Erster Arbeitstag
Barack Obamas “Change” startet wie der Blitz
Ein beinahe unfassbares Arbeitspensum legte der US-Präsident am ersten Tag vor. Er setzte die Verfahren in Guantánamo aus, meldete sich im Nahen Osten zu Wort und legte neue Regeln für die
Beamten fest: Bei seinen ersten Erlassen ging es um Informationsfreiheit und die Arbeit der Lobbyisten.
Präsident Barack Obama begann seinen ersten vollen Arbeitstag mit dem Thema Guantánamo. Für politisch interessierte Amerikaner, besonders auch die Medien, waren aber Obamas erste
Verwaltungserlasse womöglich noch wichtigere Meilensteine. Die Erlasse betrafen die Themen Informationsfreiheit sowie Lobbyistenarbeit.
Sofort nach dem Amtseid ließ Obama an die amtierenden Militärrichter der acht derzeit in Guantánamo laufenden Militärverfahren die Bitte richten, ihre Prozessvorbereitungen bis Ende Mai auszusetzen. Die Regierung wolle sich erst einen Überblick über mögliche Alternativen verschaffen, bevor die Prozesse in ihrer gegenwärtigen Form fortgesetzt werden.
Am frühen Mittwochmorgen hatte Obama die Zusage einer der acht Richter gewonnen. Dieser hätte am kommenden Dienstag den Prozess gegen den heute 20 Jahre alten Kanadier Omar Khadr eröffnen sollen. Später dann wurden auch fünf von sieben weiteren Verfahren für 120 Tage ausgesetzt. Die zwei fehlenden dürften wohl bald ebenfalls folgen. Obama kann die Aussetzung nicht durch
Verwaltungserlass anordnen, weil die Militärrichter in ihren Entscheidungen von der Regierung unabhängig sind. Die Militärtribunale, denen sie vorsitzen, wurden durch einen Gesetzesakt im Kongress geschaffen und sind nicht an die Existenz des Lagers Guantánamo gebunden. Die Richter benötigen für eine Aussetzung außerdem die Zustimmung der Angeklagten.
Am Donnerstag will Barack Obama noch einen Erlass unterzeichnen, der bei geeigneten Alternativen die Schließung des Lagers in Aussicht stellt. Die Schließung soll spätestens bis zum Januar 2010 erfolgt sein. Einen solchen Erlass kann der Präsident anordnen. Das Lager wurde 2002 nicht durch einen Parlamentsbeschluss errichtet, sondern ebenfalls durch einen Verwaltungsakt. Damit würde er sein
Wahlkampfversprechen erfüllen.
Geeignete andere Lösungen zu finden wird allerdings nicht einfach sein. Der Harvardjurist Barack Obama hat davor gewarnt, sich die Schließung als eine Frage lediglich guten oder mangelnden Willens
vorzustellen. Es sei vielmehr eine rechtlich sehr komplizierte Frage. Das gilt besonders für den oft genannten und von Obama anscheinend nun verworfenen Weg, die Internierten vor amerikanische Zivilgerichte zu stellen.
Die Kernfrage ist: Stehen Ausländern die vollen Mittel der amerikanischen Verfassung auch dann zu, wenn solche Nichtbürger der USA sich als ausländische militärische oder paramilitärische Organisation definieren, im Ausland Amerikaner angegriffen haben und im Ausland vom US-Militär oder CIAKommandos gefangen genommen werden?
Die US-Verfassung bietet US-Bürgern bei einem Strafprozess Rechte, die nicht ausgesetzt werden können. Dasselbe gilt für Ausländer, die in den USA straffällig werden. George W. Bush hatte im Fall eines amerikanischen Al-Qaida- Sympathisanten versucht, das Recht auf baldiges Gehör und volle Offenlegung der Anklagegründe auszusetzen. Der Oberste Gerichtshof hat ihm das untersagt.
Wenn das auch für Ausländer gilt, die sich als bewaffnete internationale Bewegung einstufen, im Ausland Amerikaner angreifen und im Ausland gefangen genommen werden, hätte das erhebliche Folgen. Es könnte bedeuten, dass alle, die namens einer Terror- oder Guerillagruppe irgendwo in der Welt Amerikaner angreifen, US-Prozessrecht in Anspruch nehmen dürfen, sobald sie in Gefangenschaft geraten.
Das wiederum hieße zweierlei. Zum einen wäre das Territorialprinzip für staatliches Recht aufgehoben – die US-Verfassung hätte für alle auf der Welt Gültigkeit, egal ob US-Staatsbürger oder nicht, und unabhängig vom Wohnort. Zum anderen würden irreguläre Kämpfer besser gestellt als Soldaten. Denn uniformierte Soldaten dürfen unbefristet und ohne Prüfung ihrer Lage gefangen gesetzt werden, bis der Krieg zu Ende ist. Das gilt gemäß den Genfer Konventionen von 1949 auch für nationale Widerstandsgruppen. Als Zivilisten getarnte internationale Terroristen hingegen hätten ein Recht auf Haftprüfung binnen sechzig Tagen, auch wenn sie im Untergrund straff organisiert wären und Kriegswaffen einsetzten.
Obama sucht deshalb einen Weg, wie solche feindlichen Kämpfer in regulären amerikanischen Haftanstalten interniert werden können, ohne dass sie zwingend mit vollen Rechten vor normale USGerichte
gestellt werden müssen.
Barack Obamas Tageskalender war gestern mit zahlreichen weiteren Terminen gefüllt. Um zehn Uhr vormittags nahm er an einem Dankgottesdienst teil, der seit 50 Jahren zur Tradition einer Amtsübergabe im Weißen Haus zählt. Obama ließ freilich neue Akzente setzen. Er lud einen großen Kreis von Sprechern anderer Religionen ein. Die Predigt hielt erstmals bei einem solchen Anlass eine Frau. Obama hatte auch den heutigen Pfarrer seiner früheren Chicagoer Gemeinde, der Trinity Church, eingeladen. Er ist Nachfolger des Pfarrers Jeremiah Wright, dem Obama wegen dessen politisch radikalen Äußerungen im Frühjahr 2008 die Loyalität aufgekündigt hatte. Wrights Nachfolger Otis Moss gilt freilich ebenfalls als sehr links und ist ein Vertrauter Wrights. Die Einladung war nach etlichen freundlichen Signalen Obamas zum konservativen Spektrum der USA ein Indiz dafür, dass er den Kontakt zum linken Spektrum nicht aussetzen will. Das entspricht Obamas Politik, einen breiten Konsens zu suchen.
Nach dem Gottesdienst nahm er an der Vereidigung seines Mitarbeiterstabes teil. Bei der Gelegenheit unterzeichnete er seine ersten beiden Verwaltungsakte. In einem ordnet der Präsident an, dass USBundesbehörden künftig Informationsersuchen von Amerikanern großzügig und rasch erledigen sollen. Im anderen verbietet er seinen Mitarbeitern, nach ihrem etwaigen Ausscheiden als Lobbyisten in Washington tätig zuwerden, solange Obama Präsident ist.
Das Recht auf Informationsfreiheit gibt es seit Jimmy Carters Präsidentschaft. Diese bestimmung, der „Freedom of Information Act“ (FOIA), war aber unter George W. Bush restriktiv gehandhabt worden. Wartezeiten von Monaten oder Jahren waren keine Seltenheit, wenn es um Themen ging, die die Regierung als sicherheitsrelevant betrachtete. Präsidentenakten, die in den Präsidentenbibliotheken lagern, sind von Obamas Erlass ausgenommen. Sie unterliegen, obwohl Teilbestand des Nationalen
Archivguts, der Verfügungsgewalt der jeweiligen Amtsvorgänger. Die Frage, wie jetzt Akten behandelt werden, die in Kopie sowohl in solchen Bibliotheken als auch im Nationalarchiv in Maryland selber
liegen, ist offen.
Für Lobbyisten wird das Leben schwerer
Die Lobbyisten-Vorschrift ist eine kleine Revolution am Potomac. Es war bisher nicht selten, dass Präsidentenmitarbeiter zu Beginn einer zweiten Amtszeit ausschieden und lieber einen hochbezahlten
Lobbyistenjob annahmen. Mit den in der ersten Amtszeit erworbenen Kenntnissen und Verbindungen sollten und wollten sie nun ihren neuen Arbeitgebern in der Wirtschaft, bei den Gewerkschaften oder bei Interessenverbänden dienen. Solche Lobbyisten hatten dann bald genug Geld für ein schönes Stadthaus
in begehrter Lage wie Georgetown oder McLean zusammen, oder sie zogen in New York als Politische Direktoren in Vorstandsetagen ein. Damit ist es unter Obama vorbei. Wer seit gestern für ihn arbeitet, darf erst nach dem Ende der zweiten Amtszeit 2017 Lobbyist werden.
Um 14 Uhr Washingtoner Zeit ließ Obama zudem eine lange verschüttete Tradition wieder aufleben. Er lud Bürger zu einem Empfang ins Weiße Haus. Solche Empfänge waren bis vor einigen Jahrzehnten zu Neujahr üblich.
Im weiteren Verlauf des Tages traf sich der neue Präsident mit David Petraeus, dem Befehlshaber des für Afghanistan, Irak, Iran und Pakistan zuständigen Kommandos Mitte in Tampa (Florida).
Zugeschaltet waren die amerikanischen Generäle im Irak und in Afghanistan. Petraeus kam vorgestern von einer Reise nach Pakistan und Afghanistan zurück. Die Sitzung war der erste Schritt zu einem genauen Abzugsplan aus dem Irak und einer Neubestimmung der Strategie in Afghanistan. Um seinen Einsatz für einen Frieden im Nahen Osten zu zeigen, telefonierte Obama auch mit mehreren Staats- und Regierungschefs aus der Region, darunter Palästinenser- Präsident Mahmud Abbas und Israels
Regierungschef Ehud Olmert. Obama sicherte die Hilfe bei der Aufspürung von Waffenschmuggel- Tunneln zwischen Gaza und Ägypten zu.
Mitchel soll Nahost-Sonderbeauftragter werden
Es wurde außerdem erwartet, dass Obama seinen künftigen Nahost-Sonderbeauftragten benennen werde, der als Koordinator für die Politik gegenüber den Palästinensergebieten und Israel tätig werden
soll. Als Anwärter genannt wurde der 75 Jahre alte ehemalige Senator der Demokraten, George Mitchell. Dieser hat Ende der 90er-Jahre den Waffenstillstand zwischen den verfeindeten Gruppen in
Nordirland mit ausgehandelt. Vor drei Jahren leitete er eine Kommission, die das Doping im amerikanischen Profi-Baseball untersuchte. Als weitere Sonderbeauftragte für den Iran sowie für
Afghanistan und Pakistan sind Bill Clintons früherer Balkanunterhändler Richard Holbrooke und Clintons einstiger Nahost-Experte Dennis Ross im Gespräch.
Später hielt Obama dann eine Sitzung seines Wirtschaftskabinetts ab. Finanzminister Timothy Geithner musste sich allerdings gestern Vormittag Fragen des Finanzausschusses im Oberhaus des Parlaments stellen. Über ihn war kürzlich bekannt geworden, dass er als Berater des Internationalen Währungsfonds versäumt hatte, Steuern aus selbstständiger Arbeit zu entrichten. Obama hat das als „lässliche Sünde“ bezeichnet. Es machte aber auf einige Senatoren, auch Demokraten, keinen guten Eindruck, dass der
künftige Finanzminister bei seiner persönlichen Steuerschuld die Informationspflicht eines Steuerbürgers nicht ganz genau nahm.
Geithner selber hat bei der Anhörung für sein Verhalten mehrfach zerknirscht um Entschuldigung gebeten. Die Republikaner im Senat nutzten die Chance, um einen der wichtigsten Minister Obamas mit
hartnäckigen Fragen zu grillen. Er soll eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung des 850 Milliarden Dollar umfassenden Konjunktur-Notpakets spielen. Obama hat das Paket von der Regierung Bush
geerbt, aber die Demokraten wollen andere Akzente setzen. Dazu gehört eine Soforthilfe für Hypothekenschuldner. Sie ist bei fiskalpolitisch konservativen Demokraten umstritten, weil es dabei
nicht um die Funktionsfähigkeit des Kreditmarkts gehe, sondern um Staatshilfen für privat überschuldete Bürger.
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