Young, Dynamic, and Unemployed

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Jung, dynamisch, arbeitslos

Von Moritz Koch

10.02.2009

“Networking” in ungezwungener Atmosphäre: Auf Partys in New York treffen sich Banker mit Personalvermittlern – und tun so, als gäbe es noch Jobs an der Wall Street.

Es muss schnell gehen, der Handgriff muss sitzen. Wühlen wäre peinlich, die Chance dahin. Blitzschnell taucht Page Walborn ihre Fingerspitzen in ihre Handtasche und zieht ein Kärtchen hervor. Ihr Kärtchen. Die Hoffnung auf einen Job. Darum ist sie hier. Sie und die anderen 400 Arbeitslosen, in dieser Bar in Midtown Manhattan, in der sie sich versammelt haben und Ausschau halten nach Personalvermittlern, leicht erkennbar an den leuchtend grünen Armbändern. Grün wie das Geld, hat eine Frau am Empfang erklärt.

Page trägt ein rosa Band am Handgelenk. Das ist die Farbe der Arbeitslosigkeit. In Amerika werden Entlassungsschreiben in rosa Briefumschlägen verschickt. 20.000 dieser “Pink Slips” waren es allein in der vergangenen Woche. Die Arbeitslosenquote steigt und steigt. 7,6 Prozent hat sie inzwischen erreicht. Bald werden die Statistikbehörden zweistellige Zahlen melden, sagen die Experten.

“Networking” in ungezwungener Atmosphäre

Hier im New Yorker Finanzviertel, wo die Krise im Frühjahr 2007 mit den Zahlungsnöten einiger Hedgefonds ihren Anfang nahm und im Herbst 2008 mit dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers ihren Höhepunkt fand, ist die Lage besonders finster. Darum findet die “Wall Street Pink Slip Party” schon zum dritten Mal statt. Hier sollen Kontakte geknüpft werden zwischen Arbeitslosen und Personalvermittlern, “Networking” in ungezwungener Atmosphäre bei Bier und Nacho Chips.

Obwohl Page bisher nicht an der Wall Street gearbeitet hat, sondern für ein Theater, kennt sie die feinen Grenzen der Lockerheit in der Finanzwelt bereits. Wer unsortiert wirkt, planlos sogar, hat keine Chance. Page hat ihre braunen Locken zurückgesteckt, sich dezent geschminkt. Sie steht Bolaji Lawal gegenüber. Er kommt aus Nigeria, auch er trägt ein rosa Band, auch er ist ohne Job.

“Ich habe viele Freunde”

Aber Bolaji hat eine Idee. Und das macht ihn für Page interessant. Er will seine eigene Firma gründen. “Ich habe viele Freunde”, sagt er, “sie sind reich, professionelle Basketballer, die in der NBA und in europäischen Ligen spielen. Ich überlege, ihr Geld zu verwalten, eine eigene Firma zu gründen.” Pages Kärtchen steckt er in sein Sakko. “Ich könnte eine Assistentin brauchen”, sagt er.

Bolaji hat eigentlich alles richtig gemacht. Er hat seinen MBA an der renommiertesten Business School der Welt abgeschlossen und gleich danach einen Job bei einer New Yorker Investmentbank bekommen. Dummerweise hat er sich das falsche Abschlussjahr ausgesucht und die falsche Investmentbank: Lehman Brothers.

Bolajis erster Arbeitstag war der 15. September 2008, der Tag, an dem Lehman Insolvenz anmeldete. Als Bolaji das Hochhaus an der Seventh Avenue betrat, kamen ihm seine neuen Kollegen schon entgegen. Mit Pappkartons, in denen sie ihre Habseligkeiten auf die Straße trugen. “Keiner hat mit uns geredet”, erinnert er sich, “es war gespenstisch.” Einen Tag später fischte die britische Bank Barclays Lehmans Nordamerikageschäft aus der Konkursmasse. Bolaji konnte seinen Job behalten, erst mal. Aber vor zwei Wochen war Schluss.

“Ich habe immer zu euch aufgeschaut”, sagt Page. “Ihr Banker schient euch um nichts sorgen zu müssen.” Die Zeiten haben sich verändert. Diese Krise macht auch vor den Besten nicht Halt. “Die Unternehmen bieten kaum Stellen an”, sagt Hillel Axelrod, einer der Personalvermittler mit den grünen Armbändern.

“Und wenn, dann lassen sie sich Zeit. Erfüllt ein Kandidat 80 Prozent der Anforderungen, wartet das Personalbüro lieber noch. Die Chancen sind gut, dass sich in der nächsten Woche schon einer mit 85 Prozent findet. Und in der Woche drauf vielleicht mit 90. Es gibt hier einen ganzen Ozean von Talenten.”

Zum Beispiel Simon Curtis, der Fusionsspezialist, der sich jetzt als Paparazzo durchschlägt. “Ich weiß, wo die Stars zu Hause sind, wo sie einkaufen, wo sie essen”, sagt er. Als er noch seinen Job hatte, saß er oft am Nachbartisch. Aber nun hat ihn die quasi-verstaatlichte Royal Bank of Scotland entlassen.

Auf weiche Landung gehofft

Oder Randall Shaw, der Übernahmekredite für die UBS verlieh und den ganzen Abend auf sein Blackberry starrt, als wolle er nicht wahrhaben, dass sein Büro ihm keine Nachrichten mehr schickt. “Wir haben alle gewusst, dass es irgendwann zu Ende geht”, gibt er zu. “Aber wir haben auf eine weiche Landung gehofft.”

Betriebsbedingte KündigungKlagen lohnt sich Oder Emily Chiang, die junge Finanzingenieurin, die für ein Investmenthaus Hypotheken gekauft, gebündelt und weiterverkauft hat. Was Emily da fabrizierte, waren die Erreger der Finanzkrise. Die Hypotheken wurden faul, die Wertpapiere wertlos. Und Emily wurde von Investoren angebrüllt. “Da hab ich mir gesagt, es reicht, und bin für zwei Monate nach Neuseeland gefahren.”

Als sie zurückkam nach New York, hatte die Investmentgesellschaft ihre Abteilung abgeschafft. “Macht nichts”, sagt Emily und leert ihr Glas. “Ich will das Leben genießen und bin nur hier, weil das Bier so billig ist.” Zwei Dollar kostet es, wenn man ein rosa Armband trägt.

Auch Al Gomez, der Ex-Marine, der als Händler bei einem Hedgefonds gearbeitet hat, bis sich sein Chef entschloss, den Laden dichtzumachen, weil er lieber auf Pferde wetten wollte als auf Finanzprodukte, findet es “gar nicht so schlimm”, arbeitslos zu sein. “Jetzt komm’ ich wenigstens dazu, Geschichtsbücher zu lesen”, sagt er. Was Al besonders interessiert: Wie denken die Deutschen eigentlich über die Wehrmachtsgeneräle? Die seien doch große Strategen gewesen.

Strenge Regulierung, neue Gesetze und Kontrollen

Große Strategen können eine ziemlich verheerende Wirkung haben. Eigentlich müsste Al das wissen. Die von der Wall Street haben die Welt mit geliehenem Geld in den Abgrund gehebelt. Und natürlich ahnen sie, was nun bevorsteht. Es wird strenge Regulierung geben, neue Gesetze und Kontrollen. Die Gehaltsgrenzen für Bankchefs, die die amerikanische Regierung in der vergangenen Woche beschlossen hat, waren nur der Anfang.

Also wollen viele der pink markierten Partygäste nicht mehr zurück in die Finanzkonzerne. Regulierung ist noch immer ein Reizwort an der Wall Street, und wenn die Großbanken gezähmt werden, heuert man halt lieber bei einer Investmentboutique an.

Gutes Gewissen und gute Rendite

Oder man macht seine eigene Firma auf. So wie es Bolaji überlegt, der Nigerianer. Ethische Geldanlagen in Afrika schweben ihm vor. Seinen Klienten will er beides bieten: ein gutes Gewissen und eine gute Rendite. “Afrika ist voller Chancen”, sagt er. “Viele Unternehmen stecken jetzt in Schwierigkeiten, aber sie haben großes Potential.” Vielleicht zieht es ihn sogar zurück nach Nigeria.

Das könnte die gute Seite der Krise sein, jedenfalls aus afrikanischer Sicht: Überflieger wie Bolaji, die aus den fernsten Winkeln der Welt in die Wall Street gesogen wurden, entdecken ihre Heimat wieder. Auf einmal können sie sich vorstellen, zu Hause etwas aufzubauen, “etwas Reelles zu schaffen”, wie Bolaji sagt. Nur Page hört das nicht gern. Afrika ist ihr zu weit. Sie guckt skeptisch und späht schon wieder ins Gedränge. Auf der Suche nach ihrer nächsten Chance.

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