viel Geld durch Inkompetenz und schlechte Organisation. Im Helfer-Chaos verpuffen wertvolle Resourcen, es fehlt die lenkende Hand. Der neue UN-Sonderbeauftragte Kai Eide ist eine Enttäuschung, er hinterlässt kaum Spuren. Der Brite Paddy Ashdown wäre die bessere Wahl gewesen – scheiterte aber am Widerstand Karsais.
Deswegen, noch eine Lehre: Die internationale Gemeinschaft muss Karsai weniger wichtig nehmen, die wahre Macht liegt nach wie vor in den Regionen und bei den Stämmen. Afghanistan erfordert Ausdauer, aber jeder Langstreckenläufer weiß: Wer seine Kraft nicht einteilt und kontrolliert, der muss gar nicht erst antreten.
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