Politskandal in Illinois
Von Martin Klingst, Washington DC | © ZEIT ONLINE 11.12.2008 – 11:21 Uhr
Korruption, Prostitution, zweifelhaftes Benehmen. Oft fühlt sich unser USA-Korrespondent wie im Land Skandalistan. Die Affäre um die Obama-Nachfolge ist besonders heftig
Zuerst musste ein republikanischer Senator aus Florida eingestehen, dass er jungen männlichen Kongress-Praktikanten unsittliche E-Mails geschickt hatte. Dann geriet ein republikanischer Senator aus Idaho in den Verdacht, auf einer Männertoilette im Flughafen von Minneapolis zweifelhafte Annäherungsversuche unternommen zu haben.
Ein weiterer Politiker aus den Südstaaten wurde als Kunde eines Pornorings überführt, und der demokratische Gouverneur des Bundesstaats New York musste zurücktreten, weil er sich in einem vornehmen Hauptstadt-Hotel mit einer käuflichen Dame eingelassen hatte. Besonders peinlich: Eben jener Gouverneur Eliot Spitzer hatte sich einst als Staatsanwalt einen Namen als unbarmherziger Prostituiertenjäger gemacht.
Der jüngste Skandal aber schlägt dem Fass den Boden aus. Am Dienstag wurde Illinois demokratischer Gouverneur Rod Blagojevich verhaftet wegen des Verdachts der schweren Korruption. Im Morgengrauen fuhren Beamte des FBI vor seiner Dienstvilla vor und weckten ihn per Telefon. Sie wollten nicht klingeln und seine Familie nicht wecken, sagten sie, aber er möge unverzüglich seine Sachen packen und nach draußen kommen.
Der Vorwurf: Blagojevich soll versucht haben, aus dem vakanten Senatorensitz von Barack Obama Geld zu schlagen. Obama wird nämlich am 20. Januar Präsident und hat deshalb vor kurzem sein Senatorenamt von Illinois niedergelegt. Das Gesetz will es, dass der Gouverneur einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin bestimmt. Schlitzohr Blagojevich wollte aus dieser Pflicht Kapital schlagen, nach dem Motto: Wer am Meisten bietet, kriegt den Zuschlag.
Da er schon seit langem unter dem Verdacht steht, sich seine Dienste heimlich vergolden zu lassen, hat die Polizei sein Telefon abgehört und Wanzen in seinem Büro versteckt. Die Lauschaktion enthüllte Ungeheuerlichkeiten. Etliche Verdienstmöglichkeiten hat Blagojevich angeblich mit seinem Stabschef und sechs potenziellen Obama-Nachfolgern durchgespielt.
Option 1: Sollte er als Gouverneur einen Senatskandidaten nach dem Geschmack des künftigen Präsidenten auswähle, möge der sich bitteschön dadurch erkenntlich zeigen, dass er ihm, dem Gouverneur, ein passendes Regierungsamt zuschiebe, Energieminister zum Beispiel.
Option 2: Sollte kein Regierungsamt drin sein, dann möge zumindest Gouverneursgattin Patti mit einer lukrativen Arbeit versorgt werden.
Optionen 3, 4 und 5: Er, der Herrscher von Illinois, könne auch mit einem hoch dotierten Posten in der Gewerkschaft oder an der Spitze eines gemeinnützigen Vereins zufrieden gestellt werden – oder mit großzügigen Spenden für seine Wiederwahl als Gouverneur.
Option 6: Er könne sich auch selber zum Senator ernennen – und damit der Justiz ein Schnippchen schlagen.
Die Staatsanwälte sagen, Barack Obama habe von diesen Überlegungen nichts gewusst – und sei an keiner Stelle involviert. Einstweilen also wirft die Affäre keinen Schatten. Als Präsidentschaftskandidat wollte Obama in den letzten Monaten seines Wahlkampfs auch möglichst nicht mit seinem übel beleumundeten Parteikollegen gesehen werden. Das war allerdings nicht immer so. Blagojevich galt am Anfang seiner Karriere als “Progressiver”, als einer aus dem Holze Obamas.
Schön ist die gesamte Angelegenheit nicht für den neuen Hoffnungsträger, der versprochen hat, Regierungshandeln transparenter, kontrollierter, ehrlicher und ethischer zu machen: Schließlich geht es um seinen Senatorenstuhl, das Schmierenstück spielt in seinem Heimatstaat Illinois, und außerdem hatte angeblich auch Antoin Rezko wieder einmal seine Hände im Spiel.
Dieser zwielichtige Spendeneintreiber und Blagojevich-Freund verschaffte einst auch Obama Wahlkampfgeld und besuchte dessen Partys. Außerdem verkaufte er dem schwarzen Ex-Senator einen schmalen Grundstücksstreifen neben dessen Haus in Chicago zum Vorzugspreis. Obama hat sich im Wahlkampf dafür öffentlich entschuldigt und dieses Geschäft eine große Dummheit genannt. Aus anderen Gründen wurde Rezko im Sommer wegen Betrugs verurteilt, am 6. Januar wird der Richter die Strafe bekannt geben.
Eine alte amerikanische Weisheit besagt: Wer in Chicago Politik betreibt, hat Dreck am Stecken. Obama und seine kleine Gruppe Vertrauter aus Chicago behaupten, sie seien anders und hätten sich als Aufklärer verdient gemacht.
Seit jeher sind die quirlige Metropole am Michigan-See und der gesamte Staat Illinois berüchtigt für ihre bestechliche Verwaltung und ein bestechliches Parlament. Reihenweise mussten Bürgermeister, Abgeordnete, Senatoren und Gouverneure ihre Ämter quittieren, viele landeten hinter Gittern. Das Schicksal droht nun auch Rod Blagojevich. Vielleicht kommt der Gouverneur ja in eine Doppelzelle mit seinem republikanischen Vorgänger George Ryan. Der schied 2003 unter Schimpf und Schande aus dem Amt und wurde wegen Korruption zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Barack Obama hat bislang nicht viel zu diesem Skandal gesagt. Erst als andere den Rücktritt des Gouverneurs verlangten, schloss er sich ebenfalls dieser Forderung an. Zwei enge Mitarbeiter haben Widersprüchliches darüber ausgesagt, ob Obama in den vergangenen Wochen jemals mit Blagojevich über die Senatorennachfolge gesprochen hat.
Heute will Obama auf einer Pressekonferenz über seine geplante Gesundheitsreform auch zu der Affäre Stellung nehmen. Natürlich nur, wenn er danach gefragt werde, heißt es. Man wird ihn fragen – und Obama muss Tacheles reden und alles offen legen, was er weiß. Sonst fällt doch noch ein Schatten, knapp sechs Wochen, bevor ihn Millionen Menschen als 44. Präsidenten Amerikas bejubeln wollen.
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