Über Traum und Realität in der Politik
Von Joschka Fischer | © ZEIT ONLINE 10.11.2008 – 07:57 Uhr
Obamas höchstes Gut ist seine Glaubwürdigkeit. Die muss er sich erhalten, um nicht an den harten Realitäten zu scheitern
In Amerika ist das einst für unmöglich Gehaltene wahr geworden. Die Fernsehbilder von Barack Obamas triumphalem Wahlsieg erinnerten fast an jene Nacht von Berlin, am 9. November 1989, als die Mauer fiel. Erneut glaubte man, zu träumen, weil etwas wahr wurde, was man so sehr erhofft und doch zugleich nicht für möglich gehalten hatte.
Die Erwartungen und Hoffnungen, die nun weltweit auf dem zukünftigen Präsidenten Obama ruhen, sind gewaltig; übertroffen werden sie vermutlich nur noch von dem Gebirge an ungelösten Problemen, Krisen und Konflikten, die ihm sein Amtsvorgänger George W. Bush hinterläßt. Kann ein einzelner Mensch diesen riesenhaften Erwartungen überhaupt gerecht werden?
Obama verdankt seinen Sieg vor allem den jüngeren Wählern, den Minderheiten und den Frauen. Und gerade die Jugend war es, die sich auch aktiv in seinem Wahlkampf eingesetzt, die unermüdlich Wähler mobilisiert und damit den Sieg ermöglicht hat. Muss dieser Aufbruchstimmung in der jungen Generation jetzt nicht zwangsläufig eine tiefe Enttäuschung folgen? Ich meine nein.
Gewiss besteht ein breiter Graben zwischen Vision und Wirklichkeit. Jede große Idee, die mittels einer charismatischen Persönlichkeit und deren visionärer Kraft Massen zu begeistern vermag, verliert im Prozess ihrer praktischen Umsetzung etwas von ihrem visionären Potenzial.
Zwischen diesem Verlust an visionärer Leuchtkraft und der ersten spürbaren Wirkung praktischer politischer Maßnahmen klafft meistens auch noch eine zeitliche Lücke, während derer die Politik der Veränderung nur noch angreifbarer wird und sogar frühzeitig scheitern kann.
Auch allein die Agenda, die auf den neuen Präsidenten wartet, könnte leicht zur Verzweiflung führen: Barack Obama wird sofort die Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise angehen müssen, den wirtschaftlichen Niedergang der USA aufhalten, den Krieg im Irak beenden, die moralische Glaubwürdigkeit des Landes erneuern, mit dem Klimaschutz Ernst machen, die Krankenversicherung für alle anpacken und ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit in den USA schaffen müssen. Es ist unmöglich, alle diese Themen gleichzeitig anzupacken, insofern werden die richtige Prioritätensetzung und das Timing über Obamas Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
Man denke nur an Bill Clinton, dessen Gesundheitsreform schon nach einem Amtsjahr mausetot war und der nach einem weiteren Amtsjahr – bei den für die Demokraten verheerenden Kongresswahlen 1994 – die sogenannte konservative Revolution des Republikaners Newt Gingrich hinnehmen musste. Zudem werden mit Sicherheit auch Dinge passieren, die heute noch niemand vorauszusehen vermag, die aber viele politische Planungen zur Makulatur machen werden.
Jede zum Träumen anregende Reformpolitik birgt die Gefahr in sich, an den harten Realitäten schnöder Interessen und dem Grau des Alltags zu scheitern. Deswegen bedarf gerade Obama der gekonnten Verbindung von Vision und pragmatischer Durchsetzungskraft.
Mehrheiten müssen organisiert, Kompromisse gemacht und Umwege beschritten werden. Und es werden dabei auch jede Menge Fehler passieren. In dieser oft schwierigen und gefährlichen Phase von Reformpolitik wird es ganz entscheidend auf die Glaubwürdigkeit von Person und Politik ankommen.
Seine persönliche Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut, über das Barack Obama verfügt, und die er wie seinen Augapfel wird hüten müssen. Jeden Umweg, jeden Kompromiss, ja jeden Fehler wird er durchstehen können, solange er seine Glaubwürdigkeit behält. Und gleich nach der Glaubwürdigkeit rangiert die praktische Durchsetzungsfähigkeit, also liefern zu können, was versprochen wurde.
Zwei weitere Faktoren dürfen hier allerdings nicht vergessen werden: Glück und Standfestigkeit. Wer in der Politik nach Niederschlägen nicht wieder aufstehen kann und wem gar das notwendige Glück fehlt, dessen Erfolg wird nicht von Dauer sein.
Barack Obama und sein Team wurden in dem endlosen Ringen mit Hillary Clinton und dann im Wahlkampf gegen John McCain auf das Härteste geprüft. Er hat sich zweimal gegen furchterregende Wahlkampfmaschinen erfolgreich durchgesetzt, und dabei hat er all die Tugenden bewiesen, die er braucht, um ein großer Präsident zu werden.
Er wird deshalb die Jugend Amerikas, die sich für ihn so massiv eingesetzt hat, nicht enttäuschen, sondern ganz im Gegenteil eine Epoche ihre Epoche erfolgreich gestalten.
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